Man kann einen bayerischen Ministerpräsidenten isolieren – schwächen können ihn nur die eigenen Leute in der CSU
Foto: Thomas Lohnes/Getty Images
Seit gestern piesackt die CSU ihre große Schwester wieder. Diesmal zwar nicht in Wildbad Kreuth, wo Franz Josef Strauß 1976 die Fraktionsehe mit der CDU aufkündigte, sondern in Seeon-Seebruck am Klostersee. Das dortige Tagungszentrum liegt auf einer Halbinsel – ideal, um den sektiererischen „Kreuther Geist“ zu kultivieren. Streit gehört zur Union. Gerade ist die Klage eines Rechtsanwältepaars gescheitert, das vor Gericht erzwingen wollte, in Bayern auch die CDU wählen zu können. Die CSU geht ihnen auf die Nerven!
Woher kommen die Gegensätze zwischen den Unionsschwestern, wo liegen die Ursachen des Streits? Um das zu ergründen, muss man tief in die Geschichte der Parteien hinabtauchen. Als die CSU Ende 1945 gegründet wurde,
et wurde, hatte sie von Anfang an mit einem speziellen Problem zu tun. Während es anderswo – und zunächst auch in Bayern – darum ging, eine interkonfessionelle Partei zu schaffen, also katholische und evangelische Christen politisch zu versöhnen, ergaben sich im Freistaat zuvörderst erhebliche Schwierigkeiten damit, Katholiken unterschiedlicher Mentalität zu vereinigen. Die patriotischen Altbayern wollten nur in einem lockeren deutschen Staatenbund aufgehen. Sie kämpften für einen bayerischen Staatspräsidenten und wollten, wie einst Herbert Riehl-Heyse schrieb, erreichen, dass in Bayern ein Preuße nicht höher aufsteigen könnte als bis zum Beruf des Straßenkehrers.Heimat als BollwerkDagegen standen gleichfalls katholische Konservative, die als Patrioten ein starkes Deutschland wollten, in dem Bayern fest verankert sein müsse. Die einen wollten ein christliches Bollwerk gegen den Rest von Deutschland; die anderen meinten ein ebensolches Bollwerk gegen den kommunistischen Osten. In der Verfassunggebenden Landesversammlung setzten sich die Deutschland-Freunde nur äußerst knapp durch, weil sie als Minderheit in der CSU mit den anderen Parteien stimmten. Das Grundgesetz lehnte Bayern dennoch ab; man beschloss, es zu respektieren.Die CSU, immerhin stärkste Partei, überstand die Krise, weil sie sich als Honoratiorenpartei organisierte. Nach außen trat sie als Staatspartei auf, die sich aus politischem Gezänk heraushielt. Das ging bis 1949 gut. Dann endete die Lizenzierungspflicht für Parteien. Die Bayernpartei trat wieder auf – und prompt stürzte die CSU desaströs ab. Nur mit Koalitionspartnern konnte sie weiter regieren. Doch nun tobte der Profilierungskampf zwischen den Altbayern in der CSU und der Bayernpartei. Die ging bei erstbester Gelegenheit mit SPD, FDP und der Vertriebenenpartei BHE eine Koalition ein. Die CSU musste in die Opposition – und nutzte die Zeit, Hanns Seidl baute sie zu einer schlagkräftigen Mitglieder- und Funktionärspartei aus. Rasch kam sie wieder an die Macht und gab diese bis heute nicht ab. Im katholischen Bayern konnte sie eine kulturelle Hegemonie erringen, die für die CDU in anderen Bundesländern unerreichbar war.Die CDU war in ihren stärksten Landesverbänden – Rheinland und Westfalen – unter ganz anderen Bedingungen gestartet. Auch hier dominierte zahlenmäßig der katholische Bevölkerungsteil. Aber hier waren – anders als in Bayern – große industriebestimmte Regionen entstanden. In Bayern gab es allenfalls industrialisierte Inseln, die zumeist im protestantisch dominierten