„Ossis“ Kantine

Hauptstadtfrage Bonn oder Berlin? Als die Entscheidung anstand, wurden alle möglichen Argumente hervorgeholt
Ausgabe 25/2016
Bonn nach dem Regierungsumzug
Bonn nach dem Regierungsumzug

Foto: Jürgen Eis/Imago

Als der Deutsche Bundestag vor 25 Jahren mit knapper Mehrheit die Entscheidung für Berlin als Hauptstadt des wiedervereinigten Deutschland traf, da jubelten manche und sprachen von einer Sternstunde des Parlaments. Das kommt vor, wenn die Parteien im Plenum den Fraktionszwang aufgehoben haben, wie es hier der Fall war. Andere kommentierten das aber auch sogleich giftig: Da loben sie sich übereifrig dafür, dass sie es einmal soeben noch geschafft haben, die Leute nicht zu bescheißen.

In dieser Bemerkung steckt der Hinweis darauf, dass ja in den Jahrzehnten von der Gründung der Bundesrepublik bis zur Hauptstadtentscheidung 1991 von allen Seiten immer wieder behauptet wurde, wenn es zur Wiedervereinigung kommt, wird natürlich Berlin wieder die deutsche Hauptstadt sein. Spötter wollten darin einen Beweis dafür sehen, dass viele mit der Wiedervereinigung gar nicht rechneten, wenn sie die denn überhaupt wollten. Bonn war eine beliebte Bundeshauptstadt, und wer dort lebte und arbeitete, fühlte sich in ihr wohl. So traf es vor allem Politiker und Beamte am Rhein wie ein böser Schock, als mit dem Zusammenbruch der DDR und dem Willen der dortigen Bevölkerung, zur Bundesrepublik zu kommen, die Hauptstadtfrage plötzlich auf der Tagesordnung stand.

Bundespräsident Richard von Weizsäcker, an der Spree aufgewachsen und einst Regierender Bürgermeister von Berlin, plädierte als einer der Ersten für den Umzug. Das brachte den Betriebsrat im Bundespräsidialamt auf die Frage, ob das Staatsoberhaupt das ohne Absprache mit dem Betriebsrat tun dürfe, da doch mit dem Umzug elementare Interessen der Beschäftigten verbunden seien: das Häuschen in Bad Godesberg oder Meckenheim …

Manchen, die damals an den Gesprächen beteiligt waren, ist gewiss weniger die zwölfstündige Debatte im Bundestag in Erinnerung geblieben als vielmehr die Auseinandersetzungen zwischen Bonn-Befürwortern und Berlin-Befürwortern in den Wochen davor. Da trat – für Bonn – ein Volk von Haushältern auf: Was das kostet! Oder ein Volk von geschichtspolitischen Mahnern: nicht wieder zurück zu deutschem Größenwahn! Oder ein Volk von Bewahrern des Gewohnten: Bonn ist uns sympathisch, und mit Bonn sind wir unseren Nachbarn sympathisch. Warum das ändern? So hörte man es in jenen Tagen aus allen Parteien.

Dagegen kamen die Berlin-Befürworter immer nur auf einen Satz zurück: Es ist versprochen worden! Zwar ließen sich dafür keine eindeutigen Belege finden, aber das war seit über vierzig Jahren eben die Überzeugung der meisten. Und dem wurde auch nicht entgegengehalten: Wo steht denn etwas von dem Versprechen? Sondern: Was bedeutet schon so ein Versprechen, wenn die Verhältnisse sich geändert haben! Wenn also nicht die erwartete Situation eingetreten ist, dass das Versprechen eingelöst werden muss. Es ist erstaunlich, welche Leute und wie viele diese Auffassung unverblümt vertraten.

Ich arbeitete damals im Bundespräsidialamt. Viele Wege führten mich aber zu „Ossi“, in die Kantine des Wasserwerks, wo provisorisch der Bundestag untergekommen war. Eines Tages bemerkte ich, wie Abgeordnete in einen abseits gelegenen Raum strebten, der nur durch die Kantine zu erreichen war. Darunter war auch der großartige Peter Glotz, mit dem ich mich gut verstand. Im Nebenraum treffen sich diejenigen, erfuhr ich, die einen Abstimmungssieg für Bonn erreichen wollen. Dann hörte ich auch, dass Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Johannes Rau seinen Adlatus Wolfgang Clement damit beauftragt hatte, für den Sieg Bonns zu sorgen. Auch über Clement dachte ich überwiegend freundlich. Dennoch, beiden, Glotz wie Clement, misslang zuverlässig, was sie oft wunderbar geplant hatten. Ich war sicher: Berlin wird’s.

Der Autor und Journalist Jürgen Busche schreibt in seiner Kolumne Unter der Woche regelmäßig über Politik und Gesellschaft

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