Wenn die Kleinen die Großen ärgern

CETA Trotz Globalisierung können immer mehr Menschen auch aus kleinen Bezugsräumen heraus Macht ausüben. Wallonien ist nur ein Beispiel dafür
Ausgabe 43/2016

Die Kleinen jagen die Großen, sagt man im Skatspiel. Gemeint damit ist, dass man mit niedrigen Karten die höheren zur Unzeit hervorlocken kann. Die Kleinen ärgern die Großen, heißt es seit geraumer Zeit in der Politik. Jüngstes Beispiel: das CETA-Abkommen, die Handelsvereinbarungen zwischen der Europäischen Union und Kanada. Das kleine Wallonien, kaum die Hälfte von Belgien, ist imstande, den Abschluss zu verhindern.

In Deutschland war es eine – auf das 80-Millionen-Land gesehen – winzige Aktivistenschar, die mit einer Volksabstimmung die Ausrichtung der Olympischen Winterspiele verhindern konnte. Sie verfügte einfach über eine Kampagnenfähigkeit, die in den Reihen der Befürworter nicht vorhanden war. Kampagnenfähigkeit gehört zu den Kernkompetenzen in der Politik. Man braucht dazu Leute, die Zeit haben und sehr oft verfügbar sind.

Früher brauchte man dafür auch Geld. Aber das Geld hat hier wundersamerweise viel von seiner Macht verloren. Die sozialen Netzwerke zu bespielen, ist nicht übermäßig teuer. Man braucht dazu nur Leute, die mitmachen wollen und jederzeit verfügbar sind. Vielleicht demnächst nicht einmal mehr das. Plötzlich ist von „Social Bots“ die Rede. Auch bei der Bundeskanzlerin ist das angekommen. Diese Bots vermehren sich mit ihren Botschaften automatisch im Netz. Der Präsidentschaftswahlkampf in den USA war davon betroffen. Die Bundestagsparteien in Deutschland geben sich einig, darauf zu verzichten, die AFD will damit ein bisschen experimentieren. Jeder weiß: Solche Absprachen taugen zu nichts. Wir werden sehen. Mit dem, was die Wallonie derzeit unternimmt, hat das freilich nichts zu tun. Das sieht eher nach innerbelgischer Erpressung aus. So etwas gab es zwischen Bonn und dem Saarland auch schon.

Das ist der Spagat, zu dem die Politik genötigt wird. Einerseits erzwingt die zunehmende Globalisierung immer umfassendere Organisationsformen , andererseits bringt diese Globalisierung immer mehr Menschen dazu, sich kleiner, übersichtlicher Bezugsräume zu versichern, etwa der Heimatregion. In dieser kann dann die Kampagnenfähigkeit von wenigen eine Mehrheit schaffen, die weit über die Region hinaus Bedeutung erlangt.

Die Ratlosigkeit, die bei den EU-Spitzen in Brüssel herrscht, ist symptomatisch. Einstweilen scheint man darauf zu setzen, mit starken Persönlichkeiten die Lage zu beherrschen. Aber das ist keine Lösung. Zumal starke Männer derzeit nicht in hohem Ansehen stehen. Zumindest ist das bei den meisten so. Und bleibt hoffentlich auch so.

Der Autor und Journalist Jürgen Busche schreibt in seiner Kolumne Unter der Woche regelmäßig über Politik und Gesellschaft

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