Autos kaufen keine Autos" - auf diese Kurzformel, die ausgerechnet vom Erzkapitalisten Henry Ford stammt, wird bei ver.di die bei den Gewerkschaften allgemein so beliebte "Kaufkrafttheorie" des Lohns gebracht. Eine auf den ersten Blick attraktive und eingängige Lösung der wirtschaftspolitischen Probleme, verknüpft sie doch den Wohlstand der Arbeitnehmer mittels Lohnerhöhungen mit den Profitaussichten des Kapitals. Eitel Sonnenschein allerorten! Wären da nicht die Unternehmer, die borniert einzelwirtschaftlich denken und Lohnsteigerungen nur als Kostenerhöhungen betrachten wollen - nicht aber ihre volkswirtschaftlich segensreiche Funktion der Nachfragesteigerung sehen können.
Vorweg: Es geht hier nicht darum, die Berechtigung von Lohnforderungen in Zeiten eines dramatisch gefallenen Nettoreallohns bei gleichzeitig explodierenden Gewinnen in Frage zu stellen. Lohnerhöhungen, die zumindest das Produktivitäts- und Inflationswachstum voll ausschöpfen, sind eine Voraussetzung volkswirtschaftlicher Dynamik. Auch kann eine kontinuierliche Senkung des Lohnniveaus tatsächlich Teil einer katastrophalen Deflationsspirale sein, die die Volkwirtschaft insgesamt nach unten zieht. Und es geht hier auch nicht darum, notwendige staatliche Ausgaben für die soziale Sicherheit, notwendige Investitionen in die mehr und mehr verrottende Infrastruktur oder Mittel zur Behebung der Bildungs- und Forschungsmisere anzuzweifeln.
Worum geht es dann? Es geht um berechtigte Zweifel. Die immer wieder und nicht nur von ver.di propagierte Funktion des Lohns als Nachfragefaktor im Konjunkturaufschwung, die behauptete nachhaltige Steigerung der Binnennachfrage durch Lohnerhöhungen blendet wichtige Argumente aus.
Schon die Statistik belehrt uns eines Besseren: In den neun- bis elfjährigen Zyklen der (west-)deutschen Wirtschaft seit 1950 ging im volkswirtschaftlichen Wachstum immer der Anstieg der Investitionen dem Anstieg der Löhne voraus. Weil dies so ist, sind diese umgekehrt auch immer vor einer Krise am höchsten gewesen. Sind sie deshalb Ursache der Krise, wie die Gegenseite behauptet? Natürlich nicht. Die Löhne sind ja nicht die unabhängige Variable im Wirtschaftswachstum, sondern die abhängige.
Das hat schon ein Klassiker der politischen Ökonomie gezeigt: Karl Marx. Wenn jene "Ritter vom gesunden und einfachen Menschenverstand", wie der Mann aus Trier die Nachfragetheoretiker verspottete, behaupten, "die Arbeiterklasse erhalte einen zu geringen Teil ihres eignen Produkts, und dem Übelstand werde mithin abgeholfen, sobald sie größeren Anteil davon empfängt, ihr Arbeitslohn folglich wächst, so ist nur zu bemerken, dass die Krisen jedes Mal gerade vorbereitet werden durch eine Periode, worin der Arbeitslohn allgemein steigt und die Arbeiterklasse realiter größeren Anteil an dem für Konsumtion bestimmten Teil des jährlichen Produkts erhält". (MEW 24, Bd. II, S. 409)
Aufgrund ihrer Entscheidung über die Verwendung von Profiten - Investition oder Sparen - haben es vielmehr die Unternehmen selbst in der Hand, ihre Nachfragebedingungen durch zusätzliche Investitionen zu bestimmen. Das würde zusätzliche Nachfrage nach Produktionsmitteln und unter Umständen eine Nachfrage nach mehr Arbeitskräften sowie dadurch dann auch eine steigende Nachfrage nach Konsumgütern bedeuten. Wie die Entscheidungen der Kapitalisten ausfallen, das hängt von ihren Profiterwartungen ab - und davon, ob sich mit alternativen Auslandsdirektinvestitionen oder spekulativen Anlagemöglichkeiten nicht noch mehr herausschlagen lässt.
Die Unternehmen haben es so selbst in der Hand, ihre eigenen inländischen Nachfrageverhältnisse nach Produktionsmitteln und Konsumgütern durch die Verwendung der Profite zu bestimmen. Sie könnten sich, wie es der Ökonom Michael Kalecki einmal sagte, am eigenen Zopf aus dem Sumpf ziehen. Sie sind aber dabei selbst "Getriebene", abhängig vom Verhalten ihrer "feindlichen Brüder" (den kapitalistischen Konkurrenten) und dem daraus resultierenden Konjunkturzyklus.
Umgekehrt ist eine Erhöhung der Löhne in Krisenzeiten keine Garantie einer zusätzlichen Nachfrage. Zunächst ist fraglich, ob bessere Einkommen bei dem dann erhöhten Druck eines überfüllten Arbeitsmarktes überhaupt durchsetzbar sind. Zumal sich das Ungleichgewicht zwischen Kapital und Arbeit gerade auch durch die mögliche Drohung der Abwanderung ins Ausland weiter zu Ungunsten der Beschäftigten verschoben hat.
Darüber hinaus sollte nicht vernachlässigt werden, dass auch Arbeitnehmer als Konsumenten "einzelwirtschaftlich" handeln - und zwar mit Recht. Sie werden in Krisenzeiten aus Sicherheitsgründen wohl eher ihre Sparquote erhöhen, statt das Geld in zusätzlichen Konsum zu stecken. Nachfrage- und Angebotsseite bilden also ein zusammenhängendes System, das vorrangig durch die Verwertungsinteressen der Kapitaleigner reguliert wird. Und Nachfragepolitik - sei es durch Lohnpolitik oder Staatsausgaben - kann nicht erfolgreich sein, wenn die Angebotsseite für die Unternehmen unprofitable Strukturen aufweist und die Profiterwartungen zugleich nachhaltig eingeschränkt werden. Denn im real existierenden Kapitalismus ist Endzweck der Produktion die Rentabilität und - dies kann man bedauern - nichtÊder Konsum.
Jürgen Hoffmann ist Professor im Fachbereich Soziologie an der Hamburger Universität, Fakultät für Wirtschaft und Sozialwissenschaften, Department Wirtschaft und Politik (ex HWP) sowie wissenschaftlicher Berater des Europäischen Gewerkschaftsinstituts in Brüssel.
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