Dem Volk aufs Maul

Demokratie Die als "Alternative für Deutschland" auftretende Sammlungsbewegung ist offen verfassungsfeindlich. Unter tätiger Mithilfe von Parteien aus dem Verfassungsbogen

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Ist die AfD für die Demokratie in Deutschland gefährlich?
Ist die AfD für die Demokratie in Deutschland gefährlich?

Bild: Sean Gallup/Getty Images

Tun wir einmal so, als wäre das Votum der Mecklenburgischen Pommeranier ein Abbild Deutschlands. Dann wäre das auf Augenhöhe, was dorthin gehörte: Grüne und Liberale mit der NPD, alle drei draußen aus dem Landtag zu Schwerin; AfD noch vor CDU und hinter der SPD. Was aber soll an grünen oder Wirtschaftsthemen so verachtenswert sein, sie auf gleiche Stufe mit Neo-Nationalsozialisten zu stellen? Und umgekehrt: Was macht eine menschenfeindliche Botschaft so erstrebenswert, dass sie sogenannten Volksparteien die Hoheit im Volk streitig machen kann?

McPom ist so wenig und so sehr Deutschland wie der nächste Wahlort Berlin. Das leerste und das vollste Bundesland der Republik reflektieren, gerade was das Kernthema der AfD angeht, deren wildesten Traum. Während im Norden kaum Flüchtlinge angekommen sind, werden sie in der Hauptstadt vor allem am LaGeSo behandelt, wie es sich die sogenannten Alternativen gerne vorstellen: Abschreckend. In beiden Fällen ist das ein Gewerk von rot-schwarz. Gleichwohl erhält die rechtsaußen-Partei in immer tieferen braunen Tönen noch mehr Zulauf.

Der Blick auf die politische Landkarte der Bundesländer zeigt:

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Hegemonie wie Homogenität der alten Parteien sind vorbei. Was sich bis vor wenigen Jahren beinahe feindlich bekämpfte, regiert nun zwar nicht einträchtig, aber weitgehend zusammen. Der Befund widerlegt auch das lange gehegte Märchen, dass im Land tendenziell, als Gegengewicht, anders gewählt würde als im Bund. Hier hinein stößt die AfD als fremdes, vordergründig neues Element, als organisierender Outsider, dessen Darsteller diesen Status zudem sichtlich genießen. Denn die Partei und ihre Mitläufer verstehen sich, selbstheroisch überhöht, als letztes Bollwerk gegen die "Große Transformation der Gesellschaft".

Besonders anfällig für die Botschaft erscheinen dabei die Menschen in Regionen, die die große deutsche Zäsur nicht oder nur schlecht verkraftet haben. Mit der Desillusionierung zuerst, mit dem Abfall des ganzen Souveräns vom Glauben per Abstimmung mit den Füßen sodann ist das Gefüge DDR abhanden gekommen. Das meint nicht nur den Staat oder eine politische Heimat. Weg fiel auch das vordemokratische Wohlfahrtsversprechen von hoher Hand, den eigenen Bürger von der Wiege bis zur Bahre zu versorgen. Marktliberale "blühende Landschaften" als aufgepfropfter Gegenentwurf konnten das nicht wettmachen, geschweige denn das Versprechen einlösen.

Im Gegenteil: Mecklenburg-Vorpommern hat seit der Wiedervereinigung netto rund 300.000 Einwohner verloren, das entspricht etwa 15% der ursprünglichen Landesbevölkerung. Erst dieses Jahr ist das Bevölkerungssaldo ausgeglichen, aber nur in den urbanen Zentren. Man muss kein Sozialwissenschaftler sein, um ein Gefühl des Verlassenheit festzustellen. Manche Regionen ähneln Bergdörfern, wo nur noch Alte oder die ganz Jungen leben. Das ist kein Boden, auf dem Perspektiven gedeihen, sondern überwiegend Ressentiments und das über Generationen hinweg.

Auch Berlin hat die Wende offenbar noch immer nicht verdaut. Dem besonderen Status der Stadt geschuldet, wurden dies- und jenseits des Brandenburger Tors die Kamarillen gestopft. Ergebnisse waren ein weitgehender Realitätsverlust im Osten und der geschäftig durchorganisierte Klüngel im Westen. Die Mesalliance kann heute im Berliner Senat besichtigt werden. Statt sich um die strukturellen Probleme, insbesondere einer Hauptstadt Europäischen Zuschnitts zu kümmern, zog es Frank Henkel (CDU) mit Duldung von Bürgermeister Michael Müller (SPD) vor, am Rigaer den Bürgerkrieg zu proben. Dabei weiß zur Stunde nicht einmal der Senat, wem das eine Gebäude mit der Nummer 94 wirtschaftlich gehört.

Gründe, diese Berliner Vertretung nicht mehr zu bestätigen, gäbe es genug. Aber die Alternative heißt nicht AfD. Erst recht nicht für Deutschland. Denn deren große Klammer, egal ob im Bund oder in den Ländern, ist Menschenfeindlichkeit.

