Was wissen wir über den Fall Hoeneß? Auf die Tagespresse können wir uns da kaum verlassen. Sportjournalisten sind abhängig vom Wohlwollen der Vereine. Wer sich da unliebsam macht, dem nützt kein Journalistenpreis. Der Verein stellt ihn kalt. Und kein Verleger, der an die zigtausend Leser denkt, die Woche für Woche die Fußballspiele verfolgen, kann es sich leisten, dass seine Journalisten keinen Zugang mehr zu Spielern und Vereinsoberen hat.
Es war kein Zufall, dass die Fernsehsender, die unmittelbar nach Bekanntwerden der Selbstanzeige von Uli Hoeneß, Präsident des FC Bayern, die Themen ihrer Talkshows aktualisierten, dort als Sportjournalisten aber nur Rentner aufboten. Dieter Kürten beispielsweise bei Günther Jauch. Und dass der klar bayernnahe Fußballreporter Marcel Reif in der Süddeutschen matt erklärte, warum er den Einladungen nicht gefolgt sei: Er sei „ratlos“ gewesen. Das waren viele und sind es immer noch.
Die „SZ“ säuselt
Überhaupt die Süddeutsche Zeitung. Auf ihrer berühmten Seite Drei säuselte sie wie sonst nur der Bayernkurier beim Thema CSU: Spielgeld wie bei Monopoly, verrückte Welt, geheime Neider. Und die bayernaffine Bild spekulierte gar über eine Suchtkrankheit: Hoeneß wollte nicht nur, nein, er musste spielen.
Das Weißbare ist wenig. Der überaus erfolgreiche frühere Fußballprofi und nachmalige Vereinsmanager Ulrich Hoeneß hat – laut Selbstanzeige – Steuern hinterzogen. Reumütig hat er schon drei Millionen Euro an Vater Staat überwiesen. Wie viel er in der Schweiz gebunkert und lange Zeit nicht versteuert hat, ist unklar. Er hat mit dem Geld an der Börse spekuliert. Behauptet wurde: Dazu, nur dazu lag es da. Hoeneß sei ein Zocker. Bekommen hatte er das Geld, Millionen direkt und als Bürgschaft, von einem Mann vom Sportausrüster Adidas, mit dem er damals Geschäftsbeziehungen anbahnte und der dann Teilhaber beim FC Bayern wurde.
Anrüchig? Die Süddeutsche, die ihre Beziehung wie eine Kumpanei zweier Halbwüchsiger aussehen lässt, säuselt: „Keine Belege“. Wie würde sie schreiben, wenn es hier um einen Politiker ginge? Der großzügige Kumpan von Adidas weilt leider – oder praktischerweise – schon einige Zeit nicht mehr unter den Lebenden.
Hoeneß, der im Januar seinen 61. Geburtstag gefeiert hat, wollte aus der Geschichte raus. Aber nicht sogleich. Er sah noch eine Chance, relativ glimpflich davonzukommen und wartete darauf, ob das Steuerabkommen, das Finanzminister Schäuble mit der Schweiz abgeschlossen hatte, in Kraft treten würde. Das hätte ihn zwar auch Millionen gekostet, aber sein Name wäre so anonym geblieben.
Doch die rot-grüne Mehrheit im Bundesrat kippte das Abkommen. Sozialdemokratische Finanzminister versprechen sich mehr von CDs mit Kundendaten Schweizer Banken, die dort gestohlen wurden. Die kaufen sie an. Das ist zwar objektiv Hehlerei, aber das Bundesverfassungsgericht billigt diese Praxis, wohl nach dem Grundsatz „Der Zweck heiligt die Mittel“. In einem Staat, der diese Maxime oft anwendet, möchte man zwar nicht leben, aber das Thema Steuerhinterziehung macht seit einiger Zeit Furore, und so geht es. Hoeneß hatte also Pech. Wie mit einem Referee, der kein Heimschiedsrichter ist.
