Visionen? Brauchen wir!

Buchbesprechung Der Ökonom Stefan Mekiffer erklärt in „Warum eigentlich genug Geld für alle da ist“ den Irrsinn, der nach wie vor an den Universitäten der westlichen Welt gelehrt wird

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Visionen? Brauchen wir!

Foto: NORBERTO DUARTE/AFP/Getty Images

Aus den Reihen meiner Generation tönte jahrelang die Beschwerde, dass ein großer Teil der Nachkommenschaft sich nur noch auf popkulturelle Trends fokussieren würde, ansonsten unpolitisch, kritiklos und konsumaffin wäre. Zurecht, wie ich damals fand.

Das scheint Schnee von gestern zu sein. Die herrschenden Verhältnisse zwingen offenbar dazu, sich Gedanken über den Zustand der Welt zu machen, auch wenn die Verpopung aller Lebensbereiche, mundgerecht serviert gerade für 20 bis 30-jährige, weiter voranschreitet.

Ob man in diesem Alter momentan ganz old-fashioned marxistischen Jugendorganisationen beitritt oder wie vor wenigen Jahren der Occupy-Bewegung, oder aber ganz klassisch in einer Partei mitmischt, ist wahrscheinlich eine Frage des Sentiments.

Mir gefällt besonders die Gruppe derer, die Visionen hat. Wer Visionen hat, sollte meiner Meinung nach eben gerade nicht zum Arzt gehen, wie Helmut Schmidt es einst empfahl. Ob es sich dabei um Share Economy, Grundeinkommensprojekte oder neue Formen des Zusammenlebens handelt – die ideologiefreie Frische, mit der diese Projekte ersonnen und vorangetrieben werden, lässt im Gegenteil auf einen recht intakten Geisteszustand schließen. Dazu später mehr.

Zunächst zur Sache:

Zu der Gruppe der wendigen jungen Geister gehört der 28jährige Ökonom Stefan Mekiffer. Er schrieb das Buch, das er nach eigener Aussage zu Beginn seines Studiums der Wirtschaftslehre gern selbst gelesen hätte:

„Warum eigentlich genug Geld für alle da ist“

Um es gleich auf den Punkt zu bringen: Mekiffer will den Irrsinn aufzeigen, der nach wie vor an den Universitäten der westlichen Welt gelehrt wird. Die angebliche Alternativlosigkeit des Wirtschaftssystems, die aber letztlich nur ein riesiger Kontrollapparat ist. Das gelingt ihm. Bei jedem seiner Beispiele, anschaulich und unterhaltsam dargebracht, erkennt man bereits nach dem ersten Absatz: Diese Nummer wird scheitern.

Genau. Willkommen in unserer Realität. Dies ist kein Buch, das Fachwissen erfordert. Einzige Voraussetzung: Man muss in der westlichen Welt leben. Schon erkennt man die Alltäglichkeit der fatalen Herrschaft des Geldes, hier mit wasserdichtem, kerngesundem Menschenverstand und philosophischer Pfiffigkeit entlarvt. Und wir alle spielen immer und immer noch mit, sogar dann noch, wenn wir bereits zu den vielen gehören, die nur noch am Gnadentropf des Kapitalismus hängen, damit aber immerhin den guten Zweck erfüllen, ein warnendes Beispiel für die jenigen abzugeben, die unermütlich im Takt des Mantras „Du kannst es schaffen“ weiter strampeln.

Anhand des Beispiel eines Dorfes, das sich einst selbst versorgte, stellt Mekiffer dar, wie eine Geldwirtschaft tiefgreifend die Gesellschaft wandelt – und schließlich zerstört.

Wie detailliert hinterfragt man im Alltag, was hinter der heiligen Kuh Bruttoinlandsprodukt steckt? Warum wird Religion im Westen oft als nicht mehr zeitgemäß belächelt, der genauso emotional besetzte Religionsersatz Wirtschaft aber nicht? Was genau ist in Griechenland, das angeblich gerettet wurde, passiert? Warum kommt das Land nicht auf die Beine, warum leben immer mehr Menschen dort auf der Straße, haben keine Krankenversicherung und nichts mehr zu essen, obwohl doch bereits Unsummen geflossen sind?

