Ziemlicher Blödsinn

Kanzlerdämmerung Wie schon im letzten Jahr wird das Ende von Angela Merkels Kanzlerschaft herbeigeschrieben. Mit der Realität hat das wenig zu tun
Ausgabe 03/2016
Gerät Angela Merkel ins Wanken?
Gerät Angela Merkel ins Wanken?

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Und wieder beginnt das Spielchen, das wir im letzten Herbst schon bewundern konnten: Allenthalben wird die Frage aufgeworfen: „Wann stürzt Merkel?“ Für 2015 wurde die Frage klar beantwortet: gar nicht. Für 2016 aber wird unverdrossen behauptet, das Jahr werde entscheidend sein für die Kanzlerschaft Angela Merkels. Die einen sehen ihr Ende schon für den Sommer voraus, andere geben ihr noch etwas mehr Zeit bis in den Herbst. Für eine Kanzlerin, der noch vor Kurzem attestiert wurde, sie sei derart überragend, dass die SPD schon jetzt auf einen Kanzlerkandidaten für 2017 verzichten könne, ist das eine verblüffende Wandlung .

Grund dafür ist die allgemeine Verunsicherung wegen der großen Zahl von Flüchtlingen, die nach Europa, vor allem aber nach Deutschland kommen. Grund im ganz praktischen Sinne schon deshalb, weil niemand weiß, wie man der Zuwanderung Herr werden soll. Wie in archaischen Gesellschaften ist auch jetzt wieder der Häuptling schuld, wenn der Regen ausbleibt. Angela Merkel wird vorgeworfen, sie habe die syrischen Kriegsflüchtlinge geradezu eingeladen. Das ist zwar Unsinn, hält sich aber trotzdem. Auch hat sie die Tausenden, die unter größter Gefahr übers Mittelmeer Italien zu erreichen suchen, keineswegs nach Deutschland gebeten und erst recht haben die Millionen Klima-Flüchtlinge, die in den nächsten zehn Jahren kommen werden, nichts mit der Politik der Kanzlerin zu tun. Doch wie man diesen Entwicklungen Herr werden soll, weiß man eben auch nicht. Und da scheint es schon realitätsnäher zu sein, über Merkels Sturz zu spekulieren. Stürze gibt es.

Die Union hat damit ihre speziellen Erfahrungen gemacht. Vor vierzig Jahren dachten einige ihrer Granden in Bonn, Bundeskanzler Ludwig Erhard sei seinem Amt nicht gewachsen. Obwohl er soeben einen glänzenden Wahlsieg errungen hatte. Sie stürzten ihn und nach der nächsten Wahl kam der Kanzler von der SPD: Willy Brandt. Die Union blieb 13 Jahre lang in der Opposition. Vor 25 Jahren dachte ein junger CDU-Landtagsabgeordneter in Rheinland-Pfalz, sein Ministerpräsident Bernhard Vogel habe zu viel Macht und ging daran, ihm wenigstens den Parteivorsitz zu entreißen. Der Parteitag folgte ihm, aber Vogel trat sogleich als Regierungschef zurück und verabschiedete sich mit den Worten: „Gott schütze unser Rheinland-Pfalz.“ Es war eines jener Gebete, die nicht erhört wurden. Die SPD gewann die nächste Landtagswahl und regiert seither in Mainz. Manche Fernsehjournalisten bezeichnen das Land der Reben und Rüben heute sogar schon als ein Stammland der SPD. Die Heimat Helmut Kohls!

Die CDU weiß also, was es bedeutet, wenn eine Partei ihren Mann an der Spitze stürzt. Und sie wird sich denken, dass das bei einer Frau an der Spitze nicht anders sein wird. Es kann sein, dass die Union mit Angela Merkel als Kanzlerin 2017 die Bundestagswahl wegen der Flüchtlingsfrage verliert. Aber wenn die CDU vorher ihre Parteivorsitzende und Kanzlerin zu Fall bringt und mit einem anderen Spitzenkandidaten antritt, dann wird sie diese Wahl mit Sicherheit verlieren. Der eine Fall mag ein großes Risiko in sich bergen. Im anderen Fall wäre sie von vornherein chancenlos. Zudem ist völlig unklar, wie ein Merkel-Nachfolger den Wahltermin erreichen könnte. Als Bundeskanzler – aber von wem im Bundestag gewählt? Oder nur als Parteivorsitzender? Am wahrscheinlichsten wären wohl ganz schnell herbeigeführte Neuwahlen. Aber da würde dann die CDU noch blasser aussehen als Gerhard Schröders SPD im Jahr 2005. Damals konnte Schröder noch einen fulminanten Wahlkampf führen – und fast gewinnen. Das wäre einer gestürzten Kanzlerin nicht möglich. Will sich die Union auf acht oder zwölf Jahre in der Opposition einstellen? Wohl kaum.

Der Autor und Journalist Jürgen Busche schreibt in seiner Kolumne Unter der Woche regelmäßig über Politik und Gesellschaft

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