Ein Drama wie von Richard Wagner

Piëch und VW Was einst im „Ring des Nibelungen“ einen Höhepunkt erreichte – Lug und Trug –, steht jetzt im VW-Abgas-Skandal noch am Anfang
Ausgabe 07/2017

Es wird mit VW weitergehen. Das ist erst einmal sicher. Wie es mit dem VW-Abgas-Skandal weitergeht, ist eine Frage des Geldes. Wer bei solcher Mutmaßung misstrauisch wird, hat recht. Es geht hier nicht nur um die Milliarden, die in den USA schon fällig geworden und bezahlt sind. Es geht auch nicht um die Summen, die – vielleicht – in Europa zu berappen sein werden. In Deutschland können die Wolfsburger darauf hoffen, dass gegebenenfalls die Richter, die in Schadensersatzprozessen zu entscheiden haben, ihr Lieblingswort „Verhältnismäßigkeit“ heranziehen, um klarzumachen, dass hohe Entschädigungszahlen auf keinen Fall die Existenz des VW-Werks gefährden dürften. Denn das wäre unverhältnismäßig. Die gigantischen Gehälter der VW-Bosse werden die Richter nicht davon abhalten, dem Weltkonzern unter Umständen drohende Verarmung oder Insolvenzgefahr zugutezuhalten. VW ist in Deutschland immer auch ein Politikum.

Aber trotz alledem wäre es schön, bei der Skandalgeschichte Einzelheiten erklärt zu bekommen, die vor Gericht auch dann spannend zu erzählen sind, wenn dort der Fall eines Hühnerdiebs verhandelt wird. Und damit sind wir bei Ferdinand Piëch, dem Firmen-Patriarchen, der längst den Konzern zu einem zweiten Bayreuth gemacht hat. Wagners Werke und Porsches Werke leben in Familienkrächen fort – unter massivem Mitwirken von Staat und Gesellschaft. Was einst im „Ring des Nibelungen“ einen Höhepunkt erreichte – Lug und Trug –, das steht jetzt im VW-Abgas-Skandal noch viel offenkundiger am Anfang. Der große Piëch und der Ministerpräsident Stephan Weil – einer von beiden lügt.

Piëch äußere sich aus Rache, empört sich Weil, perfekt den Nibelungenton treffend. Was aber noch längst nicht heißt, dass es auch stimmt. Und wenn es nicht stimmt, heißt das noch nicht, dass es ganz falsch ist. Piëch behauptet, er habe früh von einem israelischen Diplomaten von dem Abgas-Betrug erfahren. Mit dabei seien israelische Geheimdienstmitarbeiter gewesen. Er habe Martin Winterkorn (damals noch VW-Vorstandschef) unterrichtet, der habe aber abgewiegelt. Ferner habe er, Piëch, auch Aufsichtsratsmitglieder unterrichtet. Die bestreiten das.

Es ist schwer zu glauben, dass das alles aus Rache erfunden ist. Zunächst wüsste man gern mehr über den zeitlichen Zusammenhang zwischen der – angeblichen? – Unterrichtung und der Tatsache, dass Piëch im Frühjahr 2015 zu Winterkorn auf „Distanz“ ging und einen Machtkampf begann, den er verlor. Auch könnte interessant sein, mit welcher Formulierung die Israelis Piëchs Angaben dementieren. Kennen sie ihn gar nicht? Haben sie sich zufällig getroffen und über Belangloses geplaudert? Oder gab es ein Treffen, bei dem es für beide Seiten um Wichtiges ging. Denn dass der israelische Geheimdienst in den USA auch gern etwas aufschnappt, was einen bedeutenden Konzern betrifft, ist nicht unwahrscheinlich.

Wenn das dem damaligen Aufsichtsratschef Piëch mitgeteilt wurde – einmal angenommen, das stimmt –, musste er die Information selbstverständlich sofort weitergeben. Sonst aber tat er damals nichts. Könnte sich der pensionierte Patriarch jetzt mit seiner Aussage selbst belastet haben, oder denkt er, mit der Unterrichtung Winterkorns und der anderen sei es gut gewesen? Und warum kommt die Braunschweiger Staatsanwaltschaft wieselflink mit der Bekanntmachung heraus, dass sie nicht gegen Aufsichtsratsmitglieder, also auch nicht gegen Weil ermittele? Vielleicht muss sie nicht ermitteln. Aber nach Lage der Dinge muss sie das auch nicht wie einen vorgezogenen Freispruch heraustrompeten. Oder sollte es da eine Weisung aus Hannover gegeben haben? So viele Fragen und so viele Autos. Letztere sind bedeutend.

Der Autor und Journalist Jürgen Busche schreibt in seiner Kolumne Unter der Woche regelmäßig über Politik und Gesellschaft

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