Gewalt und Gehorsam

Recht Ein Jahr nach der Reform des Strafgesetzbuches am 30. Mai 2017 zeigt sich, dass durch diese Gesetze alles zu Gewalt erklärt werden kann, was nicht Gehorsam ist

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Vorsicht, Tatwaffe!
Vorsicht, Tatwaffe!

Foto: MabelAmber/Pixabay (CC 0)

Am 31. Mai 2018 jährt sich die versuchte Abschiebung des Berufsschülers Asef N., die etwa 300 Menschen durch eine Blockade verhinderten1. Einen Tag zuvor ist das Strafgesetzbuch zum Schutz von Vollstreckungsbeamten geändert worden.2 Ein jetzt laufender Prozess gegen einen der Demonstrierenden zeigt, dass mit diesen Gesetzen nicht nur gewaltsames, sondern auch ungehorsames Verhalten gegenüber der Exekutive strafverfolgt wird.

Am 06. Juni findet der fünfte Verhandlungstag gegen einen 32-Jährigen statt, dem von der Staatsanwaltschaft tätlicher Angriff auf und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, sowie versuchte Gefangenenbefreiung vorgeworfen wird. Er soll sein Fahrrad ruckartig zwischen den Berufsschüler Asef N. und die Polizei geschoben haben. Verletzte Polizeibeamte gab es dabei nicht.3 Dass dennoch die Strafe hoch ausfallen kann, liegt an einer Aufrüstung des Strafrechts, die seit Jahrzehnten stattfindet. Trotz massiver Kritik aus juristischen Kreisen wurden die Paragraphen 113 und 114 in den letzten sieben Jahren zwei mal verschärft. Ihr Sinn wurde dabei verkehrt.

Paragraph 113 regelt den Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Wer einem Amtsträger oder Soldaten bei der Vollstreckung einer Diensthandlung mit Gewalt oder durch die Drohung derselben Widerstand leistet, kann mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt werden. Als 1970 dieses Gesetz reformiert wurde, lag die Höchststrafe bei zwei Jahren. Es sollte eine „Privilegierungsvorschrift“ sein, „der die Erwägung zugrunde liegt, daß dem Bürger, gegen den eine Amts- oder Diensthandlung durchgeführt wird, ein gewisser Erregungszustand zugute zu halten ist.“4 Bei vergleichbaren Situationen zwischen Bürger*innen und Bürger*innen galt der Nötigungsparagraph 240, der einen Strafrahmen von drei Jahren umfasst. Diese Privilegierung wurde durch die Anhebung des Strafrahmens auf drei Jahre 2011 aufgehoben.

In derselben Reform wurden besonders schwere Fälle neu definiert, die mit sechs Monaten bis fünf Jahren Freiheitsentzug bestraft werden. Dazu gehörte das Beisichtragen eines gefährlichen Werkzeuges mit der Absicht, es zu verwenden. Diese Ergänzung wurde von Jurist*innen heftig kritisiert, da die Einschätzung, was ein gefährliches Werkzeug ist, vor Gericht erheblich schwankte.5 Statt diese Kritik aufzunehmen, wurde bei der Reform im Mai 2017 die Verwendungsabsicht gestrichen. Nicht nur ist unklar, was als gefährlicher Gegenstand gilt, auch ihn zufällig bei sich zu tragen, kann strafbar sein. Zusätzlich wurde als besonders schwerer Fall das gemeinschaftliche Begehen der Tat eingeführt. Eine ebenfalls uneindeutige Bestimmung. Wann begehen Menschen gemeinschaftlich eine Widerstandshandlung mit Gewalt oder der Androhung mit Gewalt? Diese Frage ist auch deswegen schwer zu beantworten, da der Begriff der Gewalt in der Rechtsgeschichte erheblichen Schwankungen unterlag.

