Antreten, um die Truppe vor Nazis zu retten!

Bürger in Uniform Die Bundeswehr sinkt tiefer in den rechten Sumpf. Der Umstieg zur Berufsarmee war vielleicht ein Fehler
Ausgabe 19/2017
Bundeswehrsoldaten bei einer Übung im Herbst 1975
Bundeswehrsoldaten bei einer Übung im Herbst 1975

Foto: Keystone/Getty Images

Von den Ende des Zweiten Weltkriegs geborenen jungen Männern wurden viele Mitte der 1960er Jahre zum Wehrdienst einberufen. Die meisten von ihnen leisteten ihre Wehrpflicht ab, damals 18 Monate. Hermann Scheer allerdings – später als SPD-Bundestagsabgeordneter der profilierteste Umwelt-Experte und Träger des alternativen Nobelpreises – verpflichtete sich auf vier Jahre und wurde Offizier. Ebenso hielt es Ottmar Schreiner. Auch er kam für die Sozialdemokraten später in den Bundestag und wurde in der Partei der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen. Und dem Fußballnationalspieler Hartwig Bleidick von Borussia Mönchengladbach, ein guter Freund Günter Netzers, konnte man in seiner aktiven Zeit als Fahnenjunker im westfälischen Ahlen begegnen.

Die Vorgesetzten dieser jungen Offiziere hatten zumeist in der Wehrmacht gedient, entsprechend waren bei vielen von ihnen die Ausbildungsmethoden. Es gab Skandale wegen zu großer Härten und daraus folgender Unfälle. „Sexuell-sadistische Praktiken“ und Gewaltrituale, wie vor kurzem aus der Kaserne Pfullendorf berichtet, sind aus dieser Zeit nicht bekannt. Es gab damals nämlich auch etwas anderes, ein genaueres Hinschauen. Und die Wehrpflicht mit der Vielfalt ihrer zum Dienst Eingezogegen sorgte für Transparenz. Bis in die Kompanien hinein herrschte eine bunte Truppe, darunter erfeulich unsoldatische Bürger, die ihr Barrett luftig wie einen Hut beim Pferderennen von Ascot aufsetzten – und nicht wie Söldner der Fremdenlegion bis tief ins Gesicht hinein zogen. Eine Armee aus Bürgern aller Schichten verhindert nicht automatisch rechtsextreme Umtriebe, ermöglicht aber mehr gesellschaftliche Kontrolle, was in den Kasernen passiert. Es ist falsch, wenn Demokraten, Linke und Zweifler von außen über die Truppe schimpfen. Von innen ließe sich mit ihnen die Bundeswehr leichter gegen Nazis und Neue Rechte imprägnieren.

Bei einer Berufsarmee kommt in der Regel der Typus der Rekruten aus einem engeren Gesellschaftsbereich. Die Anbindung der Soldaten an das Leben außerhalb des Militärs ist weniger vielfältig, oft einseitig intoniert. Das weiß man in Ländern, in denen Berufsarmeen eine lange Tradition haben und es die Wehrpflicht nur in Kriegszeiten gab. In Deutschland gab es eine reine Berufsarmee bisher nur in den Jahren der Weimarer Republik.

Unkenntnis des Militärischen

Schon die kurze Geschichte des 100.000-Mann-Heeres der Reichswehr gibt einiges zur kritischen Betrachtung über jene Zeit hinaus her. Anfang der 1930er Jahre kam es an der Kriegsschule in Dresden zu unangenehmen Überraschungen, weil viele der jungen Offiziere mit den Nationalsozialisten sympathisierten. In der Truppe, die apolitisch sein wollte, war das verpönt. Damals war einer der Lehrer dort Hauptmann Erwin Rommel, einer seiner Schüler Albert Schnez. Von 1968 bis 1971 war Schnez Generalinspekteur des Heeres bei der Bundeswehr. Die NATO wollte ihn in einem ihrer Stäbe lieber nicht haben.

Die Unkenntnis in Details des Militärischen führt derzeit zu großer Verwirrung in der Diskussion. Dem Hinweis auf Unterschiede zwischen Berufsarmee und Wehrpflichtarmee wird begegnet mit der Tatsache, dass jener Offizier, der jetzt als falscher Asylbewerber und mutmaßlicher Vorbereiter eines Terroranschlags in Haft sitzt, seine Laufbahn zu einer Zeit begann, als die Wehrpflicht noch nicht ausgesetzt war. Keiner wird aber behaupten, dass die Wehrpflicht ein Allheilmittel gegen jede Form des Missstandes ist. Nur ein genaueres Hinschauen, ein stärkeres Abgleichen des Verhaltens in der Kaserne mit gesellschaftlichen Normen kann man sich schon vorstellen, wenn über die Wehrpflicht ein breiterer Querschnitt der Bevölkerung zum Dienst einrückt.

