Trotz dorniger Anfänge

Nachruf Er war einer der wirkungsvollsten Intellektuellen in der Bundesrepublik. Der Feuilletonist Henning Ritter ist tot.
Ausgabe 26/2013

Als in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts in Münster der Philosoph Joachim Ritter seine Schüler einen nach dem anderen, Hermann Lübbe, Odo Marquard, Karlfried Gründer, Rober Spaemann, gut promoviert und habilitiert auf die Lehrstühle anderer Universitäten entschwinden sah, flüsterten Kenner der Verhältnisse, der Beste sei ja doch der eigene Sohn. Henning Ritter, damals in Berlin, der weder promoviert noch habilitiert sein wollte, weil ihn das nicht interessiere. Dabei blieb es. Etliche Jahre später wurde der Elitärste der 68er Begründer und Leiter „Geisteswissenschaften“ der FAZ. 23 Jahre, von 1985 bis 2008, blieb er auf diesem Posten, und es gibt nicht wenige, die sagen, er sei in dieser Zeit und darüber hinaus einer der wirkungsvollsten Intellektuellen in der Bundesrepublik gewesen.

Die Studentenbewegung, die ihn keineswegs auf der Straße sah, die er rund um den Savignyplatz in Berlin erlebte, ist ja früh als ein Aufstand der Geisteswissenschaftler gegen die wachsende Übermacht der technischen und der Naturwissenschaften bezeichnet worden. Henning Ritter, der sich früh den Philosophen der französischen Aufklärung zugewandt hatte – und ihnen sein Leben lang treu blieb –, der mit großer Liebe den Autoren der Kunstgeschichte anhing (besonders Jacob Burckhardt), war als Student von Lehrern wie Jacob Taubes und Klaus Heinrich beeindruckt.

Durch seinen Vater hatte er Zugang zu Carl Schmitt gefunden. Hans Blumenberg war bis zu dessen Tod Ritters Briefpartner, Telefonpartner, und man darf wohl auch sagen: Freund. Trotz des inzwischen schon legendären Notizbuchs, trotz der Bücher über Mitleid und Grausamkeit wird der Briefwechsel Blumenberg/Ritter, wenn er denn doch herausgegeben werden sollte, als sein bester Beitrag zu den Geisteswissenschaften zu würdigen sein.

Als es um die 68er – von denen längst nicht alle Linke waren – ruhiger wurde, in den siebziger Jahren, dominierten allenthalben Fächer wie Soziologie, Psychoanalyse und Politologie. Ritter saß als Lektor eines kleinen Verlags in Berlin und gab wundervolle Bücher in schönen Ausgaben heraus: Giorgio Collis Aufsätze über Nietzsche, über die Vorsokratiker oder in mehreren Bänden Isaiah Berlin. Der Verlag ging rasch pleite, aber die FAZ, die damals dem Zeitgeist entgegenzuwirken gedachte, hatte Ritter schon entdeckt und ihn in einem Porträt ihren Lesern vorgestellt. Als die Seite „Geisteswissenschaften“ beschlossen wurde, machte sich Joachim Fest auf, ihn zu besuchen, zusammen mit seinem Freund Wolf Jobst Siedler. Beide kamen mit leuchtenden Augen zurück: „Dass es so etwas noch gibt.“ So wurde Ritter Redakteur. Seine in Heidelberg lebende Schwester klagte: „Schön, dass er jetzt eine feste Stellung hat. Aber dass es ausgerechnet die FAZ sein muss!“

Henning Ritter war gern Redakteur – trotz dorniger Anfänge: Journalisten sind konservative Leute in ihrem Bereich, sie lieben das Neue nicht. Auch wenn er bald als Autor hohe Auszeichnungen erhielt. Er liebte es, an späten Nachmittagen einen Kasten Bier im Arm im Großraumbüro der Nachrichtenredaktion zu erscheinen, sich dort mitten unter die Leute zu setzen und über das zu sprechen, was gerade anlag. Er hörte gern zu, konnte fast jedes Thema mit Lesefrüchten und eigenen Ideen bereichern. Und alles das war möglich, weil man damals noch pausenlos und überall Zigaretten rauchen durfte.

Dann war das zu Ende. Henning Ritter verließ Hessen und zog wieder nach Berlin, erneut in die Nähe des Savignyplatzes. Dort, bei Franz Diener, gehörte er bis kurz vor seinem am 23. Juni erfolgten Tod einem Stammtisch alter Männer an, trank dort seine zwei Glas Riesling pro Abend, diskutierte lebhaft. Vor ein paar Wochen sagte er, er habe Lungenkrebs, inoperabel, und ging.

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