Manchmal kommen Revolutionen auf Taubenfüßen daher. Fast jeder begrüßt sie mit Wohlwollen. Der Umstürzler sieht gar nicht aus wie ein Rebell und weckt keine Neugier zu fragen, was er wirklich will. Er setzt ein Zeichen, das alles verändert. Das war’s dann auch schon.
Joseph Ratzingers Rücktritt vom Papstamt ist geeignet, das Verhältnis der katholischen Kirche zu ihrer Spitze grundstürzend zu verändern. Keine 150 Jahre nach der heftig umstrittenen Etablierung des Unfehlbarkeitsdogmas entschließt sich der Heilige Vater als Stellvertreter Christi auf Erden so zu verfahren, wie es der Chef einer weltumspannenden Firma täte, wenn er sich überfordert fühlte. „Wir sind Mensch“, titelte die Bild-Zeitung, was nic
-Zeitung, was nicht nur zufällig an die Maxime der berühmten Bühnenfigur Tegtmeier denken lässt: „Mensch bleiben“.Dass der Papst ein Mensch ist, daran hat nie jemand gezweifelt. Beim Maler Hieronymus Bosch konnten Päpste in der Hölle landen. Aber vom Amt zurücktreten konnten sie, obwohl die Möglichkeit kirchenrechtlich gegeben war, im wirklichen Leben nie. Der einzige Fall in 2.000 Jahren, der jetzt überall zitiert wird, taugt nicht zum Beweis des Gegenteils. Coelestin V. wurde vor 700 Jahren zum Rückzug eher genötigt. Der elfte Sohn eines armen Bauern aus den Abruzzen hatte als Eremit gelebt, bevor er auf den Stuhl Petri gewählt wurde. Das erwies sich rasch als Irrtum vom Amt. Coelestin V. trat nach seinem Verzicht sofort die Flucht an. Er kam nicht weit. Sein Nachfolger, Bonifatius VIII., ehedem der Kardinal, der ihn hatte loswerden wollen, empfing ihn erst ehrenvoll und schickte ihn dann auf eine entlegene Bergfeste, wo er in einer engen Zelle bald darauf starb.Benedikt XVI. soll eine Kammer auf dem Gelände des Vatikanstaates erhalten. Dort wird es nicht so gemütlich sein wie in Marktl in Bayern oder in Regensburg. Er will beten und meditieren. Und vielleicht ein Buch schreiben. Ob er noch einmal in die Heimat reisen wird, gilt als ungewiss. Indes, jeder Gedanke, der Rücktritt des Papstes könnte unfreiwillig erfolgt sein, erscheint abwegig. Die Gebrechlichkeit des 86 Jahre alten Joseph Ratzinger ist zuletzt offenkundig gewesen. Der Theologe war, bevor er Papst wurde, ein mächtiger Kardinal im Vatikan und ein enger Vertrauter seines Vorgängers, Papst Johannes Paul II. Wenn Benedikt XVI. erbitterte Gegner hatte, dann eher in Deutschland als in Italien.Schuften im WeinbergDer Rücktritt und seine Begründung entzaubern das Papstamt. Sie verbringen es in die Arbeitswelt, die ihre eigene Rationalität hat. Ratzinger hatte sich selbst bei Amtsantritt als Arbeiter im Weinberg des Herrn bezeichnet. Der glänzende Theologe weiß natürlich, dass solche Arbeit nach den Worten des Evangeliums eben nicht der Rationalität der weltlichen Dinge unterworfen ist. Gott, der Herr, belohnt denjenigen, der drei Stunden im Weinberg gearbeitet – treffender: geschuftet – hat, nicht anders als den, der weitaus länger dort geschafft hat. Die Arbeit im Dienst Gottes ist eben nicht zu messen an der Arbeit, wie sie die Kinder dieser Welt abzuleisten gewohnt sind. Leistung lohnt sich für den Priester und Bischof anders als für den Verwaltungsangestellten eines Zahnradwerkes. Das gilt auch für den Bischof von Rom. Und das weiß ganz gewiss auch Benedikt XVI.Wenn er trotzdem so handelt, wie er es nun zur Überraschung der ganzen Welt getan hat, so darf man sicher sein, dass ihm dabei nicht die Annäherung an die Arbeitswelt vorschwebte, wie sie der Kultur- und Sozialwissenschaftler Max Weber als ein Kennzeichen der modernen Welt herausgestellt hat. Seine Gründe dürften andere sein, und sie liegen tiefer. Dort, wo gerade der revolutionäre Umbruch erfolgen muss, um den die katholische Kirche nicht mehr herumkommt; auf den die Gläubigen warten, und der sich in vielen Gemeinden, in vielen Einzelhandlungen von Bischöfen schon vorbereitet hat. Als Benedikt XVI. in Rom dem Gründer der Gemeinschaft von Taizé, Roger Schutz, der kein Katholik war, die heilige Hostie reichte, tat er etwas, wofür andere Geistliche