taz Panter Preis 2013 für Inge Hannemann

Zivilcourage Was für das System und seine Agenten Unfriede und Eskalation bedeuten, das übersetzt die Zivilgesellschaft einmal mehr mit Courage und solidarischem Engagement.

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Inge Hannemann wurde gestern im Deutschen Theater Berlin mit dem diesjährigen taz Panter Preis für ihr Engagement in der Kritik an Richtlinien und Maßgaben der Bundesagentur für Arbeit und ihr damit verbundenes Eintreten für die Interessen der davon betroffenen Erwerbslosen ausgezeichnet.

„Der taz Panter Preis ist ein Preis für Menschen, die sich mit großem persönlichen Einsatz für andere starkmachen und mutig Missstände aufdecken. Menschen, die uneigennützig und hartnäckig für eine bessere Welt kämpfen, ohne viel Aufhebens um ihr Engagement zu machen."1 Seit April 2012 berichtete Frau Hannemann in ihrem Weblog altonabloggt unter zunehmender Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit aus dem Innenleben einer Institution, die sich ihrer "Kundschaft" gegenüber weniger als Verbündeter bei der Inanspruchnahme von arbeitsmarktbezogenen Teilhabechancen, sondern vielmehr als Disziplinaragentur und Vermittler in prekäre Arbeit erweist. Die inzwischen in die Tausende gehenden Wortmeldungen auf ihrem Weblog verdichten ein düsteres Tableau dessen, was Erwerbslosigkeit 2013 in Deutschland bedeutet, wie sie durch die Agentur verwaltet und letztlich mehr verstetigt als in verbesserte Teilhabechancen transponiert wird. Sammelten sich Berichte dieser Art seit langem schon in den Solidarforen zum Themenspektrum Erwerbslosigkeit, Hartz4 und Grundsicherung, fand sich in Frau Hannemann erstmals eine Mitarbeiterin aus dem aktiven Personalbestand der Agentur, die eine Vielzahl der seitens der Solidarinitiativen vorgebrachten Vorwürfe bestätigte und weitenteils auch mit Dokumenten belegen konnte.

Frau Hannemann stützte sich bei Ihrem Brückenschlag aus der Agentur hin zu den Initiativen auf das Grundgesetz, zentral dabei auf die unantastbare Würde des Menschen, die sie durch die auf den Angestellten der Agentur lastenden systemischen Zwängen als im Regelfall angetastet sah: "Auch wenn die Bundesagentur für Arbeit grundsätzlich von Einzelfällen spricht, wenn etwas schief läuft, sind es keine Einzelfälle mehr. Einzelfälle sind es nur, weil Rechtsentscheidungen oftmals als Einzelfälle entschieden werden. Somit korrekt. Diese Argumentation zeigt jedoch deutlich, dass eben nicht der Mensch zählt, sondern die Paragrafen und damit aus dem menschlichen Individuum eine Zahl konstruiert wird. Zahlen finden sich auch in den zu erfüllenden Vermittlungsquoten in Maßnahmen, sozialversicherungspflichtige Arbeit, den abzuschließenden Eingliederungsvereinbarungen oder in der Einsparung von Haushaltsgeldern."2

Während sich Frau Hannemann weit über das gewöhnliche Maß hinaus für ihre "Fälle" engagierte und das in der Agentur alltägliche Sanktionieren der "Kundschaft" durch persönlichen Einsatz und im Widerstreit gegen das Betreiben von Vorgesetzten zu vermeiden suchte, erkannte die Leitung der Jobcenter-Filiale Hamburg-Altona in ihr nur die renitente Mitarbeiterin. "Es ging immer weniger um den beruflichen Lebensweg und den Gesundheitszustand der Person. Wir wurden intern dazu gedrängt, zu vermitteln, egal wie und wohin. Heute werden vier von fünf Erwerbslosen an Zeitarbeitsfirmen vermittelt. Dort verdienen sie so wenig, dass sie immer abhängig vom Jobcenter bleiben."3 Im April diesen Jahres wurde Frau Hannemann von ihrem Arbeitgeber mit der Begründung vom Dienst freigestellt, sie gefährde durch ihre Äußerungen Tausende ihrer ehemaligen Kollegen und trage Unfriede und Eskalationspotential in das Jobcenter hinein. Seitdem streitet sie vor dem Arbeitsgericht für ihre Weiterbeschäftigung.4

Frau Hannemanns Engagament gibt uns zu erkennen, wieviel Veränderung durch Gegenmacht auch in den geronnensten Strukturen der Hörigkeit möglich bleibt, wenn diese Macht von den von ihr Betroffenen nicht bloß erduldet, sondern durch Kritik an den Verhältnissen im Widerstand gegen diese beansprucht und die problematische Figuration der Rationalität, auf der sie gründet, ausdauernd und mit offenem Visier bekämpft wird. Es bleibt zu hoffen, dass dieses bislang in Deutschland noch einmalige Vorbild einer Solidarisierung zwischen Agenturmitarbeitern und Erwerbslosen Nachahmer findet, die Verleihung des Panter Preises setzt ein Signal dafür.

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[1] http://www.taz.de/!106589/

[2] http://altonabloggt.wordpress.com/2013/08/23/das-wir-ist-das-volk/

[3] http://www.taz.de/!116051/

[4] http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/guetetermin-ergebnislos-hartz-iv-rebellin-hannemann-bleibt-suspendiert-a-919139.html

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