Keine Geiseln

Brexit Das Oberhaus des Londoner Parlaments hat den Austritt aus der EU erstmals an eine Bedingung geknüpft. Ein Kommentar

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Die Abstimmung ist wie ein Paukenschlag gewesen. Mit 358 zu 256 Stimmen hat das Oberhaus des Parlaments gestern die Zustimmung zum Brexit an eine Bedingung geknüpft: Den im Vereinigten Königreich aufhältigen rund 3 Millionen EU-Bürgern müssten auch nach der Erklärung des Austritts aus der Union die bisherigen Rechte garantiert werden, im Land zu leben und zu arbeiten.

Sie wären damit nicht mehr eine Verhandlungsmasse der Regierung. Den Plänen von Premierministerin Theresa May zufolge hätte sich deren Schicksal danach gerichtet, wie umgekehrt die EU-Mitgliedsstaaten sich zu britischen Staatsbürgern im eigenen Land verhalten. Das Ziel: Nicht lediglich die Union als solche, sondern deren Mitglieder in Einzelverhandlungen zu verwickeln.

Mit dem Wegfall der EU-Bindung wären Angehörige des Vereinigten Königreichs einerseits nicht mehr vom Diskriminierungsverbot aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit gemäß Art. 18 AEUV geschützt. Andererseits wären die einzelnen EU-Staaten in die Lage versetzt, etwa über eigenständige Visa-Regelungen mehr oder weniger Entgegenkommen Großbritannien gegenüber zu zeigen. Dieser Verhandlungsweg wäre der Türöffner auch zu jeweils bilateralen Wirtschaftsabkommen, die das Exekutiv May anstrebt, nachdem es dem gemeinsamen Markt insgesamt eine Absage erteilt hat.

Dass sich im Oberhaus, traditionell nicht zuletzt wegen der Crossbencher konservativ abstimmend, nun seinerseits eine Spaltung offenbart, ist nicht überraschend. Wenn es um übersteigerte nationale Ansichten und Politiken geht, ist das Vereinigte Königreich stets ambivalent aufgestellt gewesen. So kann das derzeitige Ergebnis nicht bereits als Niederlage für Theresa May gewertet werden, die den Antrag nun wieder dem Unterhaus vorlegen wird, um ihn dort mit ihrer Mehrheit überstimmen zu lassen.

Der bisherige Verlauf legt vielmehr nahe, dass eigentlicher Verlierer Labour unter Führung von Jeremy Corbin ist. Der hatte seine Fraktion im Unterhaus nicht nur auf den unbedingten Brexit nach Mays Vorstellungen festgelegt, sondern dazu den Fraktionszwang ausgerufen. Gleichwohl versagten ihm 52 Abgeordnete, mithin rund 25 Prozent seiner Fraktion, die Gefolgschaft und votierten am 8. Februar gegen den Fahrplan der Regierung und die Vorstellung der eigenen Parteileitung.

Konservative Kräfte erscheinen damit einerseits mit der Gallionsfigur Theresa May als Macher und Entscheider, andererseits mit dem Votum im Oberhaus als Mahner und letzte Verteidiger erworbener Rechte von Nichtbriten. Sie können sich insgesamt als diejenigen feiern, die tiefgreifende Umwälzungen im Königreich herbeiführen, ohne das Land zu spalten, die das Ergebnis der Volksbefragung vom Juni 2016 nicht in Frage stellen, aber doch interpretieren. Und sie weisen nunmehr der EU und ihren Staaten den schwarzen Peter zu, die Ausländerfrage zu beantworten: Britannien wäre so in Vorleistung getreten.

Der Fahrplan, Ende des Monats das Austrittsverfahren zu formalisieren, wird damit nicht aufzuhalten sein. Das ist auch nicht die Absicht der Konservativen: Sie wollen gerade wegen des knappen Votums vom Juni die vollständige Deutungs- und Handlungshoheit. Die Schwäche von Corbyn und Labour erlaubt es ihnen widerstandslos.

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Geschrieben von

Joseph Seidl

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