Jene "Große Transformation der Gesellschaft" ist in Mecklenburg-Vorpommern ganz ungeniert als "Überfremdung" und "Umvolkung" benannt worden. Hier ziehen Personen in das Parlament und wollen dies überall, die nicht nur den Jargon, sondern in weiten Teilen die nationalsozialistische Vorstellungswelt so verinnerlicht haben, sie zum offenen Programm zu machen. Dass dabei Ängste oder Sorgen der Menschen vor der Zukunft, die des vielbemühten kleinen Mannes aufgenommen würden, ist wie seinerzeit eine ebenso schlichte wie dreiste Lüge.

Eduard Fuchs stellte 1921 in Berlin fest, wie sehr die Anklagegesten gegen die Juden "einen mehr oder minder großen Haß" beinhalten "und zugleich eine Verachtung, die alle Grade in sich birgt, und nicht selten bis zur letzten Grenze geht". Das verrate "zugleich eine ganz außerordentliche Furcht vor den Juden. Nur wenn man jemand sehr fürchtet, klagt man ihn dermaßen heftig an." Micha Brumlik hat in seinem Essay "Innerlich beschnittene Juden" (2012) zu Fuchs' Ausführungen nachgewiesen, wie sehr dieser Mitbegründer der KPD bei allem aufklärerischen Impuls doch am antisemtischen Gerücht mitgearbeitet hat.

Und tatsächlich: Wie anbiedernd und verharmlosend ist, auf das Hier und Jetzt gewendet, das aufgesetzte Verständnis für "Furcht" vor "den Ausländern", "den Muslimen" oder sogar "den Flüchtlingen"? Wenn Ruhe- und Rückzugsräume real brennen, deren Bewohner gnadenlos gejagt und Hilfspersonen vom Roten Kreuz und andere mit dem Tod bedroht werden? Wenn Menschen sich in dieser umkehrenden Furcht geradezu suhlen, um sich tödlich aggressiv enthemmen zu können und eine neue tiefbraune Sammlungspartei daraus ihre Existenzberechtigung schöpft? Die Grünen-Politikerin Gesine Agena hat dazu treffend bemerkt, das seien "keine besorgten, sondern besorgniserregende Bürger" - da brauche es "kein Verständnis, sondern klare Kante".

Die klare Kante kann, anders als es die Unionsparteien und insbesondere die CSU praktizieren, nicht mehr im Versuch bestehen, die Positionen der AfD noch radikaler zu überholen. So wie die Unionsparolen vom "das Boot ist voll" zu Pogromen ab Rostock-Lichtenhagen führten, war Horst Seehofers angekündigte Klage Richtung Berlin wegen "offener Grenzen" eine tiefgreifende Drohung: Die der Aufkündigung der Bundestreue als einem Grundpfeiler des deutschen Föderalismus und damit des deutschen Staatswesens selbst. Dabei hat der derzeitige bayerische Ministerpräsident weniger die Position eines Säulenheiligen im konservativen Gebäude erreicht. Die seine ist die Stellung eines Wettergockels auf einem beliebigen First - mit Rundumblick ausgestattet, aber durch den Wind.

Die SPD ihrerseits tut schon seit Längerem so, als wäre das der AfD nur ein Problem, das irgendwo rechts angesiedelt sei. Spätestens seit der Wahl vom vergangenen Wochenende sollte sie wissen: Gerade unter ihren Wählern, nicht nur den ehemaligen, befinden sich zu viele, die AfD-affin sind. Des Protestes wegen, aber vor allem weil sie dem Glorienversprechen von einer besseren, diesmal nicht uneingelösten sozialen, sondern einlösbar erscheinenden völkischen Zukunft auf den Leim gehen.

Die Linke versagt dort, wo sie Menschenrechte einfordert, um sie sogleich unter dem Deckmantel eines Arbeitsmarktprotektionismus zu hintertreiben. Die Grünen schließlich halten sich am Wenigsten an Agenas klare Sicht. Der geradezu sozialpädagogische Eifer des Verstehenwollens verhilft der Xenophobie zu einer Platzberechtigung in Talk-Shows und Kolumnen.

Die Herausforderung steckt in der Frage: Ist die AfD für die Demokratie in Deutschland gefährlich? Die Antwort lautet ohne jede Abstriche: Ja!

Denn nicht nur einzelne Regionen oder Bevölkerungsteile haben die große Zäsur von 1989 noch nicht nachvollzogen. Die als erfolgreich wahrgenommene Demokratie Modell West war es in Ansehung eines anderen Modells, eines anderen Systems, in der Logik des Kalten Krieges: In der Konfrontation mit einem Feind. Seit der Wiedervereinigung muss sich das Modell dagegen selbst genügen und anhand eigener Maßstäbe messen lassen.

Das Modell wird nicht aussichtsreicher mit der einfachen Hoffnung, dass nach DVU, Republikanern oder NPD nationale Gegner, wie auch historisch der sogenannte real existierende Sozialismus im anderen Deutschland, irgendwie oder irgendwann von alleine verschwinden werden.

Denn die Herstellung von Konsens als demokratischer Prozess erscheint angesichts des neuen inneren Kontrahenten für Befürworter wie Detraktoren nun noch mühseliger, langwieriger und streckenweise sogar langweilig bis kurzsichtig. Und an einigen Stellen offen ungenügend. Schon macht die unsägliche Parole vom "Parlament als Quatschbude" wieder die Runde.

