Freunde? Staaten kennen nur Interessen

Verrat Andere Staaten auszuspähen hat im Verständnis der USA nicht viel mit Feindschaft zu tun. Auf dem Spiel aber steht die Zivilgesellschaft einer Weltinnenpolitik
Ausgabe 27/2013
Freunde? Staaten kennen nur Interessen

Foto: Mark Wilson / Getty Images/ AFP

„In den fünfziger Jahren“, schreibt Margret Boveri in ihrem Klassiker Verrat im XX. Jahrhundert, „fragte ein Professor der Soziologie in Amerika seine Studenten, wie sie sich verhalten würden, wenn die Gefahr bestehe, dass ein guter Freund verhaftet werde. Die Antwort lautete: Falls der Sheriff käme, würden sie den Freund verstecken; wenn aber das FBI ihn verhaften wolle, würden sie ihn ausliefern.“

Die Antwort würde heute – 60 Jahre später – vermutlich anders ausfallen. Damals wurde für das, was in der Kompetenz des Sheriffs lag, auch Kompetenz von jenen in Anspruch genommen, die ihn auf kommunaler Ebene in sein Amt wählten. Für Missetaten auf der Ebene der Bundespolitik aber galt das nicht. Seither hat aus mehreren Gründen das Ansehen des FBI so sehr Schaden gelitten, dass der Behörde längst nicht mehr alle vertrauen. Gleichwohl ist bei der Geschichte, die mit dem Fall Snowden jetzt einen zeitweiligen Höhepunkt erreicht hat, noch einmal krass der Gegensatz erhellt, der in den USA, aber auch im Verhältnis der Vereinigten Staaten zu ihren westlichen Verbündeten bei der Behandlung des Themas Verrat zu beobachten ist.

In Boveris Buch von 1960 geht es vor allem um diesen Gegensatz. Die Gründerväter der USA, soeben erfolgreich im Kampf gegen die englische Krone, waren misstrauisch gegen alle Regelungen, durch die sich die Herrscher in der Alten Welt des Gehorsams ihrer Untertanen versicherten. So schrieben sie im III. Artikel, Sektion 3, der Verfassung: „Verrat gegen die Vereinigten Staaten soll nur darin bestehen, gegen sie Krieg zu führen oder ihnen Feinde anzuhängen und ihnen Unterstützung und Ermutigung zu geben.“ Das erstere ist rasch zu klären und wurde nach 9/11 auch prompt aufgerufen.

Erregungswellen in den USA

Beim zweiten wird es schwierig. Was ist Ermutigung? Was kann nicht alles als Ermutigung, somit als Illoyalität ausgegeben werden! Was daraus folgte, hat das FBI einst schwer in Verruf gebracht. Andererseits verläuft nationale Erregung in den USA stets in Wellen, die, so gigantisch sie auch sein mögen, stets von einer nächsten, ebenso gigantischen verschlungen werden. Die Antikommunisten, die Robert J. Oppenheimer zusetzten, wurden wenig später in Acht und Bann getan. Das miese Verhalten gegen den Kriegsdienstverweigerer Muhammad Ali wurde bald darauf von offizieller Verehrung abgelöst. Die Techniken aber blieben.

So wurde in jenen fünfziger Jahren vom FBI das „screening“ entwickelt, weil bei den Massen der verdächtigen Leute von Verrat ja nicht die Rede sein konnte. Es entstand ein riesiges Netz von Verdachtsmomenten, und kaum jemand konnte sicher sein, nicht mit irgendeinem Hinweis aus seinem alltäglichen Leben darin gefangen zu werden. Nichts anderes macht die NSA heute weltweit – mit Unterscheidungen.

Das heilige Eigeninteresse

Etwas anderes ist es mit dem Ausspähen fremder Staaten, ihrer Institutionen und Bürger. Das dient eigenen Interessen und hat nicht unbedingt etwas mit Feindschaft zu tun. Wenn besonders Deutschland ausgespäht wird, dann nicht, weil Berlin so böse ist wie Teheran, sondern weil Deutschland – gerade wirtschaft-lich – am interessantesten ist.

Das tun man nicht unter Freunden? Zwischen Staaten gibt es keine Freundschaft, da gibt es nur gemeinsame Interessen. Der Heilige Augustinus machte keinen Unterschied zwischen großen Staaten und großen Räuberbanden. Zwischen Räuberbanden gibt es keine Freundschaft, höchstens Kumpanei.

Jetzt aber, bei Manning, Assange und Snowden sprechen Politiker in den USA plötzlich von Verrat. Und da wollen ihnen viele in Amerika und Europa nicht folgen. Anders als zu Zeiten von Margret Boveri geht es heute nicht mehr um Nationen oder Ideologien, sondern um die Zivilgesellschaft in einer Weltinnenpolitik. Das ist für viele Neuland.

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