Ein Lob für Angela Merkel

Europawahl Die Europäische Union steht am Scheideweg. Jetzt muss es darum gehen einen Ausgleich zwischen den Ergebnissen von Wahlen und dem Respekt vor Institutionen zu finden
Ausgabe 25/2014
Angela Merkel und Jean-Claude Juncker
Angela Merkel und Jean-Claude Juncker

Foto: Axel Schmidt/ AFP/ Getty Images

Die Europäische Union steht vor einer Zerreißprobe. Das ist jetzt nicht metaphorisch zu verstehen. Die Union könnte wirklich auseinandergerissen werden, wenn es sich als unmöglich erweisen sollte, den britischen Premierminister aus der Ecke zu holen, in die er sich selbst hineinmanövriert hat. Er hat dies nicht aus Mutwillen getan, sondern getrieben von den Europa-Gegnern in seinem Land. Dass er selbst sich dabei nicht übermäßig geschickt verhalten hat, ist ein Vorwurf, der jetzt auch nicht weiterhilft.

Geschickt müssen in dieser Lage die anderen in der EU operieren. Es geht um die Anerkennung des Ergebnisses der Wahlen zum Europaparlament. Da gab es Spitzenkandidaten. Aber die gab es nicht für alle. Freunde einer Stärkung des Parlaments sagen: Gewonnen hat Jean-Claude Juncker, er soll neuer Kommissionspräsident in Brüssel werden. Camerons Briten und einige andere sagen: Juncker stand bei uns überhaupt nicht zur Wahl. Über den Kommissionspräsidenten wird in Brüssel von den Staatschefs entschieden, so wollen es die Verträge, die in der Union über die Institutionen bestimmen. Beide haben recht. Was wir erleben – und aus der europäischen Geschichte kennen –, ist ein Ringen zwischen einem Parlament, das um wachsende Bedeutung kämpft, und den Verteidigern von Institutionen, die nicht aufgeben wollen, was ihnen vorteilhaft erscheint.

Beides ist wichtig für eine Demokratie. Reine Volksherrschaft, also Regieren durch Wahlen und Volksabstimmungen, wie das in der Antike etliche Städte Griechenlands kannten, führt zu gefährlicher Instabilität und zweifelhaften rechtsstaatlichen Verhältnissen. Rom dagegen schuf nach der Beseitigung der Monarchie eine Republik, in der sich Institutionen und Wahlen gegenseitig kontrollierten. Daraus erwuchs in Jahrhunderten das imposante römische Staatsrecht. So wurde aus der kleinen Ackerstadt ein Weltreich. Die Kaiserzeit hat Rom nichts hinzugewonnen, aber auf so fester Grundlage noch ein halbes Jahrtausend bestanden.

Es wird jetzt in der Europäischen Union darum gehen, einen alle überzeugenden Ausgleich zwischen den Ergebnissen von Wahlen und dem Respekt vor Institutionen zu finden. Das Tückische daran ist, dass Gegensätze zur Natur von Parlamenten gehören, ja, ihren Wesenskern ausmachen. Man geht mit unterschiedlichen Ansichten in die Wahlen, man erlebt im Parlament Fraktionen mit gegensätzlichen Ansichten, man kommt zu Kompromissen, die über jeweilige Anlässe hinaus unterschiedliche Ansichten bestehen lassen. Institutionen hingegen müssen alle überzeugen, von allen akzeptiert werden. Sie können und müssen sich gegebenenfalls ändern, aber daran müssen alle mitwirken, und im Ergebnis müssen alle sich wiedererkennen.

Das ist ein schwieriges Geschäft. Für Deutschland muss Angela Merkel an vorderster Stelle dabei mitmachen. Sie ist heftig kritisiert worden, weil sie in Verdacht geriet, Juncker nach der Wahl nicht in dem Maße unterstützt zu haben, wie es der Entscheidung vor der Wahl, ihn zum Spitzenkandidaten der CDU zu machen, entsprochen hätte. Die Kritik ignoriert, dass sie nach der Wahl als Kanzlerin in Brüssel auch Rücksicht auf die Institutionen nehmen muss. Camerons Position und die einiger anderer war bekannt. Hätte sie da in Brüssel die Fahne des Parlaments entrollt, hätte sie riskiert, den Briten vor den Kopf zu stoßen. Sie hätte den Austritt Großbritanniens aus der EU riskiert, der jetzt immer noch droht. Man mag einwenden, mit beherzter Stellungnahme hätte die mächtige deutsche Kanzlerin Cameron und seinen Freunden keine andere Möglichkeit gelassen, als mitzuziehen. Das wäre aber genau die Art, europäische Politik zu machen, die Deutschland vermeiden muss – Wahlen hin oder her. Also: Bis jetzt hat Angela Merkel das meiste richtig gemacht.

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