Bei der Reform in den 70ern wurde erwogen, explizit in das Gesetz zu schreiben, dass der Gewaltbegriff enger als bei Nötigungshandlungen auszulegen sei. Denn 1969 begann die Strafverfolgung von Sitzblockaden als gewaltsame Nötigung. Das Besetzen einer Straße wurde als Gewaltanwendung verstanden, mit der das Bremsen oder Nichtbegehen einer Straße psychisch erzwungen wurde, auch wenn keine anderen Arten von Gewalttätigkeit ausgeübt wurden.6 Letztlich war der damalige Ausschuss der Meinung, dass es selbstverständlich sei, dass der Gewaltbegriff hier enger ausgelegt werden würde.7 Eine Fehleinschätzung. Bei einem der Prozesse nach G20 in Hamburg wurde ein Niederländer unter Anderem für seinen gewaltvollen Widerstand gegen seine Verhaftung verurteilt. Die Gewaltsamkeit seines Widerstandes lag darin, dass er sich in Embryonalhaltung zusammenkrümmte und seine Muskeln anspannte.8

In den 70ern wurde auch der tätliche Angriffe auf Vollstreckungsbeamte als eigene Straftat reformuliert. Grund dafür war unter Anderem, dass es die Straftat der versuchten Körperverletzung nach § 223 StGB damals nicht gab. Auch schwere Körperverletzung § 224 war sehr viel begrenzter definiert.9 Beides wurde 1998 geändert. Schwere Körperverletzung lag bei konkreten Folgen vor, wie dem Verlust eines wichtigen Körpergliedes, des Wahrnehmungs- und Sprechvermögens, der Zeugungsfähigkeit oder wenn eine dauernde Entstellung, „Siechthum“, Lähmung oder „Geisteskrankheit“ die Folge war.10 1998 wurde die schwere Körperverletzung in gefährliche Köperverletzung umgewandelt. Die Folgen wurden dabei gestrichen, stattdessen wird die Tat über die verwendeten Mittel definiert. Wie bei den Reformen bezüglich des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte, besteht ein Mittel darin, dass die Tat gemeinschaftlich begangen wurde (§ 224, 4) oder mithilfe eines gefährlichen Werkzeuges (224, 4). Sowohl für die einfache wie für die gefährliche Körperverletzung wurde allein der Versuch als strafbar definiert.11

Vor diesem Hintergrund, wird der tätliche Angriff auf Vollstreckungsbeamte nur dann angewendet, wenn diese Gesetze nicht gelten. Also bei Fällen, die unterhalb der versuchten Körperverletzung anzusiedeln sind, „nämlich dann, wenn der Täter eine Verletzung nicht intendiert hat“.12 Das ist der Grund, weshalb die Staatsanwaltschaft bei dem Schieben eines Fahrrades zwischen Polizisten und Asef N. von einem Angriff auf Vollstreckungsbeamte sprechen kann. Seit der Reform von 2017 wird eine solche Straftat mit mindestens drei Monaten und bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe geahndet.

Nicht nur die Gesetze, auch die Diskurse haben sich seit den 70ern verändert. Bei der Reform 1970 wurden die Konsequenzen für das Demonstrationsrecht offen und ausführlich diskutiert. Zu den 33 eingeladenen Sachverständigen gehörten Vertreter*innen der beiden Dachverbände der Studierendenschaft (ADS und VDS), des Deutschen Bundesjugendringes und des Ringes politischer Jugend.13 Bei der letzten Strafrechtsreform waren bei der Anhörung am 22.03.2017 sieben Sachverständige eingeladen, drei davon aus der Berufsgruppe der Polizei. Der teilnehmende Jurist Professor Henning Ernst Müller kritisierte dieses Verhältnis dafür, dass die Gewerkschaft der Polizei als Lobby ihrer Berufsgruppe einen Sonderstatus als Opfer zuschreiben würde. Vertreter der Polizeigewerkschaft empörten sich über die Bezeichnung „Lobby“.14

Dass diese Gesetze eine schwere Einschränkung des Demonstrationsrechts bedeuten, zeigte die Blockade der Abschiebung in Nürnberg. Unbeteiligte Zeug*innen der Situation, zwei Pfarrerinnen und ein Dekan der daneben gelegenen evangelischen Kirche, sowie eine Redakteurin und ein Pressefotograf der Nürnberger Nachrichten, äußerten sich einstimmig, dass die ersten Gewalthandlungen von der Polizei ausgingen.15 „Wir haben wahrgenommen, dass die Anwendung polizeilichen Zwangs nicht erst als Reaktion auf irgendwelche Angriffe erfolgt ist, sondern von der Polizei kam, die gegen die Demonstranten vorging, die auf der Straße saßen.“16 Auch wurde die Versammlung nicht aufgelöst, bevor die Polizisten gewaltsam eingriffen.17 Zudem war die Abschiebung nicht rechtmäßig. Das Landgericht Nürnberg-Fürth rügte die Vorgehensweise der Regierung von Mittelfranken, da Asef N. den Ablehnungsbescheid erst erhielt, als er schon verhaftet wurde. Gegen einen solchen Bescheid hatte er das Recht, innerhalb einer Woche Widerspruch einzulegen.18 Dieses Recht wurde ihm durch den Zugriff verwehrt, der ihn direkt zu dem Flughafen fahren und in ein Flugzeug setzen sollte. Insofern ist fraglich, ob die Anklagepunkte gegen die Demonstrierenden überhaupt bestehen können, da Widerstand gegen Vollstreckungen nicht strafbar ist, „wenn die Diensthandlung nicht rechtmäßig ist.“19 Allerdings liegt der Fokus der Strafverfolgung nicht auf dem Handeln der Polizei, sondern auf dem Handeln der Demonstrierenden.

