Der Prinz – ein Traumtänzer, ein Seiltänzer. Dieser Einfall des Bühnenbildners Achim Freyer ist ein guter Anfang für Claus Peymanns Inszenierung von Kleists Homburg. Zum Schluss hängt der Prinz (Sabin Tambrea) hoch über dem Bühnenboden in den Seilen wie der gekreuzigte Jesus. Das könnte eine Hommage sein an Bert Brechts Schmähgedicht gegen dieses Stück, das angeblich die Erziehung zum Kadavergehorsam preist. Doch eine solche will der Regisseur am Berliner Ensemble nicht geben. So bleibt Brecht grinsend als Standbild vor der Tür.
Drinnen vollzieht sich die Verwandlung des Schauspiels zu einer Biedermeierkomödie. Das Komödiantische am Prinzen von Homburg hatte man schon wenige Jahrzehnte nach Heinrich von Kleists Tod am Wiener Burgtheater notiert. Immerhin ist hier das Besondere, dass es im ganzen Drama keinen Bösewicht gibt. Aber alle Personen mit tragender Rolle sind tief gespalten. Das veranschaulicht wiederum Freyer mit seinem Bühnenbild, das nicht nur den Schauplatz, sondern das ganze Theater durchgängig in zwei Hälften teilt.
Mobiliar als Fußball
Dieses Gespaltensein – mindestens – hätte die Aufführung in den Protagonisten erkennbar machen müssen. Doch die durchweg guten Schauspieler haben dazu wenig Gelegenheit, weil man ihnen nicht genügend Text gelassen hat. Ein Viertel ist gestrichen worden. Manches – nun ja. Einiges sinnentstellend. So darf der Prinz von Homburg nicht sagen: „Ein deutsches Herz von altem Schrot und Korn / Bin ich gewohnt an Edelmut und Liebe.“ Der erste Teil fällt weg. Dabei geht es hier nicht ums Deutschtümeln, sondern den Gegensatz zwischen Deutschland (Kleists Hoffnung 1811) und Preußen. Diese politische Dimension bei Kleist wird ausgespart.
Den Obristen Kottwitz gibt Carmen-Maja Antoni großartig als Publikumsliebling für jedes Volkstheater. Manche sagen, Kottwitz sei ein Haudegen wie „Marschall Vorwärts“ Blücher. Dann träfe das in etwa. Aber nicht bei Kleist. Da steckt viel Gneisenau im Kottwitz. Sein großer Monolog über Befehl und Gehorsam ist ein Plädoyer der Heeresreformer jener Zeit. Es kommt nur zur Hälfte rüber, und der Kurfürst darf danach dem Haudegen herablassend das Haupthaar rubbeln. Er nennt ihn „wunderlich“, was in der Verkürzung seiner Antwort klingt wie „drollig“. Kaum verwunderlich, dass Antoni für den sarkastischen Kommentar des Obristen zur Erziehungsleistung des Kurfürsten den Ton nicht findet.
Am schlimmsten aber trifft die Streichwut den Prinzen bei der Kernthese des Stücks. Homburg, vom Kurfürsten zum Richter in eigner Sache aufgerufen – er hat in der Schlacht einen Befehl missachtet –, anerkennt das Recht des Kurfürsten, akzeptiert das Todesurteil und sagt: „Er handle, wie er darf; / Mir ziemt’s hier zu verfahren, wie ich soll“. Das „mir ziemt’s hier“ ist gestrichen und damit der Hinweis des Kant-Lesers Kleist auf das in der Brust seines Helden wirkende allgemeine Sittengesetz. Homburg tut jetzt nur, was er soll. Sprich: was Chef und Soldatengesetz befehlen. Brecht hat recht, vor der Tür zu grinsen.
Die Figur des Kurfürsten, mit der sich Roman Kaminski redlich abmüht, produziert sich nicht in dem ihr von Kleist zugewiesenen Zwiespalt: Der absolutistisch regierende Fürst und der Staatsmann, der für Recht und Ordnung sorgen will – das hätte der Text, der ihm immerhin noch verbleibt, nahegelegt. Stattdessen gibt er das widersprüchliche Temperament: eben noch weise Rede, dann aus Zorn mit dem knappen Mobiliar Fußball spielen. Die Szene, in der er des Prinzen künftiger Braut, seiner Nichte Natalie, die Rettung zusichert, gehört vollends in einen Schwank à la Niebergall. Es ging behaglich unter den Verwandten zu. Das Publikum fand das wunderbar. Es dürfte wohl noch selten eine Aufführung des Homburg gegeben haben, die so oft von leisem, wohlig amüsiertem Lachen im Parkett begleitet wurde wie diese.
Die vielen Streichungen lassen Kleists Sprache nicht zu dem Element werden, das die Dinge in ihrem Ernst zusammenhält. Immerhin eröffnet die Verschlankung des Texts auf das unbedingt Notwendige etlichen Besuchern die Chance, herauszuhören, wie oft der Dichter sich in prägnanten Wendungen bei den Dramen Friedrich Schillers bedient. Tell: „Mach deine Rechnung mit dem Himmel, Vogt.“ Homburg: „Mit der Welt schloss ich die Rechnung ab.“
Das Publikum am Premierenabend beklatschte Claus Peymanns Inszenierung heftig und ausdauernd. Der hat ihm auch den Gefallen getan, das Stück nicht mit dem Ruf „In Staub mit allen Feinden Brandenburgs“ enden zu lassen. Er hat diesen seit 1945 als schwierig empfundenen Schlusssatz einfach in der Mitte des Schauspiels untergebracht, wo es tatsächlich in die Schlacht von Fehrbellin geht. Claus Peymann ist eben politisch sensibel bis in die Haarspitzen. So endet das Stück nicht, es hört einfach auf.
Das Publikum bejubelte, als Peymann auf der Bühne die Ovationen entgegennahm, auch den scheidenden Intendanten. Dieser Dank war wohlverdient, ein Schelm, wer da widerspricht. Kleist aber, wenn er diese Aufführung gesehen hätte, wäre sofort hinaus zum Wannsee gefahren und hätte sich ein weiteres Mal erschossen.
Info
Prinz Friedrich von Homburg Regie: Claus Peymann Berliner Ensemble
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