Warum die Aufregung, die Häme, die Enttäuschung bis hinein ins Kanzleramt? Hoeneß ist ein Großmaul. Auch jetzt beschimpft er Teile der Presse: Alles, was da über ihn gedruckt sei, werde die teuer zu stehen kommen. Gern ließ er sich nachreden, er sei die „Abteilung Attacke“ beim FC Bayern. Gnadenlos griff er Leute an, die gestrauchelt waren, wie den des Kokainkonsums erst verdächtigten, dann überführten Fußballlehrer Christoph Daum. Auch brüllte er Volkstümliches über Steuergerechtigkeit und überhaupt, wie es zugehen sollte in der Politik. Dafür wurde er gefeiert, und das genoss er. Aus damit.
Die Gegner freuen sich
Was ist falsch am jetzt aufkommenden Gerede? Hoeneß’ Verhalten und was noch dahinterstecken mag, hat nichts mit Gier zu tun. Er ist ein wohlhabender Mann, er bekommt Vortragshonorare wie Peer Steinbrück, aber er verlangt, dass sie vollständig gespendet werden. Er tut viel für andere, im Kleinen wie im Großen, finanziell und mit persönlicher Hilfestellung. Sofern man sein Temperament aushält, scheint er einer zu sein, den man gern zum Freund hätte.
Aber jetzt reden nur die Rechtsanwälte. Unbestreitbar ist, dass Uli Hoeneß immer der Beste, immer der Cleverste sein wollte. Mit dieser Haltung wurde er zur Reizfigur. Sein hochroter Kopf, wenn er von seinem Tribünenplatz in welchem Stadion auch immer eine Schmach seiner Bayern beobachten musste, war ein beliebter Gegenstand für Fernsehkameras. Seine Angriffe auf andere Vereine, wenn diese an der Dominanz der Bayern zu rühren wagten, sind legendär. Aber er half auch Vereinen, Konkurrenten, wenn sie finanziell in Not gerieten, so dem FC St. Pauli, so selbst Borussia Dortmund. Zu einer Zeit, als er noch nicht ahnen konnte, was er damit anrichtete.
Indes, solche Hilfeleistungen waren nötig. Die Attacken auf die Gegner waren häufig fällig. Vor der Auslosung der Halbfinalspiele in der Champions League tönte er, am liebsten hätte er Borussia Dortmund, denn die seien „schlagbar“. Das ist zwar nach Verlauf dieser Saison nicht falsch, aber massiv unfreundlich. Die Rache für solche Touren: Keinem Spieler seit dem Zweiten Weltkrieg ist ein Fehler auf dem Platz so oft und hartnäckig unter die Nase gerieben worden wie Hoeneß, der als Nationalspieler im Finale um die Europameisterschaft im Jahr 1976 beim entscheidenden Elfmeterschießen den Ball in den Abendhimmel über Belgrad jagte.
Kaum ein persönliches Versagen hat Uli Hoeneß mehr getroffen. Die Erfolgsbesessenheit ist sicherlich nicht erst da über ihn gekommen. Aber seit damals hat sie nicht von ihm abgelassen. Noch ein Belgrad durfte es in seinem Leben nicht geben. Nicht auf dem Platz, nicht im Verein, nicht im Geschäftsleben, schon gar nicht im Umgang mit Geld. Gerade da nicht, das hatte er als Schwabe aus Ulm vielleicht schon gelernt, bevor er die ersten Fußballschuhe anzog.
Dass er als der Ehrliche der Dumme sein müsse, akzeptierte er nicht. Aber das reicht nur, um sein Abwarten bei der Selbstanzeige – mit der er ein Unrechtsbewusstsein offenbarte – zu erklären, aber nicht um ihm geplante Steuerhinterziehung vorzuwerfen. Möglich ist, dass er über das Börsezocken mit dem Spielgeld einfach verdrängt hatte, dass das Geld steuerpflichtig war.
Die Süddeutsche hat dann doch noch zugeschlagen. Im Leitartikel griff Heribert Prantl, einst selber Staatsanwalt, heftig das Institut der Selbstanzeige an. Allein, das hat nichts mit Hoeneß zu tun. Das ist eine andere Baustelle.
Jürgen Busche ist Kolumnist des Freitag. Er hat viele Jahre lang vor allem für große Tageszeitungen gearbeitet, darunter Frankfurter Allgemeine Zeitung und Süddeutsche Zeitung. Busche war außerdem Chefredakteur der Wochenpost und der Badischen Zeitung. Er lebt in Berlin.
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