An was denken Sie, wenn Sie das Wort Diversität lesen? An Gleichberechtigung von Frauen? An Menschen mit Migrationshintergrund? Es gibt aus meiner Sicht eine Diversitätsdimension, die bei jeglichen Diversitätsthemen noch wenig Beachtung bekommt: Behinderung.
Es fängt schon beim Wort an. Es gibt so viel Unsicherheit, ob dieses Wort „okay“ ist. Das ist erst mal ein gutes Zeichen, denn es bedeutet ein Auseinandersetzen mit Sprache. Doch dabei kommt leider zu oft heraus: Behindert ist ein Schimpfwort, das Jugendliche benutzen, deshalb wollen behinderte Menschen bestimmt nicht so genannt werden. Also wird zu Euphemismen wie „besondere Bedürfnisse“, „Handicap“ oder „Einschränkung“ gegriffen. Oder es wird in Aufzählungen und Forderungen einfach weggelassen, weil man ja noch googeln wollte, ob das Wort nun in Ordnung ist oder nicht.
Das Bild von Behinderung ist oft kein eindeutiges. Laut Gesetz sind es „Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können. Als langfristig gilt ein Zeitraum, der mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate andauert.“ Doch nicht jede*r bekommt einen Schwerbehindertenausweis. Behinderung wird oft reduziert auf körperliche Merkmale. Aber Behinderung ist so viel mehr als Rollstuhlfahrer*innen. Behinderungen können auch unsichtbar sein. Das Mitnennen in der Diversitätsaufzählung kann nur der erste Schritt sein.
Eigentlich ist es kein Wunder, dass Behinderung so ein wabernder Begriff ist, der schwer, negativ und dramatisch klingt, an den sich nicht alle herantrauen. Kennen Sie eigentlich jemanden mit Behinderung? Klar, ich selbst fordere Sie gerade auf, Ihre Bekannten oberflächlich einzustufen und dabei natürlich eher vom Äußeren auszugehen. Wenn Ihnen niemand einfällt, außer vielleicht der Physiker Stephen Hawking (ah, ein Rollstuhlfahrer!), dann überrascht das nicht. Menschen mit Behinderung haben oft einen vorgezeichneten Weg: Förderschule – Werkstatt fern des ersten Arbeitsmarktes – Wohnstätte. Nun, wenn Sie diesen Text lesen, dann kennen Sie neben Stephen Hawking nun auch mich, eine weitere Rollstuhlfahrerin.
Es braucht Gesichter und Geschichten zum Begriff, um ihn in den normalen Sprachgebrauch übergehen zu lassen.
Judyta Smykowski ist freie Journalistin
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