Demokratie aber ist nicht nur Methode von Wahlen und parlamentarischen Riten, sie ist der innere Kitt der so verstandenen Gesellschaft. Deren Bürger zeichnen sich nicht lediglich durch politische oder sogenannte Deutschenrechte aus, sondern im Respekt gegenüber unterschiedlichen Lebensentwürfen und Lebensweisen. Das betrifft das Verhältnis zu "Schwaben in Berlin" genauso wie zu "Personen mit Migrationshintergrund" auch in den deutschen Parlamenten oder dem netten Italiener von nebenan, dem man gedanklich immer "etwas mit Mafia" anhängt. Das betrifft erst recht Menschen, die von weit her kommend bei uns Schutz vor Verfolgung suchen.

Den bislang besten Grad der Unvoreingenommenheit haben die Eltern des Grundgesetzes in Artikel 3 festgehalten: Niemanden wegen "seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen" zu diskriminieren. Das ist nicht nur eine Verbotsnorm Richtung Staat oder deren Funktionäre in der Behandlung der Menschen in deren Einzugsbereich - sie ist ein Gebot an die Menschen selbst, im Verhältnis zueinander. Diskriminierung ist menschenrechtlich eine No-Go-Area, egal ob man sie als Antisemitsmus bezeichnet, als Fremdenfeindlichkeit oder Rassismus.

So sehr die AfD bemüht war, in ihren Formulierungen zum Grundsatzprogramm den offenen Verfassungsbruch zu vermeiden: Mit ihrem zentralen, ausdrücklich völkischen Punkt "Kultur, Sprache und Identität" tritt sie das Diskriminierungsverbot und das Gebot der Gleichbehandlung und damit die demokratische Gesellschaft ins Abseits. Diese Partei ist dort eine Alternative, wo sie den Verfassungsbruch jeden Tag wortreich propagiert; gerade dann, wenn sie Äußerungen verschmitzt wieder zurücknimmt, weil sie angeblich "niemanden verletzen wollte". Das gilt für Alexander Gauland in dessen Verhältnis zu Jérôme Boateng im vorgestellten Ghetto, wo der Fußballer keine Nachbarn stören würde. Das gilt für eine Herzogin von Oldenburg, verheiratete Storch, die Waffengewalt gegen Schutz suchende Kinder und Frauen befürwortet.

Die AfD ist dann im eigentlichen Sinn verfassungsfeindlich so wie jeder, der bei einer Wahl sein Kreuz bei dieser Partei macht. Nicht weil diese Parteiung "den Staat" als solchen bekämpfen würde. Sondern weil sie die verfasste Ordnung als Minimalkonsens in eine tödlich determinierte Abwärtsspirale "des Volkes" verwickelt.

Wäre es also nicht an der Zeit, den Radikalenerlass, auf rechts gewendet, den Professoren, Lehrern, Polizeibeamten und Richtern angedeihen zu lassen, die ganz ungeniert diesem Verfassungsbruch auch nur Vorschub leisten? Wäre es nicht ein dankbares Aufgabengebiet für den Verfassungsschutz, statt 14-jährige zu belauern, den braunen Sumpf aus Programmatik, Militanz und Propaganda per Astro-Turfing in den sogenannten Sozialen Medien trocken zu legen? Wäre es also nicht Zeit, diese Personen ebenso dingfest zu machen wie deren in jeder Hinsicht menschenfeindliches Umfeld auszuleuchten?

Die einzige bisher zeitgemäße Antwort hat die Zivilgesellschaft geleistet. Sie ist überall dort eingesprungen, wo der Staat versagt hat, weil dessen Funktionäre versagen wollten, egal ob bei Speisungen oder in der Flüchtlingshilfe. Sie hat das bislang in aller Stille getan, weil angesichts der Herausforderungen keine Zeit mehr übrig war, diesen Einsatz zu bewerben. Oder weil das Propagandagekreisch der neuen Herrenmenschen so bedrohlich geworden ist, dass Kommunikation wie bei "Mohabit hilft!" nur noch in geschlossenen Facebook-Gruppen erfolgen kann.

Wenn es einen Zustand gibt, dass sich Politik mangels Zuhören von den Menschen entfernt hat, dann ist er hier anzutreffen: Wo die Not nicht als "Furcht" nur vorgestellt und phantasiert, sondern ganz konkret ist, bei Hilfsbedürftigen ebenso wie bei Helfern. Wahlenthaltungen haben dann einen ebenso konkreten Grund: Wer derartigen Einsatz nicht nur nicht honoriert, sondern schlicht ignoriert und in Teilen hintertreibt, hat jeden Anspruch auf repräsentatives Gewähltsein verspielt.

Mit ihrem Einsatz beweist die Zivilgesellschaft nicht nur Gemeinsinn. Sie zeigt, dass Demokratie lebendig ist und jeden Tag bestätigt sein will. Das ist die klarste Kante in einem Deutschland, das Zukunft haben soll.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Joseph Seidl

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