Auch die fehlenden Konsequenzen nach der Beurteilung der Masterarbeit dieses Offiziers als rassistisch und extremistisch sind empörend. Sie kommen so allerdings auch in anderen Bereichen der Gesellschaft vor: Was wir von einem Richter in Sachsen oder einem Jura-Professor in Greifswald gehört haben, ist genau so schlimm, hat aber nicht dazu geführt, dass deshalb die ganze Richterschaft in Sachsen in Generalverdacht genommen wurde oder der zuständige Minister in Mecklenburg-Vorpommern wegen der Verhältnisse an den Universitäten seines Landes sich zu rechtfertigen hätte.

Was Ursula von der Leyen ansprach, als sie ein Haltungs- und Führungsproblem bei der Bundeswehr beklagte, gehört in einen anderen Zusammenhang, nämlich den, der sich überall in einer Berufsarmee herausbilden kann. Die Verteidigungsministerin hat sich für ihre Pauschalkritik bei den Generälen entschuldigt. Indem der Generalinspekteur pauschal die Durchsuchung aller Bundeswehrkasernen befahl, um Wehrmachtdevotionalien aufzustöbern, bewies er freilich, dass der Vorwurf seiner Vorgesetzten richtig war – und Wirkung zeigte. Dabei knüpfte der Inspekteur an die Mahnung von der Leyens an, dass die Wehrmacht niemals zur Tradition der Bundeswehr gehören könne. Da muss man nur umgekehrt auch fragen, wie die Bundeswehr mit ihrer eigenen Tradition umgeht, denn als junge Leute wie Scheer, Schreiner und Bleidick in den 1960er Jahren exerzieren lernten, sangen sie noch ganz selbstverständlich die Lieder der alten Wehrmacht (etwa das Panzerlied Auf Kreta im Sturm und im Regen).

Dass Männer an dem Baum gebunden und angepinkelt werden, um ihre Eignung für eine Kampftruppe zu erweisen, hat aber nichts mit harter Ausbildung zu tun, sondern gehört in die Rubrik „Rituale in Männerbünden“. Und der Spruch, Männer, die gegebenenfalls töten müssten und damit rechnen müssten, getötet zu werden, dürften nicht behandelt werden wie eine Pfadfindertruppe, ist schlicht und einfach Unfug. Das hat auch nichts mit Traditionen der alten Wehrmacht zu tun, so sehr deren Ansehen durch ihre Verbrechen im Zweiten Weltkrieg belastet ist.

Die jüngsten Skandale um sadistische Rituale und sexualisierte Übergriffe gehören überwiegend in den Bereich des Wehrbeauftragten, des SPD-Politikers Hans-Peter Bartels, der in diesen Tagen allerdings auffallend still ist. Nachdem er sich zunächst schützend vor die Truppe und gegen die Ministerin gestellt hatte, als diese im Fall Franco A. auf Distanz zur Truppe ging. Eine seltsame Arbeitsteilung, ist doch der Wehrbeauftragte dazu berufen, Missstände in der Truppe anzuprangern. Was Soldaten, die schikaniert oder gedemütigt werden, geschieht, gehört in die Verantwortung der Kompaniechefs. Wenn diese versagen, in die Verantwortung der Bataillonskommandeure. Spätestens wenn diese versagen, dann auf den Tisch des Wehrbeauftragten. Er muss besonders wachsam sein, weil er weiß, was in einer Berufsarmee bei schmaler Rekrutierungsbasis möglich ist.

Als der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele als Kanonier seinen Wehrdienst ableistete – wir sind jetzt noch einmal zurück in den frühen 1960er Jahren, als Albert Schnez eine Panzerdivision führte –, weigerte er sich, befördert zu werden. Ströbele lehnte den Gefreitenstreifen auf dem Ärmel ab. Er tat das, um seinen Kompaniechef in Verlegenheit zu bringen und ihm Schreibarbeit aufzuhalsen. Das gelang auch. Aus wohlhabendem Hause stammend, brauchte Ströbele nicht wie Hermann Scheer oder Ottmar Schreiner auf die Höhe seines Wehrsolds oder gar der Abfindung am Ende der Dienstzeit zu achten. Alles ging für ihn gut aus.

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