Plato? Nein, danke!

Griechenland In der Schuldenkrise wird oft mit historischen Vergleichen argumentiert. Doch die sind meistens fragwürdig. Das Gebot der Stunde lautet vielmehr: verbale Abrüstung
Ausgabe 29/2015
Zwischen Platon und Syriza liegen Römer, Franken, Venezianer und Türken
Zwischen Platon und Syriza liegen Römer, Franken, Venezianer und Türken

Foto: Milos Bicanski/Getty Images

Für alle Seiten im Konflikt um die Hilfe, die Griechenland benötigt, gibt es jetzt die Chance eines Neuanfangs. Die sollte nicht aufs Spiel gesetzt werden dadurch, dass jetzt schon an die Kirchentür genagelt wird, was der eine oder die andere falsch gemacht hat bei Schaffung der Bedingungen für den Neuanfang. Es ist jetzt nicht der Zeitpunkt, Argumentationskapital aufzuhäufen für den Augenblick – erhofft oder befürchtet –, da die Sache abermals schiefgegangen ist.

Das Gebot der Stunde ist zuvörderst verbale Abrüstung. Da sollten etliche Europäer, besonders die Deutschen, aufhören, von verloren gegangenem und jetzt fehlendem Vertrauen zu sprechen. Wenn man in Brüssel kein Vertrauen zum Verhandlungspartner hatte, wäre es richtig gewesen, die Gespräche scheitern zu lassen und weitere Verhandlungen abzulehnen. Da man sich nun auf Verhandlungen über ein milliardenschweres drittes Hilfspaket eingelassen hat, sollte man sich und andere auch nicht dadurch in Frage stellen, dass man die Vertrauensbasis leugnet, die für solche Verhandlungen unabdingbar ist. Damit zieht man sich selbst für künftige Schritte den Boden unter den Füßen weg. Vergangenheit, so kurz sie zurückliegt, ist nun erst mal Vergangenheit und mehr nicht.

Die Griechen sollten aufhören, mit Arien herumzutönen, die allenfalls in eine italienische Oper passen, auf keinen Fall aber ins Straßburger Europa-Parlament. Alexis Tsipras und seine Landsleute haben mit der Wiege der Demokratie so viel zu tun wie die Germanen des Tacitus mit den Fußballweltmeistern von 2014, nämlich nichts. Zwischen Platon und Syriza liegen Römer, Franken, Venezianer, Türken, und dann kam ein König aus Bayern. Mehr als tausend Jahre lang ist in Griechenland kein Homer gelesen, kein Aristoteles diskutiert und kein Sophokles aufgeführt worden. Wenn Tsipras in Straßburg die Nichtbeachtung wirtschaftlicher Verträge gleichsetzt mit dem Widerstand der Antigone gegen das Verbot eines Tyrannen, ihren toten Bruder zu bestatten, so hätten ihm dafür zig Generationen europäischer Humanisten sein Aufsatzheft um die Ohren gehauen. „Der nicht geprügelte Mensch ist auch nicht erzogen“, sagt Menander. Das permanente Herumreiten auf Leistungen der Antike erinnert fatal an die Leidenschaft fast verschollener deutscher Schulmeister und Politiker, die einst die Brut mitteleuropäischer Kartoffelfresser mit Tiraden über Hermann den Cherusker und Siegfried den Drachentöter zu heldischer Größe aufrichten wollten. Mit den Worten „Stolz“ und „Würde“ sollte man im politischen Diskurs überhaupt sehr sparsam umgehen.

Lustig ist es allerdings, wenn jetzt auch in Deutschland von aktuellen oder ehemaligen Marxisten zur Rücksichtnahme auf Griechenland als Erfinder der Demokratie hingewiesen wird. Jahrzehntelang hörte man von Seiten der Linken, das antike Athen sei gar keine richtige Demokratie gewesen, da es sich um eine Sklavengesellschaft gehandelt habe. Das war immer schon falsch, weil von nur einer Regierungsform zu reden war, und die war eben demokratisch. Volksherrschaft hängt nicht davon ab, wie man Volk definiert. Die – vernünftige – Aufhebung der Differenz von Volk und Bevölkerung ist erst jüngeren Datums. Zu lernen ist aber aus der Antike unbedingt, dass die Schwäche der griechischen Demokratie darin bestand, dass sie es versäumte, Institutionen zu schaffen und weiterzubilden. Da war ihr die Römische Republik klar überlegen.

Es gibt zu lernen. Und die Linke bemüht sich. Das ist schön. So versäumt es seit Tagen kein Politiker der Linkspartei, auf den amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler Krugman hinzuweisen, der Amerikas Interessen vorträgt. Ein Nobelpreisträger, jubeln sie, ein Nobelpreisträger. Brav.

Der Autor und Journalist Jürgen Busche schreibt in seiner Kolumne Unter der Woche regelmäßig über Politik und Gesellschaft

der Freitag digital zum Vorteilspreis

6 Monate mit 25% Rabatt lesen

Der Freitag im Oster-Abo Schenken Sie mutigen Qualitätsjournalismus!

Print

Entdecken Sie unsere Osterangebote für die Printzeitung mit Wunschprämie.

Jetzt sichern

Digital

Schenken Sie einen unserer Geschenkgutscheine für ein Digital-Abo.

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden