Rivalen an der Ägäis

Außenpolitik Türkei und Griechenland streiten um Einfluss im Mittelmeer. Es droht ein militärischer Konflikt
Ausgabe 33/2020

Als Außenminister Heiko Maas kürzlich nach Athen reiste, um zwischen Türken und Griechen zu vermitteln, war ihm erwartungsgemäß kein Erfolg beschieden. Was zwischen den beiden Staaten an Konflikten gärt, ist einfach zu gravierend. Es geht um Gasvorkommen, Transportrouten, Einflusszonen und Regionalmacht. Präsident Erdoğan versucht gleich an mehreren Orten, Vorhaben nicht nur Griechenlands, sondern auch Zyperns, Israels und Ägyptens zu durchkreuzen. So will er mit einem Meereskorridor zwischen seinem Land und Libyen verhindern, dass vor der israelischen Küste gefördertes Erdgas per Pipeline an Kreta vorbei nach Europa geliefert wird. Mit dem seit Monaten intensivierten Libyen-Engagement soll das von der Türkei kontrollierte Seegebiet ausgeweitet werden, wobei es unerheblich zu sein scheint, wenn sich das in der Nähe der griechischen Inseln Kreta, Karpathos und Rhodos abspielt. Ein Coup ohnegleichen!

Von Fregatten eskortiert

Zugleich hat Erdoğan Truppen nach Libyen entsandt, um das Regime des in Tripolis residierenden Premierministers Fayiz as-Sarradsch zu stärken. Jener Korridor, dessen Planung angeblich bei den Vereinten Nationen hinterlegt ist, wurde selbstredend nie mit Athen abgestimmt, soll aber eine türkische Gaserkundung im Umfeld von Kreta ermöglichen. Damit nicht genug: Zypern, das seinerseits über Gasvorkommen verfügt und die Ausbeutung italienischen wie französischen Unternehmen übertragen hat, soll gezwungen werden, die Erträge mit dem türkischen Nordteil der Insel zu teilen. Gleichzeitig will die Türkei in dieser Meeresregion selbst prospektieren. Ihr Forschungsschiff Oruc Reis wird von Fregatten eskortiert, um solcher Präsenz Nachdruck zu verleihen, wenn südlich der griechischen Insel Kastellorizo operiert wird. Dass es seit 1982 ein UN-Seerechtsabkommen gibt, spielt keine Rolle. In seinen Artikeln ist unter anderem verankert, dass Wirtschaftszonen von 200 Seemeilen auch für Inseln gelten und der Hoheit des Staates unterstehen, zu dem diese gehören.

Für die türkische Regierung ist das kein Argument, schließlich seien es nur gut drei Kilometer von Kastellorizo bis zum türkischen Festland. Unter diesen Umständen ist eine Konfrontation quasi programmiert: Griechenland hat erklärt, die türkischen Bohrungen seien unzulässig, während Präsident Erdoğan nicht zurückweichen, den proklamierten Mittelmeer-Korridor schützen und jeden Pipelinebau unterbinden will.

Eine diplomatische Lösung wäre geboten, doch ist davon nichts in Sicht, zumal sich die EU-Staaten – durch ihr Mitglied Griechenland unmittelbar betroffen – auf keine gemeinsame Position einigen können. Allein Frankreich hat Widerstand gegen Ankara angekündigt. Deutschland, das eigene strategische Interessen im Nahen Osten verfolgt, steht eher auf der Seite der Türkei, weiß dies aber zu verschleiern. Insofern kann es kaum verwundern, dass Erdoğan die Europäische Union als mögliche Gegenmacht nicht weiter fürchtet und in Libyen wie in Nordsyrien tut, was er für richtig hält.

Gerade hat er mit der Entscheidung, die Hagia Sophia in Istanbul wieder in eine Moschee zu verwandeln (der Freitag 30/2020), zum Ausdruck gebracht, wie selbstbestimmt und nationalbewusst sein Staat zu handeln vermag. In einer Rede beschrieb er die Umwidmung als Befreiung im Interesse des Islam. Bedauerlich daran ist vor allem eines: Ein höchst beeindruckendes Monument hat seine Brückenfunktion zwischen den Religionen verloren, ein Aspekt, den die Türkei bis vor kurzem noch betont hat. Bedauerlich ist ebenso, dass kaum damit zu rechnen ist, dass der türkische Staat die Kosten für die nötige Instandhaltung zu tragen vermag, falls die UNESCO ihre Unterstützung einstellt. All dies dürfte die Erdoğan-Regierung wenig stören. Es ging ihr um ein politisches Signal an den Westen und natürlich an Griechenland. Man will keine Theokratie, ließ sich Erdoğans Botschaft deuten, doch ein verlässlicher religiöser Unterbau sei auch für einen säkularen Staat durchaus angebracht. Sollte sich in den nächsten Wochen der türkisch-griechische Konflikt weiter verschärfen, hat Erdoğan gegenüber dem Westen ein Faustpfand, auf das garantiert zurückgegriffen wird: die im eigenen Land auf einen Transit nach Europa wartenden Flüchtlinge. Seit die Corona-Krise ihren ökonomischen Tribut fordert, ist die EU in dieser Hinsicht noch erpressbarer, als das bisher schon der Fall war. Erdoğans Verhalten lässt sich nur beeinflussen durch massive Investitionen, Waffenlieferungen und Konzessionen im Tourismus, wozu sich Deutschland inzwischen bereitfand. Die Reisewarnungen für die Provinzen Antalya, Izmir, Aydın und Muğla sind seit einer Woche aufgehoben.

Doch wird sich durch dieses Zugeständnis wenig daran ändern, dass die Türkei – verschärft durch die Corona-Folgen – seit 2018 einer veritablen Rezession und akutem Währungsverfall ausgesetzt ist. Die Staatsschuldenquote lag Ende 2019 bei gut 31 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung (und dürfte seither weiter gestiegen sein), während sich alle Auslandsschulden im zweiten Quartal 2020 auf 431 Milliarden Dollar summierten. Griechenland steht bei einem Verschuldungsgrad von 177 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) zwar viel schlechter da, hat aber die Pandemie mit geringer Ansteckungs- und relativ niedriger Todesrate bislang – auch dank eines rigoros gehandhabten und von der Bevölkerung diszipliniert befolgten Lockdowns – besser verkraftet als die Türkei.

Die USA halten sich raus

Für einen militärischen Schlagabtausch fühlt sich die konservative Regierung von Ministerpräsident Mitsotakis gerüstet. Die Wahrscheinlichkeit, dass es dazu kommt, steigt von Tag zu Tag. Die EU würde dem wohl nur ohnmächtig zusehen können. Und im Weißen Haus gibt es derzeit keinen Präsidenten, der wie Bill Clinton 1996 in einer ähnlichen Krisensituation zum Telefon greift, um aufgefahrene, kriegsbereite griechische und türkische Schiffsverbände dazu zu bewegen, wieder abzudrehen. Damals ging es um eine kleine, unbewohnte Insel in der Ägäis, von den Griechen Imia und von den Türken Kardak genannt. Diesmal geht es um weit mehr.

Jürgen Pelzer ist Literatur- und Kulturwissenschaftler. Er lebt abwechselnd in Berlin und Athen

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