Mordende Morgenröte

Krimi Auch in seinem jüngsten Fall gräbt Petros Markaris’ Kommissar Charitos nach den Wurzeln der griechischen Misere
Ausgabe 16/2015

Zu Beginn wird die Tochter des Kommissars, eine Rechtsanwältin, von zwei Männern der griechischen Rechtsaußenpartei Goldene Morgenröte zusammengeschlagen. Ein deutscher Freund der Familie bemerkt dazu: „Die deutschen Neonazis attackieren hauptsächlich Ausländer. Die griechischen Neonazis attackieren ihre eigenen Landsleute. Ihr macht aber auch alles verkehrt.“ Wenig später kommt heraus, dass die Goldene Morgenröte durchaus schon in die Athener Polizei eingedrungen ist. Aber es zeigt sich auch, dass die Polizei sich zu wehren weiß. Nicht nur der Kommissar.

Der heißt Kostas Charitos und ermittelt schon seit einigen Romanen, von denen wenigstens zwei hier genannt sein mögen: Die Kinderfrau, der in Istanbul spielt, und Hellas Channel. Der Verlag lässt wissen, dass Andrea Camillieri den Autor Petros Markaris „außerordentlich“ gut findet, und das ist ein nützlicher Hinweis, denn deutsche Leser finden normalerweise die sizilianischen Krimis von Camillieri außerordentlich gut.

Dieser Roman nun von Petros Markaris, Zurück auf Start, ist bereits 2012 auf Griechisch erschienen. Das zu erwähnen ist vorab wichtig, weil damit gesagt ist, dass er die jüngsten Wendungen der griechischen Politik noch nicht im Blick haben kann. Allein das Elend ist immer noch das gleiche. Die Goldene Morgenröte ist weit von politischer Bedeutung entfernt, aber ihre verweichlichte Schwesterpartei sitzt als Juniorpartner in der Regierung mit einer linken Partei, die wiederum ihrer deutschen Schwester, der Linken, helle Freude bereitet. Doch je mehr man dieses Thema traktiert, umso tückischer werden dessen Perpektiven. Darum kann es bei einem Krimi nicht gehen.

Überraschenderweise aber geht es in Markaris’ Roman um Geschichte. Kommissar Charitos hat es mit einer Gruppe von Missetätern zu tun, die sich in ihren Bekennerschreiben „Griechen der fünfziger Jahre“ nennt. Damit wären diese Leute jetzt, da der Roman spielt, um die 80 Jahre alt oder schon 90. Das kann sich die Polizei schwer vorstellen, und so hat Kostas Charitos zunächst einiges zu tun, um seinen Vorgesetzten davon zu überzeugen, dass er es hier wirklich mit einer mehr oder weniger politisch motivierten Gruppe zu tun hat, die rätselhafte Morde begeht.

Ernte, Dünger, Wetter

Irgendwann ist das aber unübersehbar und beim Abstieg in den Brunnen der Vergangenheit kommt Charitos zugute, dass einer seiner besten Freunde ein alter Mann ist, der früher aufseiten der Linken gekämpft hat und Polizei und Gefängnisse von ihren übelsten Seiten kennengelernt hat. Jetzt aber geht es darum, was er noch von den Linken in weit zurückliegenden Zeiten und von ihren Gegnern im Bürgerkrieg weiß. Charitos tut im Laufe seiner Untersuchung noch andere Leute auf, die sich weit zurückerinnern können und etwas darüber wissen, wie es auf der Rechten zuging.

Das alles vermag Markaris spannend ins Geschehen einzubeziehen, indem er auf irgendwelche historischen Exkurse gänzlich verzichtet, sondern nur einige wenige Menschen mit wenigen Worten ihr Gedächtnis bemühen lässt. Ein Klassenfoto von einer Schule in Epirus – wo auch der Kommissar zu Hause war –, eine mittelalte Frau, Griechin, die in Deutschland aufwuchs und dort nur ein Ziel kannte: Deutsche zu werden, was ihr gelang, wohingegen ihr Bruder mit in Deutschland erworbenen Tugenden zurückkehrte nach Athen und bei dem Versuch, dort nach deutschem Muster ein Unternehmen aufzubauen, in sein Unglück lief.

Auch aufs Land, in die Peloponnes, muss Kommissar Charitos diesmal reisen, um seine Ermittlungen voranzutreiben. Das hat seine Schwierigkeiten. Der ortsansässige Kommissar warnt ihn, von einer Befragung der Besucher der dörflichen Kneipe nicht zu viel zu zu erwarten. „Wieso nicht?“ „Weil die Leute hier eine verschworene Gemeinde sind. Auch wenn sie etwas wüssten, würden sie das keinem Außenstehenden verraten. Einem Fremden gegenüber schweigen sie wie ein Grab. Die berühmte Offenheit der Messenier ist ein Märchen. Obwohl ich schon fünf Jahre hier Dienst tue, verstummen die Gespräche, sobald ich das Kafenion betrete, und man geht zu Wald-und-Wiesen-Themen über.“ Als Charitos fragt: „Wer erinnert sich denn noch an diese ollen Kamellen“, meldet sich denn auch prompt ein 60-Jähriger zu Wort. „Wir haben hier immer über die Ernte, den Dünger und das Wetter geredet. Was früher war und auf welcher politischen Seite einer steht, interessiert hier keinen. Ist ja alles die gleiche Scheiße.“

Was der Kommissar über olle Kamellen und ihre Beziehung zum Heute herausfinden kann, beruht dann aber doch auf einer überraschenden Feststellung oder Behauptung, die immerhin dem Plot des Romans das Rückgrat gibt. Die Rechten von einst, so liest man erstaunt, waren gewiss unerhört grausam, haben gemordet und gefoltert, kannten kein Erbarmen mit Kommunisten und ihren Freunden, aber sie waren überhaupt nicht daran interessiert, sich persönlich zu bereichern, und kehrten am Ende des Bürgerkriegs in ihre alten, meist bescheidenen Berufe zurück. Die Linken aber und ihre Kinder – erst recht diese – wollten unbedingt reich werden, waren korrupt und behinderten mit ihren eingennützigen Umtrieben eine bessere Entwicklung Griechenlands. Von dorther kommt einer der Impulse, die bei Markaris die Handlung in Bewegung bringen.

Fleischlose Gerichte

Dass es Griechenland schlecht geht, bezeugt dieser Roman auf jeder Seite. Charitos muss seinen Privatwagen stehen lassen, weil das Benzin zu teuer ist. Seine Frau Adriani, eine wunderbare Köchin, bringt fast nur noch fleischlose Gerichte auf den Tisch. Diese freilich lassen dem Leser das Wasser im Munde zusammenlaufen. Auch das bezeugt Zurück auf Start selber, denn bei Charitos sitzen zu den Mahlzeiten immerzu Gäste mit am Tisch, die es sich schmecken lassen. Nicht zuletzt solche Liebe zur Kochkunst und zum Genuss verbindet Markaris und Camillieri.

Literatur

Zurück auf Start. Ein Fall für Kostas Charitos Petros Markaris Michaela Prinzinger (Übers.), Diogenes 2015, 368 S., 23,90 €

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