Teil Frankens von Ansbach bis Bayreuth lagen. Im Gegensatz zur evangelischen Kirche, die sich wenig um Arbeiter kümmerte, hatte die katholische Kirche sich früh diesem immer größer werdenden Bevölkerungsteil zugewandt. Das Zentrum, die erste Volkspartei, zunächst gegen Bismarcks Kulturkampf aufgeboten, organisierte auch die katholischen Arbeiter. Es ging schon im Kaiserreich in sozialen Fragen oft mit der SPD konform. In den Jahren der Weimarer Republik rückte es so weit nach links, dass manche Beobachter hierin einen Grund für die Hinwendung von Teilen des Bürgertums nach rechts vermuten.Sozialistischer TonDie CDU hatte bei ihren Gründungen in den verschiedenen Besatzungszonen und Ländern zunächst in den disziplinierten Zentrumsleuten ihre tatkräftigsten Mitglieder. Der sozialistische Ton im Ahlener Programm von 1947 kam nicht von ungefähr. Die CDU wuchs zunächst in den verschiedenen Bundesländern einzeln auf. Als Bundespartei wurde sie erst 1950 gegründet. Sie bemühte sich von Anfang an, als interkonfessionelle Partei aufzutreten. Zugleich konnte sie die Chance nutzen, mit den vielen Gründungskreisen im Land sofort als Mitgliederpartei zu wirken. Als solche bestimmte sie die ersten Funktionäre von der Basis her. Das Gegengewicht einer Parteiführung von der Spitze einer Hierarchie aus ergab sich erst später und gewann nie ein so starkes Übergewicht wie in SPD oder CSU. Der Austausch zwischen Regierungen – Stadt, Land, Bund – und Basis erfolgte durch die Vereinigungen, etwa Mittelstand, Wirtschaftsrat, Arbeitnehmerschaft. Deren Leute waren oft an einer Parteikarriere nicht interessiert, brachten aber in Gesprächsrunden nicht nur das Fachwissen zur Geltung, das an der Basis vorhanden war, sondern auch das ihrer Kollegen in Betrieben und Märkten. So brachte die Volkspartei CDU auf allen politischen Ebenen in ihren Reihen schon Koalitionen zustande, bevor die aktuellen Fragen den Gemeinderat oder den Landtag erreichten.Auch die CSU hatte ihre Vereinigungen, so die Christlich-Soziale Arbeitnehmerschaft, das Pendant zur CDA, den bald berüchtigten Sozialausschüssen der CDU. Nur spielte die CSA in der CSU nie eine Rolle. Zwar hatte rasch auch die CSU eine Reihe hervorragender Sozialpolitiker, etwa Horst Seehofer. Sein Aufstieg aber ist Folge persönlicher Qualifikation und strategischen Handelns der Parteispitzen und beruhte nie auf der Kraft einer spezifischen Strömung oder gar Hausmacht in der Partei.Die CSU konnte ihre kulturelle Hegemonie in Bayern dadurch festigen, dass es ihr als erfolgreiche Landespartei gelang, auch den protestantischen Teil Frankens mit einem übergeordneten Gefühl des „Wir sind Bayern“ zu gewinnen. Sie ist interkonfessionelle Partei geworden zu einem Zeitpunkt, zu dem die Mehrheit der konfessionsgebundenen Bürger auch in Bayern schon keine übergroße mehr war. Hier nun kommt eine weitere Besonderheit Bayerns ins Spiel. Seit den Tagen des Grafen Montgelas und seiner Reformen, also seit der Zeit Napoleons, ist die rationale Staatsverwaltung von München aus durchaus kirchenfern und religiös neutral, ja, gelegentlich antiklerikal. Dem entsprechen große Teile gerade der katholischen Bevölkerung, die eine tiefe Volksfrömmigkeit mit einer zuweilen deftigen Abneigung gegenüber dem Klerus verbindet. Bei Ludwig Thoma kann man vieles darüber nachlesen. In ihren überlebenswichtigen Jahren als Staatspartei von 1945 bis 1954 hat sich die CSU viel davon