Das erste Mal, dass junge Katholiken mit ihrer Religion Schwierigkeiten bekamen, war dann, als das sechste Gebot für sie Bedeutung erhielt. Sexualität, wie, wann, „allein oder mit anderen“, wie üblicherweise die Frage des Priesters im Beichtstuhl lautete. Das alles beschäftigte Heranwachsende, die jählings keine Kinder mehr waren. Viele verwirrte es, manche quälte es, ausweichen konnte dem niemand. Was die Kirche dazu sagte, konnte kaum jemand als hilfreich empfinden. Wer sich angewöhnte, selber über die Dinge nachzudenken, die ihn betrafen, empfand die Worte der Geistlichen zu diesem Thema als peinlich. Das war so – und ist auch heute noch oft so.
Aber warum ist das so? Ist die katholische Kirche selbst schuld? Schuld vor allem daran, dass zumindest in der westlichen Welt die katholische Haltung zu Sexualität und Familie mittlerweile ungeduldiger in Frage gestellt wird als je zuvor?
Soziales und Theologisches
Papst Franziskus hat 270 Bischöfe der katholischen Kirche vom 4. bis zum 25. Oktober nach Rom einbestellt, um mit ihnen darüber zu reden, ob sich da etwas ändern muss. Er begegnet einer Kongregation, in der sehr unterschiedliche Auffassungen zum Thema vorgetragen werden dürften, manche davon vehement. Die Konservativen sind schon jetzt als böse Buben identifiziert – und das sowohl von kirchenkritischen als auch von kirchentreuen Beobachtern der Diskussion in den vergangenen Jahren. Aber die Konservativen sind nicht die Oberhirten aus den alten, mit Kunstwerken überfüllten Kathedralen. Es sind die Bischöfe aus Diözesen, in denen die Slums zahlreicher sind als die Stadtteile mit Polizeipräsenz. Der Heilige Vater wird das wissen, denn der Kontinent, von dem er kommt, Südamerika, kennt beides.
Die Kongregation kann die Doppelnatur des Problems kaum übersehen: In den Traditionen der Kirche gab es von Anfang an zweierlei Beweggründe, in die private Lebensführung der Gläubigen urteilend und richtend einzugreifen: soziale und theologische. Beides war der Kirche wichtig. Am Anfang sogar überlebenswichtig, denn die Gemeinde musste ihren Mitgliedern beides bieten können: soziale Sicherheit und Hoffnung auf die Zukunft – in diesem und im jenseitigen Leben. In den Anweisungen der Geistlichen wurde beides bis zur Unentwirrbarkeit ineinander verschlungen. Die Traditionen der Kirche wurden dem Rang nach untrennbar von den Worten der Verkündigung des Evangeliums.
Da kann mit dem Seziermesser der historischen Kritik einiges getrennt werden, aber vielleicht doch nicht alles. Bei der Frage der Behandlung von Homosexuellen in der Kirche sollte beachtet werden, dass die Ablehnung einer Praxis von Sexualverkehr, die nicht der Fortpflanzung dient, einer Zeit entstammt, in der das demografische Problem in zivilisierten Teilen der antiken Welt zum ersten Mal spürbar wurde. Kaiser Augustus, in dessen Regierungszeit die Geburt Jesu fällt, erließ Gesetze zur Nachwuchsförderung. Homosexualität war bei den Griechen nichts Anstößiges gewesen, und die Kultur jener Zeit war griechisch. Hier liegt also das staatspolitische Ziel der Neuorientierung offen zutage, das sich die Kirche in dem Maße, in dem sie in den Staat hineinwuchs, zu eigen machte. Das zeigt aber: Es ist kein Stoff für theologischen Grundsatzstreit. Der Geist des Christentums ist wesentlich hellenistisch, die Form der Kirche wesentlich römisch, und zwar römisch im Sinne der Kaiserzeit. Darin liegt die Vermengung der Traditionslinien – und darin liegt die Chance eines veränderten Umgangs mit Homosexualität von Seiten der Kirche heute.
