Am Tor zur Welt zu Hause

Geburtstag Was Uwe Seeler und Wolf Biermann gemeinsam haben
Ausgabe 44/2016
Uwe Seeler 1960
Uwe Seeler 1960

Foto: Horst Müller/Imago

Es hört sich an wie eine jener Geschichten, die der wunderbare Johann Peter Hebel für sein Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes aufgezeichnet, vielleicht auch nur erfunden hat. Aber an dieser Geschichte ist nichts erfunden.

Im November 1936 werden zwei Hamburger Arbeiter Väter. Der eine, Dagobert Biermann, nennt seinen Sohn Wolf. Der andere, Erwin Seeler, nennt den seinen Uwe. 70 Jahre später ist der eine Ehrenbürger von Berlin, der andere Ehrenbürger von Hamburg. Das Schicksal ihrer Väter könnte unterschiedlicher nicht sein. Dagobert Biermann, Kommunist und Jude, kämpfte im Widerstand gegen die Nationalsozialisten, wurde verhaftet und 1943 in Auschwitz ermordet. Erwin Seeler wechselte irgendwann von dem Arbeitersportverein, bei dem er Fußballspielen gelernt hatte, erst zu Viktoria Hamburg, dann zum HSV. Das machte böses Blut. Bald darauf meldete er auch Uwe bei den Rothosen an.

Wolfs Mutter erzog ihren Sohn zum Kommunisten. 1950 war er mit den Jungen Pionieren beim ersten Deutschlandtreffen der Jugend in Ostberlin. In der Heinrich-Hertz-Schule in Hamburg-Winterhude war er Klassenkamerad des heutigen HSV-Mäzenen Klaus-Michael Kühne. Aber schon 1953 ging er sechzehnjährig auf ein Schulinternat in der DDR. Uwe erhielt im selben Jahr eine Sonderlizenz des DFB, mit der er in der Ersten Mannschaft spielen konnte. Das tat er dann zum ersten Mal in einem Punktspiel gegen Göttingen 05. Zwei Jahre später misshandelte er als Nationalspieler den heiligen Rasen von Wembley. Er war und blieb dort der Jüngste. Auch ein Rekord.

Wolf begann in Ostberlin zu studieren, gründete eine eigene Theatergruppe und die wurde sogleich verboten. Uwe geriet beim HSV in eine Truppe Gleichaltriger, „die jungen Wilden“, die neun Mal hintereinander Meister der Oberliga Nord wurden. Wie Uwe wurden davon Charly Dörfel, Klaus Stürmer und Jürgen Werner Nationalspieler. Während Wolf – solange er durfte – als Liedersänger durch die DDR tingelte, reiste Uwe, der eine harte Lehre als Speditionskaufmann absolviert hatte, mit einem Kombi durch Niedersachsen. Er arbeitete als Handelsvertreter für Sportartikel. Er musste Geld verdienen. Ein Millionenangebot aus Mailand hatte er abgelehnt. Er blieb zu Hause.

Wolf wurde 1974 aus der DDR hinausgeschmissen. Er zog nach Hamburg und das war nicht schlecht für seine Lebensverhältnisse. Heute, da sie beide 80 Jahre alt werden, dürfte es ihnen gleich gut gehen. Hamburg, sagt man, ist das Tor zur Welt, aber nicht die Welt. Doch das muss man nicht so eng sehen.

Der Autor und Journalist Jürgen Busche schreibt in seiner Kolumne Unter der Woche regelmäßig über Politik und Gesellschaft

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