Deutscher Sündenstolz

Nachbarschaft Die Polen regen sich über Klischees und Auslassungen im TV-Kriegsdrama "Unsere Mütter, unsere Väter" auf – und das ganz zu Recht
Ausgabe 14/2013

Der Fernsehfilm Unsere Mütter, unsere Väter des ZDF hat in Polen Empörung ausgelöst. In Deutschland tun jetzt viele so, als sei das unverständlich. Tatsächlich wird als Grund für die Empörung eine Filmsequenz genannt, in der auf den Antisemitismus mancher Polen in der Zeit des Zweiten Weltkriegs hingewiesen wird. Ein solcher Hinweis ist zwar nicht falsch, aber es fragt sich doch, ob ausgerechnet Deutsche damit hervortreten sollten, wenn von den Verbrechen in Hitlers Krieg die Rede ist.

Ein anderer Vorwurf, der gegen den Dreiteiler aus Mainz zu erheben ist, wiegt viel schwerer. Einzuräumen ist vorab, dass ein solcher Streifen zur Unterhaltung seines Publikums auch Kintopp veranstalten darf, ja, vielleicht muss. Also wird etliches zu drastischen Bildern zusammengezogen, für die es kaum eine Vorlage in der historischen Wirklichkeit gegeben hat, die in ihrer Drastik jedoch das Ungeheuerliche der Verbrechen eindrücklich widerspiegeln. Das ist jedoch nicht erlaubt, wo historische Konstellationen so verzerrt werden, dass im Ergebnis das Leiden eines ganzen Volkes einfach übergangen wird, hier das Polens. Wenn dieser Film den Anschein erweckt, als habe ein Leutnant der Wehrmacht erst in Russland mitbekommen, welche Untaten der Sicherheitsdienst – und nicht nur der – im Rücken der Front beging, dann wird unterschlagen, dass dies alles schon in Polen geschah,und dies den Soldaten durchaus bekannt war. So naiv, wie der Film die fünf Freunde in Berlin darstellt, waren die im dritten Kriegsjahr nicht.

Aber es geht nicht um Naivität. Es geht darum, dass hier das Zusammenziehen von nicht-fiktiven Erlebnissen und deren Zuordnung zu wenigen Schauplätzen ein böses Spiel wiederholt, unter dem die Polen seit Jahrhunderten leiden. Die Deutschen mit ihrem Sündenstolz wollen sich auf gleicher Ebene mit der großen Sowjetunion bewegen. Da müssen die Leiden der Polen, muss die Mordbrennerei der Deutschen in den Jahren 1939 und 1940 aus dramaturgischen Gründen unter den Tisch fallen und der schneidige Herr Leutnant weiß nichts davon, erfährt vom verbrecherischen Charakter des Weltanschauungskrieges erst in Russland und ist jetzt angeblich höchst erstaunt und entsetzt.

Das Empörende dieser Verzeichnung liegt darin, dass es in der Geschichte allzu oft zu Lasten der Polen ging, wenn Deutsche und Russen das, was Geschichte sein sollte, unter sich ausmachten. Polen fiel durchs Rost. Bei dem ZDF-Dreiteiler sollen renommierte Historiker beratend mitgewirkt haben. Kaum zu glauben.

Jürgen Busche ist Kolumnist des Freitag. Er hat viele Jahre lang vor allem für große Tageszeitungen gearbeitet, darunter Frankfurter Allgemeine Zeitung und Süddeutsche Zeitung. Busche war außerdem Chefredakteur der Wochenpost und der Badischen Zeitung. Er lebt in Berlin.

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