Adorno, Analyse, 68

Nachruf Wie links war Hans-Martin Lohmann?
Ausgabe 20/2014

Er war der 68er pur – der 1944 in Bergneustadt geborene Hans-Martin Lohmann. Sein Vater, ein Pfarrer, hatte in der NS-Zeit der Bekennenden Kirche angehört, und deshalb machten ihn, als die Bundeswehr aufgebaut wurde, die Evangelischen im Rheinland zum Beauftragten für die Wehrdienstverweigerer. Für den Sohn Hans-Martin ein Grund, sich freiwillig zum Barras zu melden. Einige Jahre später allerdings, aus Protest gegen den Vietnamkrieg, verbrannte er seinen Wehrpass. Da hatte er aber schon bei Adorno studiert. Wieder etwas später wurde er, noch nicht 30-jährig, Wissenschaftslektor im Suhrkamp-Verlag. Dann ging er als Redakteur zur Zeitschrift Psyche, deren Chefredakteur er von 1974 bis 79 war.

Das war die Zeit, in der Lohmann die fruchtbarste Wirkung entfaltete „Das Unbehagen an der Psychoanalyse“ sowie „Psychoanalyse und Nationalsozialismus“ waren Titel und Schlagworte, die seinen Namen bekannt machten. Marx und Freud waren wiederum die Namen, an denen er sich als Sterne erster Ordnung auf seinem Weg als Intellektueller und Autor orientierte. Da fühlte er sich gut geleitet. Als Homo politicus fühlte er sich als Linker mal so, mal so. Aber nicht er war schuld daran, dass es gemischte Gefühle blieben. Lohmann war zu intelligent, um nicht zu sehen, dass es eine politische Linke in Deutschland nicht gab. Zwar hatten die 68er „Enteignet Springer“ gerufen, zwar hatten Suhrkamp-Lektoren versucht, dem übermächtigen Siegfried Unseld den Verlag zu entreißen – Lohmann verehrte Karl Markus Michel, der dabei am meisten verlor –, aber daraus war nichts geworden.

Unseld und all ihm ergebenen Autoren verstanden sich selbst als links. Doch das war die Betriebsratslinke. Der ging es nicht um Vergesellschaftung der Produktionsmittel, sondern um Urlaubszeiten, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und die Qualität des Kantinenessens. Das nahm Lohmann durchaus ernst, das musste sein. Den Menschen sollte es besser gehen. Aber links? An ihren guten Tagen besorgte das die CDU auch, konnte er sagen. Dennoch war ihm die SPD lieber. Als Publizist, der er bis zu seinem Tod in der vergangenen Woche blieb, bevorzugte er ihre Blätter oder solche, die ihr nahestanden.

In Heidelberg wohnte Hans-Martin in derselben Straße wie ich, einige Häuser weiter. Etliche Jahre fuhren wir morgens mit demselben Zug nach Frankfurt, montags bis freitags, immer eine Stunde anregender Unterhaltung. Er zog mich mit der FAZ auf, gemeint war nicht die Zeitung, sondern das, wofür sie stand. Ich zog ihn mit Freud und der Psychoanalyse auf. Er belehrte mich, dass ich Freud nicht bei den Medizinern, sondern bei den Kulturtheoretikern suchen soll. Das sahen freilich die Abonnenten und Geldgeber der Psyche ganz anders. Gegen Ende seines Lebens kehrte er zu der Antike zurück, die er in seiner Schulzeit kennengelernt hatte. Hans-Martin Lohmann konnte, wie alle 68er, sehr elitär sein. Aber er war es nicht immer.

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