Stimme auf Band

Helmut Kohl Das neue Buch über den Altkanzler sorgt für großen medialen Wirbel – und ist doch nichts anderes als ein Racheprotokoll
Ausgabe 41/2014
Fernsehjournalist Heribert Schwan mit dem Buch, das für Kontroversen sorgt
Fernsehjournalist Heribert Schwan mit dem Buch, das für Kontroversen sorgt

Foto: Sean Gallup / Getty Images

Helmut Kohl – eine Drecksau. Das ist die Botschaft dieses Buches. Also ist nicht interessant, was drin steht, sondern dass es das Buch überhaupt gibt. Geschrieben hat es der Fernsehjournalist Heribert Schwan. Die Kollegen von der Presse brauchen es sich nicht vorwerfen zu lassen. Schwan war eine Zeit lang der von Kohl erkorene Ghostwriter für seine Memoiren. Dann kam es zum Bruch. Doch der Fernsehmann hatte schon hunderte von Interviewstunden auf Tonbändern. Die sollte er nicht verwenden dürfen. Dann tat er es doch. Das Buch ist eine Racheakt. Papier war hier einmal ungeduldig, was nicht gut ist.

Zur Sache: Ich kenne nach fünfzig Berufsjahren niemanden, der nicht irgendwann einmal über einen Mitarbeiter, Vorgesetzten, ja auch Freund aus dem Arbeitsleben gesagt hätte: „Ist das ein Arschloch!“; und ich kenne kaum jemanden, über denn ich das nicht auch hätte sagen können oder vielleicht einmal gesagt habe. Mehrere hundert Stunden Gespräche über Erinnerungen an Personen aus mehreren Jahrzehnten können wahrscheinlich gar nicht ohne gelegentliche Schimpfereien und herabsetzende Bemerkungen auskommen. Das Tonbandgerät ist geduldig, weil es hier für Vorläufiges gebraucht wird.

Zur Person: Kohl ist zugleich grobschlächtig und eine Mimose. Er kann ein lebenslanger bösartiger Gegner sein, aber auch der hilfsbereiteste Freund, den man sich wünschen kann. Kohl ist misstrauisch. Das ist er vielleicht im Laufe der Zeit erst geworden, aber dann in zunehmendem Umfang. Seit dem Putschversuch der CDU gegen ihn auf dem Bremer Parteitag von 1989 bestimmt dieses Misstrauen auch die Personalpolitik. Vorher hatte er mit jeder Regierungsumbildung sein Kabinett stärker gemacht. Nach 1990 machte er es immer schwächer. Anfangs machte sich Kohl lustig über Mitarbeiter (Kurt Biedenkopf, Richard von Weizsäcker), die sich für klüger und gebildeter als er hielten und es manchmal auch waren. Nach 1990 sorgte er dafür, dass solche Koryphäen in seiner Umgebung nicht mehr vorkamen und denen von ehedem grollte er. Dazu hatte er reichlich Anlass. Was immer Kohl Weizsäcker angetan hat, der Bundespräsident hat es ihm vergolten. Umgekehrt: Was immer Angela Merkel Kohl zu verdanken hat, sie hat es ihm schlecht gelohnt, als sie ihn stürzen half. Sie hatte recht, aber sie kann nicht erwarten, dass Kohl sie dafür gern hat.

Das Buch: Für den Autor kann ein Buch viel bedeuten. Er kann Geld damit verdienen. Er kann aber auch Scherereien kriegen. Am schlechtesten aber, wenn auch nicht mehr von ihm zu bemerken, ist der von Verachtung geprägte Nachruhm des Rachsüchtigen. Zum Beispiel Reichskanzler Bernhard von Bülow. Der ließ seine Memoiren erst veröffentlichen, als ihn schon der grüne Rasen deckte. Sie waren so gespickt mit Indiskretionen, dass Kaiser Wilhelm II. sagte, das sei der einzige ihm bekannte Selbstmord, den einer nach seinem Tod begangen hat. So lange wollte Heribert Schwan nicht warten.

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