kirchenrechtlich bestraft wurden. Aber der Papst ist eben ein absolutistischer Monarch.Indem Benedikt XVI. darauf hinweist, dass die unausweichlichen Folgen des hohen Alters ihm die geistige und körperliche Schaffenskraft nehmen, die notwengig ist, sein Amt in der richtigen Weise auszuüben, stellt er sich nicht in Gegensatz zu Karol Woityła, der sein langes und quälendes Sterben als Stellvertreter Christi zu einem öffentlichen Ereignis gemacht hat. Joseph Ratzinger, der als junger Theologe den greisen, aber Fortschritt und Veränderungen zugewandten Kölner Kardinal Frings während des II. Vatikanischen Konzils zur Seite stand, weist auf ein prägendes Moment der modernen Welt hin, das die Kirche, die Kirche in dieser Welt sein will, nicht ignorieren darf.Hier geht es um Folgendes: Dank der modernen Medizin kann der Mensch in die Lage kommen, dass sein Körper weiterlebt, obwohl seine intellektuelle Kraft nahezu erloschen ist. Das ist zuletzt schon bedeutenden Philosophen und Gelehrten passiert. Viele Menschen fürchten heute ein Ende im Gewirr der Schläuche und Apparate in den Kliniken.Es gibt heute schon einen prominenten Fall, wo die katholische Kirche einen durch zweifelsfreien Suizid ums Leben gekommenen Menschen das kirchliche Begräbnis nicht verweigerte, sondern sogar festlich ausrichtete. Es mag seit langem viele solcher Fälle geben. Das taugt nicht dazu, propagiert zu werden. Aber die Kirchenoberen ändern ihre Einstellung. Und das nicht nur in solchen Fällen. Die technischen Wissenschaften verändern die Welt – die Kirche muss sehen, dass die Menschen nicht ihre wehrlosen Opfer werden.Es ist dies nicht das einzige Feld, auf dem die Katholiken auf einen kaum beherrschbaren Modernitätsschub reagieren müssen. Erneut müssen sie darüber nachdenken, was zum Kernbereich ihres Glaubens gehört – und was nicht.Dies ist eben nicht nur eine Frage ihrer Beziehung zu anderen Religionsgemeinschaften, könnte es am Beispiel Benedikts XVI. aber werden. Joseph Ratzinger verändert das Bild des Papstes und vielleicht auch den Begriff, den man damit verbindet. Wer sich klarmacht, dass erhebliche Schwierigkeiten im ökumenischen Gespräch mit den Protestanten auch mit dem Institut des Luther verhassten Kirchenoberhaupts in Rom zu tun hat, erkennt, was hier vielleicht in Bewegung gerät. Vielleicht zu Recht.Ein Bollwerk ist gefallenVielleicht aber auch mit nicht wünschenswerten Folgen. Es ist ja kaum ein Zufall, dass es in 2.000 Jahren nur einen Papst-Rücktritt gab und dieser noch unfreiwillig erfolgte. Ein Papst, der sein Amt freiwillig abgibt, kann auch zu so einem Schritt genötigt werden. Dies können mächtige Leute in der Kurie bewirken, aber auch auswärtige Politiker oder heimische Interessenten. Die Übeltäter aus römischen Adelsfamilien mussten überlegen, ob sie mit Gift oder Dolch arbeiten wollten, wenn sie hinsichtlich des päpstlichen Stuhls etwas erreichen wollten. Auf einen Rücktritt zu drängen war kein Weg.Das könnte jetzt anders werden. Die Gründe für den Rücktritt Benedikts XVI. sind zwar überzeugend, aber solche könnten auch einmal vorgeschoben oder manipuliert, ihr Vortrag unfreiwillig sein. Ein Bollwerk, das dergleichen ausschließt, auch wenn es nur durch eine imposante Tradition gesichert war, ist nun gefallen. Der Papst sitzt nicht mehr unumstößlich auf seinem Stuhl, das Amt ist verwundbar geworden. Dies ist die unabweisbare, wenn auch bislang nur theoretische Konsequenz aus der Handlungsweise des vermeintlich so schüchternen Gelehrten Joseph Ratzinger, dem in der Theologie so leicht keiner etwas vormacht.In dem, was Benedikt XVI. jetzt getan hat, wird der Augenblick einer Zeitenwende für die katholische Kirche sichtbar – und vielleicht nicht nur für sie. Auch als Coelestin V. im Jahr 1294 zurücktrat und dies hernach unterschiedlich beurteilt wurde, offenbarte sich in den verschiedenen Urteilen eine Zeitenwende, die vom Mittelalter zur Renaissance: Dante tadelte den Rücktritt als feige, Petrarca lobte ihn als heroisch.
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