Das Konservative soll das Gespräch ergründen, das das ZDF für den ersten Sonntagabend im Februar angekündigt hat. Das Konservative: Was ist das? Es unterhalten sich ein Mann, der als Philosoph präsentiert wird, und ein Journalist. Richard David Precht hat etliche populärphilosophische Bestseller geschrieben und 2012 im ZDF die Nachfolge von Peter Sloterdijk und dessen Philosophischem Quartett angetreten, mit einem Format, das schlicht seinen Namen trägt: Precht. Christoph Schwennicke ist Chefredakteur der Monatszeitschrift Cicero und war zuvor bei der Süddeutschen Zeitung und beim Spiegel. Die Konstellation ist nicht schlecht. „Konservatismus“ ist ebenso ein politischer wie ein kulturkritischer Begriff. Man sollte meinen, für beide Aspekte sitzen kompetente Leute am Tisch.
Das weiß an diesem Abend aber vor allem der Journalist – was ihn rhetorisch mitunter ins Hintertreffen bringt. Der Philosoph legt los mit allem, was ihm einfällt, und der Journalist muss immer erst ein wenig Orientierung bei den ihm bekannten Mustern von Konservatismus suchen, um herauszufinden, was der Philosoph da alles im Sinn hat.
Der eine liebt den Überblick ...
Schwennicke weiß – und betont –, dass es unterschiedliche Spielarten des Konservativen gibt. Auf lokaler und regionaler Ebene etwa legen Konservative auf möglichst großen Abstand vom Staat wert: Vereinsgründungen, Veranstaltungen werden am liebsten fern von staatlichen Einflüssen organisiert. In Deutschland mit seinen vielen Staatsformen allein in den vergangenen 250 Jahren sind gerade die sehr alten Vereine besonders angesehen, die alles überstanden haben, was in den Jahren der Diktaturen kaum oder gar nicht gelang.
Auf dem Feld nationaler und übernationaler Politik ziehen Konservative derzeit eine Stärkung des Staats vor, wo immer das möglich ist. Beides hat gewiss mit der Wahrnehmung privater Interessen zu tun. Der Landwirt, der Mittelständler, der Kaufmann sorgen für sich selbst im regionalen Rahmen anders als im Zug großer Politik. Bei den Religionen und in der Bildungspolitik sieht es wieder anders aus. Hier geht es dann um Werte. Wer definiert sie? Wer propagiert sie?
Das alles hat Schwennicke mitzubedenken, Precht aber offensichtlich nicht. Deshalb erhöht der Philosoph den verbalen Druck auf seinen Gesprächspartner. Im Fußball, wo das Wort Philosophie gegenwärtig ohnehin mehr beheimatet ist als in den Feuilletons, würde man sagen: Precht verschärft das Pressing. Schwennicke reagiert darauf mit einem Lächeln, das man als nachsichtig oder auch hilflos deuten kann. Man kann sich auch vorstellen, dass er so ähnlich, oder noch gequälter, lächeln würde, wenn er mit Pegida-Demonstranten diskutieren müsste.
Spät erst kommt der Journalist auf seine Erfahrung mit lokalem Konservatismus zu sprechen, als er von einem kleinen See in seiner bayrischen Heimat spricht, einen See, den er als Angler am liebsten für sich allein gehabt habe. Auch das ist eine Spielart von Konservatismus.
Reichlich Zeit hat bis dahin schon der Philosoph verbraucht, nämlich mit der Erörterung des Zusammenhangs von konservativem Denken und dem Begriff des Abendlands. Hier zeigt sich, dass Precht fast ausschließlich mit Handbuchwissen herumfuhrwerkt. Man kann sagen: Handbuchwissen ist besser als gar kein Wissen. Aber Handbuchwissen führt eben rasch auch zum Halbwissen, und das ist wiederum ärgerlicher als gar kein Wissen.
... der andere das Halbwissen
Zwei Punkte mögen aus Prechts Suada herausgenommen und näher betrachtet sein, damit es nicht heißt, man widerspreche ihm ohne Argumente: Precht sagt, Freiheit sei ein Wert aus der griechischen Philosophie – was richtig ist – und könne für eine jüdisch-christliche Tradition nicht in Anspruch genommen werden – was Unsinn ist. Die christliche Welt ist von Anfang an von griechisch-römischem Denken durchtränkt (man lese nur die großen Kappadokier), wobei Freiheit bei den Römern etwas anderes bedeutet als bei den Griechen. Die frühchristliche Gelehrsamkeit gäbe es nicht ohne den massiven Einfluss der antiken Rhetorik.
Sodann behauptet Precht, die jüdische Glaubenstradition wisse nichts von Freiheit. Hier wollen wir nur auf Karl Jaspers verweisen, der den Inhalt des Freiheitsbegriffs unter anderem auf „das Leben in Polaritäten“zurückführt. „Schon die Bibel“, sagte Jaspers 1946, berge in sich „die Polaritäten“. Wer das Jüdisch-Christliche in der Figur Jesu von Nazareth aufsuchen möchte, muss zur Kenntnis nehmen, dass die von der Bibelkritik aus den Evangelien herausgearbeiteten Logienquellen nach Inhalt und Form stark auf die Sprüche kynischer Wanderredner verweisen, was in der gesellschaftlichen Realität der Oikomene im Römischen Reich auch nicht verwunderlich ist.
Was Precht zur Bedeutung der arabischen Vermittlung antiker Texte für die mittelalterliche (abendländische) Philosophie bemerkt, ist zwar in einzelnen Daten richtig, aber der Vorgang ist von ihm nicht verstanden. Was da geschah oder besser: nicht geschah, versteht man, wenn man bedenkt, welche Wirkung die Rezeption der Griechen hatte, als diese vornehmlich über die Vermittlung des Islam vonstatten ging. Und was daraus folgte, als nach der Eroberung Konstantinopels 1453 die byzantinischen Gelehrten in den Westen kamen. Ein Philosoph müsste das wissen.
Für das Fernsehen ist solches Wissen wohl zu komplex. Das Fernsehen kann sich aber zu Recht darauf berufen, dass in einer Zeit, in der Philosophen lieber die politischen Fragen der Gegenwart traktieren als die Themen ihrer Vorgänger, der Bildschirm das geeignete Forum abbildet. Doch Schwennicke mag sich trösten: Was ihm im Gespräch mit Precht passiert ist, hat auch Karl Kraus schon erfahren: „Man glaubt, einen Journalisten zu packen“, jammerte Kraus, „aber der sagt, er macht sich nichts draus, er ist Philosoph.“
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