Die Antworten sind erschütternd.

Eigentlich kennen wir sie bereits. Oder erahnten sie zumindest, aber… okay, nicht heute. Es gibt ja doch keinen echten Ausweg. So wird es uns zumindest von klein auf suggeriert.

Wir haben den über Jahrhunderte ersehnten Wohlstand längst erreicht, sagt Mekiffer, wir kämen mit der Hälfte der Arbeitszeit bestens über die Runden, wenn diese gerecht verteilt wäre. Er untermauerte seine These anschaulich.

Und warum hören wir nicht endlich auf mit dem Wahnsinn?

Die Antwort mag lauten: Weil wir so erzogen sind, weil es (immer noch) zu bequem ist, einfach mitzumachen, selbst wenn von den Armen ganz selbstverständlich eine immer höhere Moral gefordert wird, keineswegs aber von der ´besitzenden Klasse`, um mal den etwas altmodischen Kampfbegriff einzuwerfen.

Der Faktor Psychologie, an dem letztlich das ganze Elend klebt wie am Fliegenfänger, ist das einzige, was meiner Meinung nach etwas zu kurz kommt im Buch. Es kostet einfach zu viel Energie und zu viel Mut, aus Traditionen auszubrechen. Unsere Spezies hat mehr als einmal bewiesen, dass sie aufgrund dieser Schwachstelle zur Verfügungsmasse mutieren kann; in Puncto Wirtschaft zu einer Konsum-abhängigen Armee, die willig hilft, für den Profit weniger die Umwelt zu zerstören, andere Länder auszubeuten, und ihnen dafür gönnerhaft `Entwicklungshilfe´ zu zahlen. Wir verkaufen unsere kostbare Lebenszeit für einen Appel und ein Ei, denn wir haben gelernt, es gern zu tun, danach zu lechzen, malochen zu ´dürfen´.

Mekiffers Lösung lautet „Schwundgeld“, also zinsloses Geld, Geld mit Verfalldatum. Unter anderem soll damit auch ein bedingungsloses Grundeinkommen gezahlt werden.

Über zinsloses Geld ist bereits viel geschrieben worden, von nachvollziehbar bis utopisch, es liest sich jedoch immer interessant. Vielleicht ist Geld mit Verfalldatum wirklich ein gangbarer Weg aus dem Dilemma. Der lange Todeskampf des Kapitalismus treibt die Menschen ja keinesfalls mehr zur Einnahme der ollen Medizin Sozialismus, wie sie bereits mehrmals erfolglos versucht worden ist.

Bei Mekiffer wird für Kooperation plädiert, weil Wettbewerb in seiner letzten Konsequenz nur in den weltweiten Ruin führen kann. Es gibt im Buch Parallelen zur Idee Sozialismus. Sie sind vom ideologischen Muff befreit und neu überdacht. Deshalb ist es ja so unter anderem so nötig und wichtig, dass man Visionen hat.


Der Autor:
Stefan Mekiffer, Jahrgang 1988, hat Wirtschaft, Kulturwissenschaften, Politikwissenschaften und Philosophie in Maastricht, Paris und Berlin studiert. Neben seiner Tätigkeit als Autor gründet Stefan Mekiffer gerade einen Waldgarten und tritt als Klezmer-Musiker auf. Er lebt in Berlin und Landau. (Quelle der Autoreninformation: Hanser Verlag, wo das Buch „Warum eigentlich genug Geld für alle da ist“ kürzlich erschienen ist)

Wir sind gerade darum bemüht, Stefan Mekiffer für Herbst 2016 in unsere BGE-Radiosendung Der Bedingungslose Nachmittag einzuladen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Juliane Beer

Schriftstellerin und Aktivistin für ein weltweites Bedingungsloses Grundeinkommen

Juliane Beer

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