Beim Thema Familie geht es um Ehescheidungen und die Behandlung wieder verheirateter Geschiedener. Hier ist das Problem ungleich komplexer. Die Ehe ist ein Sakrament, die Eheschließung vor dem Altar durch einen Priester ein zentraler Hoheitsakt der Kirche, nur vergleichbar der Taufe, der Verwandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Christi in der Heiligen Messe, der Absolution, also der Freisprechung des Beichtenden von seinen Sünden. Da spielt es kaum eine Rolle, ob die Einsetzung der Sakramente durch Jesus nachgewiesen werden kann. Hier geht es für die katholische Kirche um ihr Eigenstes.
Lieber eine Spaltung
Um das zu bewahren, war ihr in der Geschichte kein Preis zu hoch. Als sich der englische König Heinrich VIII. von seiner Frau scheiden lassen wollte, um eine andere zu heiraten, sagte der Papst Nein. Wenn sich der König eine Mätresse nach der anderen zugelegt hätte, wäre man in Rom ebenso wenig interessiert daran gewesen wie an der Mätressenwirtschaft bei manchen Kardinälen. Aber Heinrich VIII. ging es ums Prinzip. Dem Papst auch. Das Ergebnis war die Loslösung Englands von der katholischen Kirche, generationenlange blutige Katholikenverfolgungen und die Eroberung einiger Teile der Welt durch die Anglikanische Kirche. Das hatte man sich in Rom gewiss nicht so gedacht. Hätte man es sich vorstellen können, wäre man möglicherweise klüger vorgegangen und hätte dem König Möglichkeiten eröffnet, seinerseits einzulenken. Aber am Verbot der Scheidung wäre nicht zu rütteln gewesen.
Heute sind es vor allem die afrikanischen Bischöfe, die daran festhalten wollen. In Europa, vor allem in Deutschland wird es weitgehend als etwas angesehen, das überwunden gehört. Die Schwierigkeit für Katholiken liegt nicht in der Trennung von den Ehepartnern, sondern in der Wiederverheiratung eines der Ehepartner, wenn die Ehe kirchlich geschlossen gewesen war. Aus tief katholischen Städten kann man immer noch Geschichten wie diese hören: Einer der Honoratioren, natürlich verheiratet, trennt sich von seiner Frau. Niemanden interessiert es. Er tut sich mit einer Geliebten zusammen, erscheint mit ihr im Tennisclub, auf den Schützenfest. Niemanden stört es. Dann heiratet er die Geliebte, standesamtlich. Anders geht es nicht. Und nun ist es aus mit dem Gesellschaftsleben. Das Paar wird im Tennisclub geschnitten, beim Schützenfest übersehen.
Das mag heute seltener vorkommen als vor einigen Jahren. Aber für die Kirche gilt nach wie vor: In ihren Einrichtungen darf der Mann nicht mehr wirken. Im Gottesdienst ist er vom Kommunionsempfang ausgeschlossen. Das kann er mit seiner Partnerin bei der heutigen Massenverteilung zwar umgehen. Aber wenn er nach wie vor ein gläubiger Katholik ist, wird er wissen, dass der Kommunionsempfang bedeutungslos für ihn ist. Und das wird ihn schmerzen. Kann die Kirche hier einlenken? Sollte sie es tun?
Die Kirche wollte immer auch die Kirche der Schwachen sein. Im zerfallenden Römischen Reich wie in den Slums der Gegenwart sorgte und sorgt sie dafür, dass Frauen und Kinder nicht einfach von den Männern verlassen werden können. Den Sozialstaat, der einspringt, haben sie nicht. Als Kirche der Schwachen ist sie nicht die Kirche als soziale Gestalt des Staates, sondern ursprünglich die Kirche Jesu und seiner Apostel. Daher die Kraft des Sakraments. Daher die Unüberwindlichkeit der Kirche, wenn es um ein Sakrament geht.
Aber die Kirche der Schwachen muss auch eine Kirche der Barmherzigkeit sein. Diese Bestimmung der Kirche verkörpert Papst Franziskus in spektakulärer Weise. Und Barmherzigkeit und Liebe im Sinne des Apostels Paulus könnten der Kongregation in Rom manche Frage beantworten. Nie war die Zeit dafür günstiger.
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