Englands Spiel mit dem Feuer

Brexit Englands Premierministerin hat einen Zeitplan vorgelegt. Ihre Selbstsicherheit dürfte nur aufgesetzt sein.

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Nun ist er also da der Zeitplan des Vereinigten Königreichs, um aus der EU auszutreten. Vor den eigenen Tories und zahlreichen Medien, adressiert aber an die Schaltzentralen auf dem Kontinent, hat Premierministerin Theresa May den kommenden März genannt. Dann werde ihr Land das Verfahren gemäß Artikel 50 EU-Vertrag auslösen.

Das Versprechen ist eine Mogelpackung und ein Schachzug zugleich.

Schachzug deswegen, weil May das Vorhaben mit einem Gesetz verbindet, der von ihr so benannten Great Repeal Bill, zu Deutsch etwa: Das große Widerrufsgesetz. Was es konkret enthalten soll, lässt die Regierung im Wesentlichen noch offen. Aus dem Wenigen, was bekannt ist, kann nur entnommen werden, dass der Grund des Brexit unverhandelbar bleiben soll: Die Personenfreizügigkeit und damit eine tragende Säule des Europäischen Projekts.

So wie die Premierministerin einerseits diese Position einzementieret, lockt sie auf der anderen Seite damit, dass die "Rechte von Arbeitnehmern im britischen Recht gewahrt bleiben" sollen. Damit soll erkennbar den Angehörigen der anderen EU-Staaten eine begründete Angst genommen werden. In den letzten Wochen hatten sich die gewalttätige Übergriffe insbesondere auf Personen aus dem östlichen Teil der EU gehäuft. Der polnische Staatsangehörige Arkadiusz Jóźwik war Ende August von einer Jugendbande in Essex zu Tode geprügelt worden.

Der Reigen der Bedingungen, unter denen Theresa May und ihr Austrittsbeauftragter David Davis verhandeln wollen, ist damit eröffnet.

Die Ankündigung ist aber auch eine Mogelpackung. Denn die nach außen getragene Zuversicht ist nur aufgesetzt. In Wirklichkeit ist seit dem Referendum vom 23. Juni eine zentrale Frage politisch wie juristisch unbeantwortet geblieben: Die nach der Verbindlichkeit des Volksvotums.

In Großbritannien gibt es keine Rechtsgrundlage, dass Referenden per se rechtsverbindlich machen würde. Auch war die jetzige Abstimmung von der Vorgängerregierung unter David Cameron nur als politische ausgegeben worden. Demzufolge sind mehrere Klagen eingereicht worden, die sich darauf stützen, dass das Exekutiv das Verfahren nach Artikel 50 nur aufgrund einer Entscheidung des Parlaments einleiten dürfe. Bis zu einem rechtskräftigen Urteil, die sicher erst vor dem Obersten Gerichtshof ergehen wird, kann es noch weitaus länger dauern als bis kommenden März.

Dass Theresa May andererseits auf eine Mehrheit im Parlament setzen könnte, ist nicht ausgemacht. Sie hätte nicht nur die gesamte proeuropäische Labour-Partei gegen sich. Auch die nach wie vor zahlreichen Anhänger von Cameron, die das Brexit-Votum eigentlich als Profilierung gegenüber den Separatisten wie Boris Johnson oder UKIP nutzen wollten, werden versucht sein, nach der zweiten Chance zu greifen.

Ein unanständiges Angebot

Speziell ihnen wird mit dem Great Repeal Bill der Appetithappen vorgelegt, bei einer umfassenden Neuaufsetzung des britischen Rechts ein Wort mitzureden. Und sich damit in den eigenen Wahlkreisen zu profilieren. Denn auch diese Aussicht erscheint verführerisch: Selbst wenn das Gesetz alsbald verabschiedet würde, seine Wirkungen sollen erst in Kraft treten, wenn der Brexit-Prozess abgeschlossen ist. Das alles projiziert May auf Parlamentswahlen, die erst im Jahr 2020 stattfinden sollen.

Eine lange Zeit, um sich verdient zu machen. Oder eine Niederlage schließlich ohne Gesichtsverlust eingestehen zu können. Der rechte Preis, um ein Gesetz auf den Weg zu bringen, das als parlamentarische Zustimmung zum Brexit ausgelegt werden kann, obwohl es kaum jemand mehr will.

Ganz gleich, ob Theresa May damit eine Disziplierung der eigenen Abgeordneten anstrebt oder sie zu korrumpieren versucht: Auf Europa bezogen gibt es einen klaren Punkt. Die Personenfreizügigkeit wird es mit ihr nicht mehr geben. So definiert sich die Position zahlreicher anderer neo-nationalkonservativer Politiker und Parteien in mehreren europäischen Ländern, gleich ob in Österreichs ÖVP, Deutschlands aufstrebender AfD oder bei den französischen Republikanern. Selbst in der Schweiz droht die SVP mit der Kündigung des entsprechenden Abkommens mit der EU aus dem Jahr 2002.

Das ist für eine Europäische Union, die sich selbst und ihre Grundakte ernst nimmt, kein Angebot, sondern bereits der inhaltliche Austritt noch vor der formellen Erklärung. Giuliano Amato, der ehemalige italienische Ministerpräsident, der Art. 50 formuliert hatte, sagte unlängst in einem Interview: Die Klausel "sollte wie ein Feuerlöscher sein, der nie benutzt wird. Stattdessen hat es einen Brand gegeben." Daneben zu stehen und abzuwarten, wird ihn nicht löschen.

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Geschrieben von

Joseph Seidl

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