Langsam einsam

Nachruf Wie der einst gefeierte Faschismustheoretiker Ernst Nolte zum Revisionisten im Historikerstreit wurde
Ausgabe 34/2016
Noltes Bild vom „europäischen Bürgerkrieg“ war imposant, mehr jedoch nicht
Noltes Bild vom „europäischen Bürgerkrieg“ war imposant, mehr jedoch nicht

Foto: Leemage/Imago

Ernst Nolte war der umstrittenste deutsche Historiker am Ende des 20. Jahrhunderts. Als er dies, recht spät im Leben, wurde, vermeldeten seine Gegner, dass er gar kein Historiker sei. Der 1933 in Witten in Westfalen geborene Nolte war Schüler von Martin Heidegger gewesen und wurde 1952 im Fach Philosophie notabene mit einer Arbeit über Karl Marx promoviert. Seinen Berufsweg begann er als Lehrer für Deutsch und Griechisch.

Doch mit seinem nebenher verfassten Buch Der Faschismus in seiner Epoche konnte er sich 1964 in Köln habilitieren. Darin wird der Nationalsozialismus als die extremste Form des Faschismus bezeichnet, seine Verbrechen könnten mit nichts in der Weltgeschichte verglichen werden, auch nicht mit dem Terror Stalins. Es dürfte die erste Formulierung der Singularität der NS-Verbrechen gewesen sein. Aber nicht deshalb wurde Nolte sogleich von der deutschen Linken gefeiert. Seine Arbeit galt als die beste Widerlegung der Totalitarismus-Theorie, mit der – zur Freude der jungen Bundesrepublik – Nazis und Kommunisten in dieselbe Ecke gestellt wurden. In der Zeitschrift Argument konnte man lesen, das Buch sei ein Triumph der Wissenschaft über den Kalten Krieg. Nolte erhielt einen Ruf nach Marburg.

Den Linken war freilich entgangen, dass der gefeierte Autor den Faschismus vor allem als Anti-Marxismus definiert hatte. Man kann das heute als Vorboten seiner große Empörung auslösenden Frage von 1986 verstehen: „War nicht der Archipel GULag ursprünglicher als Auschwitz? War nicht der ,Klassenmord‘ der Bolschewiki das logische und faktische Prius des ,Rassenmordes‘ der Nationalsozialisten?“

So konnte man es in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung lesen, und damit begann, initiiert vom damaligen Herausgeber Joachim Fest, der Historikerstreit. In diesem Streit ging es um ein Stück kultureller Hegemonie in der alten Bundesrepublik. Professoren im Umkreis des Soziologen Jürgen Habermas wollten ein Land, in dem Politisches, auch das Eingedenksein der eigenen Geschichte vom Verfassungspatriotismus (ein Begriff Dolf Sternbergers) bestimmt werde, dieser Patriotismus aber in seinem Zentrum die Mahnung habe, die mit dem Namen Auschwitz verbunden sei. Den von dieser Gruppe angegriffenen Gelehrten wurde unterstellt, sie wollten revisionistisch ein nationalkonservatives Geschichtsbild etablieren, das konform ginge mit einer in Bonn gewünschten stärker nationalen Politik. Die Wiedervereinigung war dabei noch nicht einmal in Sicht.

Der Streit konnte für die Angegriffenen nicht gut ausgehen. Während die linksliberalen Stimmen um Habermas als einheitlich wahrgenommen wurden, vertraten die Liberalkonservativen, darunter der Kohl-Berater Michael Stürmer, viel zu unterschiedliche Positionen, um geschlossen auftreten zu können. Zudem hatten letztere mit der Schwierigkeit zu tun, dass Nolte mit seinen Thesen gelernten Historikern erhebliche Schwierigkeiten bereitete. Sein Bild vom „Europäischen Bürgerkrieg“ war zwar eindrucksvoll, aber auch nur das.

Nolte war ein Geschichtsdeuter. Er wollte verstehen. Er war keiner, der so lange nach Fakten sucht, bis er zuversichtlich sein kann, das in den Blick genommene Geschehen vollständig erfasst zu haben. Seine Sprache ist philosophisch und sein bestes Buch ist wahrscheinlich Marxismus und Industrielle Revolution von 1983. Nolte lehrte da schon in Berlin.

In der Welt der Wissenschaften wurde es nach dem Historikerstreit langsam einsam um ihn. War er vorher eine international anerkannte, oft zu Gastvorlesungen gebetene Autorität gewesen, hörte das nun auf. Er schrieb philosophische Bücher, eins über Heidegger, eins über Nietzsche. Auch die Zeit des Umstrittenseins ging vorüber, er war zuletzt nicht mehr im Gespräch. Letztendlich hatte die Wiedervereinigung auch das Hegemonie-Gehampel der gar nicht einmal so kontroversen Gegner von einst erledigt. Im Alter von 93 Jahren ist Ernst Nolte jetzt in Berlin gestorben.

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