Bereits 2011 hatten Professor Tobias Singelnstein und Dr. Jens Puschke bei der Reform des Strafrechts kritisiert, dass mit der Neufassung der Gesetze der Polizei eine machtvolle Konfliktressource an die Hand gegeben wird, eigene Gewaltanwendungen auch im Nachhinein zu legitimieren. Ohnehin unterliegt die Strafverfolgung von Rechtsbrüchen im Amt einem strukturellen Problem. Zwar übernimmt die Staatsanwaltschaft das Verfahren, wenn Anzeige gegen Polizisten gestellt wird. Die Untersuchung wird aber von der Polizei geführt, bei der Kolleg*innen gegen Kolleg*innen ermitteln. Auf dieser Grundlage entscheidet die Staatsanwaltschaft und stellt in den meisten Fällen das Verfahren ein.20 Etwas, das der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im November 2017 explizit an der Einsatz- und Aufklärungsarbeit der USK-Einheiten gerügt hatte21, die auch bei der Demonstration gegen die Abschiebung von Asef N. eingesetzt wurden.22 Wegen eines Vorfalls 2007 kritisierte der Straßburger Gerichtshof, dass Beweise verschwunden waren, eingesetzte Beamte nicht vernommen worden waren und die Polizisten ohne Namens- und Nummerschilder unidentifizierbar blieben. Ohne Identifizierung konnte auch diese gerichtliche Instanz den Fall nach zehn Jahren nicht aufklären.23

Der Strafverfolgung von Rechtsbrüchen im Amt liegt ein weiteres Hindernis im Weg, das Phänomen der Gegenanzeige. Wird ein Strafverfahren wegen Körperverletzung im Amt gestellt, folgt im Gegenzug häufig eine Gegenanzeige wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte.24 Eine Einschüchterung, von der die Teilnehmenden der Demonstration im Mai letzten Jahres berichteten.25 Und wohl zu Recht, denn Strafverfahren wurden nur gegen Demonstrierende eingeleitet.26 Einschüchterung erfuhren nicht nur die Demonstrierenden, sondern auch die Zeug*innen. Der Dekan einer evangelischen Kirche, Christopher Krieghoff berichtete, dass er bei seiner Vernehmung als Zeuge der Abteilung Interne Ermittlungen des Landeskriminalamts nicht zu dem Verhalten der Polizeibeamten befragt wurde. Stattdessen wurden seine dem Einsatz der Polizei gegenüber kritischen Äußerungen in ihrem Wahrheitsgehalt hinterfragt. An dem Prozesstag am 4. April 2018 erschien eine Zeugin vor Gericht mit anwaltlichem Beistand. Auf Nachfrage der Richterin führte sie ihre Anhörung beim Landeskriminalamt als Grund an.27

Dass sich die beteiligten Polizisten nicht dafür verantworten müssen, dass sie möglicherweise die ersten Gewalthandlungen begangen hatten, während die Demonstrierenden nun für ein Verhalten bestraft werden, das sie als Reaktion gezeigt hatten, sendet eine deutliche Botschaft. Wer nicht Gehorsam zeigt und Anweisungen folgt, ist sowohl physischer Gewalt als auch Strafverfolgung ausgesetzt. Singelnstein und Puschke sahen diese Konsequenzen des Strafrechts 2011 voraus und stellten fest, dass gesellschaftliche Konflikte so vielleicht beherrschbar gemacht werden können. Gelöst werden sie aber nicht.

19§ 113 StGB.

24Vgl. S. Messer, Die polizeiliche Registrierung von Widerstandshandlungen, 2009, S.55f., 79f., zitiert nach Singelnstein & Puschke, NJW 48/2011. S. 3476.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Judith Schneider

Doktorandin Rechtsphilosophie

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