Hört hier noch jemand zu?

Föderalismus Smartphones und private Schwätzchen, wohin das Auge reicht. Das Erscheinungsbild, das Politiker in Bundestag und Bundesrat von sich abgeben, ist deprimierend
Ausgabe 43/2015

Gemessen am Bundestag genießt der Bundesrat das Ansehen als die feinere Kammer im Gesetzgebungsverfahren. Im Bundesrat wird nicht applaudiert, wenn ein Redner brilliert. Es gibt dort auch keine Zwischenrufe. Aber es ist eben auch so wie im Theater, wenn eine Tragödie aufgeführt wird. Das Schweigen des Publikums kann Ergriffenheit signalisieren, aber auch Tiefschlaf. Ob Letzteres der Fall ist, können Bundesratspräsident und Redner allerdings kontrollieren, denn im Preußischen Herrenhaus von ehedem – dort versammelt sich der Bundesrat – geht, wenn die Vorstellung beginnt, nicht das Licht aus. Alles ist so hell wie nebenan am Potsdamer Platz.

Im Bundesrat sitzen, wann immer erforderlich, die Ministerpräsidenten der Länder beziehungsweise die Bürgermeister der Stadtstaaten. Das gibt den Zusammenkünften etwas Gehobenes. Man möchte meinen, entsprechend gesittet gehe es auf den Sitzungen zu. Aber das wäre ein Irrtum. Als zuletzt die Änderung der Asylgesetze besprochen – beraten konnte man das nicht nennen – und verabschiedet wurde, war das gewiss einer der wichtigeren Termine des Bundesrats in diesem Jahr. Also waren auch die Regierungschefs aufmarschiert und drängten zum Rednerpult. Was sie sagten, war durchweg vernünftig. Aber wer hörte zu?

Wie im Bundestag beherrschten kleine elektronische Geräte die Runde. Auf sie starrte man, statt auf den Redner oder die Rednerin zu blicken. Wer am Pult stand und vortrug, sah zumeist gesenkte Häupter vor sich und mochte dies, wenn ihm danach war, für ein Zeichen besonderer Ehrerbietung halten. War es aber nicht. Es war das Smartphone. Oft sah man, wie Finger flink über eine Tastatur huschten. Im Bundestag ist dies ein gewohntes Bild. Im Bundestag werden die Bilder auch öfter herangezoomt. Da konnte man etwa vermeintlich aus der Nähe sehen, wie es bei einer Kurzintervention aus der Linkspartei und der Antwort aus der Union hin-und herging, und dazwischen saßen in der ersten Reihe Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter von den Grünen und waren ungerührt in ihren Blechkaspar vertieft.

Das gibt es also im Bundesrat auch. Was es nicht gibt, weil die Gesellschaft zu fein dazu ist, das sind Ermahnungen des Sitzungsleiters an diejenigen, die durch Schwatzen untereinander oder im Herumstehen mit anderen den Ablauf des Redenaustauschs stören. Man mag einwenden, da wird niemand gestört, weil niemand zuhört, aber das ändert wenig am hässlichen Erscheinungsbild. Wenn zum Beispiel der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich minutenlang vor der Regierungsbank steht und mit Bundesinnenminister Thomas de Maizière plaudert, während sich wenige Meter entfernt der baden-württembergische Regierungschef Winfried Kretschmann am Rednerpult abmüht.

Sicherlich haben in diesen Tagen der Sachse und der Bundesminister einiges zu besprechen. Aber dass sie es auf diese Weise tun, lässt auch vermuten, dass sie nicht oft Gelegenheit dazu haben. Dabei könnten sie gemeinsam großartige Ideen entwickeln. Vielleicht – ein Vorschlag – die, dass man, statt dem Türken-Präsidenten Erdoǧan Milliarden Euro zuzuschustern, ihm die zwei Millionen Flüchtlinge, die er im Land hat, geschlossen abnimmt und nach Sachsen schickt. Dann hätte es bald ein Ende mit den Krawallen von Pegida in Dresden. Aber um an solche Vorschläge überhaupt zu denken, dazu ist der Bundesrat einfach zu fein.

Nur eben aufs Ganze gesehen doch nicht fein genug. Wenn Politiker darüber klagen, wie gering ihr Ansehen in der Bevölkerung ist – nur das Ansehen von Journalisten ist noch geringer –, dann sollten sie einmal ihr Augenmerk auf das Erscheinungsbild richten, das sie in Bundestag und Bundesrat von sich abgeben. Es ist deprimierend.

Der Autor und Journalist Jürgen Busche schreibt in seiner Kolumne Unter der Woche regelmäßig über Politik und Gesellschaft

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