angeeignet. Bei ihrer Umwandlung in eine Mitglieder- und Funktionärspartei hat sie das Wirkungsvollste davon zu bewahren gewusst. Sie tritt bis heute als die Partei auf, die den Staat verkörpert. Dazu kommt auch die Sonderrolle, die CSU und Bayern in Deutschland spielen. Beide werden vieler Orts nicht so recht ernst genommen. Man könnte unter diesem Gesichtspunkt die Wahlkämpfe von Franz Josef Strauß und Edmund Stoiber um das Kanzleramt analysieren. Und nie hat die CSU sich getraut, einen der ihren für das Amt des Bundespräsidenten vorzuschlagen. Fast alle Bürger zwischen Aschaffenburg und Rosenheim vereint die Überzeugung: Wer die CSU angreift, greift Bayern an. Mit dieser Stimmungslage, die jederzeit anzufeuern ist, kann Seehofer arbeiten wie alle seine Vorgänger. Man kann einen bayerischen Ministerpräsidenten isolieren. Aber man kann ihn in der Rolle, die er hat und die für ihn an erster Stelle kommt, nicht schwächen. Das können nur die eigenen Leute in der CSU. Und das bestimmt seine Politik gegenüber allen draußen.Angela Merkel hat ihre wichtigsten politischen Erfahrungen in Bonn gemacht. Sie hat dort die CDU kennengelernt. Das Wort von der kulturellen Hegemonie einer Partei musste ihr fremd bleiben. Es gab Teile von Norddeutschland, in denen es nach dem Krieg heißen konnte: Wer sonntags in die Kirche geht, wählt auch CDU. Doch schon 20 Jahre später war es keineswegs ausgemacht, ob der, der sonntags zur Frühmesse eilt, tatsächlich CDU wählt. Umgekehrt ist die Zahl der Sozialdemokraten nicht klein, die in wilden Jahren aus der Kirche austraten, dann aber, als es mit ihrer parteipolitischen Karriere aufwärtsging, wieder eintraten, um dieser noch den letzten Schub zu geben. Das katholische Milieu ist längst nicht mehr so bindungskräftig wie zu Zeiten des Zentrums. Aber dennoch gehören kirchliche Kreise zu den anderen, die man beachten muss, wenn man sich im Politischen sicher bewegen will. Zu den Zeiten des Grafen Montgelas und noch für 100 Jahre darauf war in Bayern der König die wichtigste öffentliche Bezugsfigur. Seit dem Ende Napoleons war für Oldenburger und Westfalen, Rheinländer und Hessen, Pfälzer und Holsteiner der König ein fremder Mann in Berlin, weit weg, und die wichtigste öffentliche Bezugsfigur zumindest in den katholischen Gebieten war der jeweilige Bischof. Das mag der heute nicht mehr überall sein, aber dann gibt es eben keine mehr. Oder aber viele, auf die man achten muss, weil sie überallhin gute Verbindungen haben.Eine Politik von einem Punkte her, wie sie in Bayern immer betrieben wurde, ist in Deutschland außerhalb Bayerns unmöglich. Das macht Bayern einerseits im Kreis der Bundesländer mächtig, denn wo andere sich erst abstimmen müssen, entscheiden sie einfach. So kann Seehofer mit Recht sagen: Was wir in der Flüchtlingsfrage gefordert haben, dem haben die anderen nach und nach zugestimmt. Aber eben nicht bei der Obergrenze. Da wird Angela Merkel hart bleiben. Zuletzt hat Seehofer den Eintritt der CSU in eine neue Bundesregierung nach den Wahlen im September von der Einführung einer Obergrenze abhängig gemacht. Aber was will er damit sagen? Soll die CSU in Berlin Oppositionspartei sein, wenn die CDU regiert? Soll sie sich zu einer Duldung der Merkel-Kanzlerschaft verstehen – ohne eigene Minister? Oder soll die CSU erst nach einer Schamfrist koalieren – etwa 2018, wenn Seehofer aufhört?
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