Antreten zum Heimatschutz

Bundeswehr im Innendienst Wie die CDU/CSU-Fraktion mit verfassungswidrigen Manövern die Wehrpflicht retten will

Die christlich-konservative Opposition scheint den fortwährenden Bekenntnissen des Verteidigungsministers zum Erhalt der Allgemeinen Wehrpflicht nicht recht trauen zu wollen. Hatte Peter Struck (SPD) doch Ende November erklärt, durch seinen Generalinspekteur die künftige Bundeswehrstruktur so planen zu lassen, dass sie auch nach einem Wegfall der Wehrpflicht Bestand habe. Schon diese Andeutung genügte, um die Hohepriester der Allgemeinen Wehrpflicht in helle Aufregung zu versetzen. Die Unruhe wurde noch geschürt, als Familienministerin Renate Schmidt (SPD) Anfang des Jahres mit Blick auf den zivilen Wehrersatzdienst zugunsten eines "Strukturwandels vom Pflichtdienst zum Freiwilligendienst" eintrat. Damit begann ein weiterer Pfeiler im Argumentationsgebäude der Wehrpflichtanhänger zu wanken - dass die Wehrpflicht erhalten werden müsse, um den Bestand des vorgeblich unverzichtbaren Zivildienstes zu garantieren.

Zur Abrundung hatte Struck kürzlich mitgeteilt, die traditionelle Landesverteidigung sei auf der Prioritätenliste für die Aufträge der Bundeswehr ganz nach hinten gerückt. Begründung: Die Gefahr eines direkten Angriffs mit konventionellen Streitkräften auf deutsches Territorium sei auf absehbare Zeit nicht mehr gegeben. Die nur für diesen Zweck bereit gehaltenen Kapazitäten würden nicht länger benötigt. Im Klartext folgt daraus, dass sich eine Allgemeine Wehrpflicht nicht länger rechtfertigen lässt - jedenfalls nicht mehr mit dem Gebot der Landesverteidigung. Nach Auffassung der Bundeswehrführung werden Fähigkeiten, Führungssystem, Verfügbarkeit und Ausrüstung der Streitkräfte maßgeblich von einem neuen Auftrag geprägt: der internationalen Konfliktverhütung und Krisenbewältigung, einschließlich des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus. Nach den Worten Strucks "die strukturbestimmende Aufgabe der Bundeswehr".

Um den neuen Auftrag zu erfüllen, dürfen zwangsdienstverpflichtete Grundwehrdienstleistende nicht eingesetzt werden, wodurch die bisherige Wehrstruktur vollends überflüssig wäre. Zudem droht der Wehrpflicht dank einer völlig willkürlichen Einberufungspraxis - sprich: einer himmelschreienden Wehrungerechtigkeit - das Aus von Seiten der Verwaltungsgerichtsbarkeit.

Ist sie todgeweiht?

In der Bundestagsfraktion von CDU und CSU wurde all das aufmerksam registriert. Vor wenigen Tagen sah sich deren verteidigungspolitischen Sprecher, Christian Schmidt, zu der Erklärung genötigt, wonach die Unionsparteien gegen eine Umwandlung der Bundeswehr in eine reine Interventionsarmee für Auslandseinsätze seien. Die Streitkräfte müssten jederzeit den Schutz der Bevölkerung und die Verteidigung des Landes auf eigenem Boden gewährleisten können. "In einer reinen Interventionsarmee", so Schmidt, "lässt sich die Wehrpflicht nicht aufrechterhalten. Wenn nicht wieder Heimatschutzstrukturen aufgebaut werden, ist sie todgeweiht." In der Konsequenz offeriert die CDU/CSU nun ein Konzept, das auf eine Stärkung der Wehrpflicht hinaus will. Denn die ist nach ihrer Auffassung nur durch nationale Heimatschutzverbände zu sichern. Organisiert werden sollen letztere in bundesweit 50 Regionalbasen mit jeweils bis zu 500 Soldaten, in der Hauptsache Wehrpflichtige, die im Einsatzfall mit Reservisten zu verstärken wären. Der Hauptauftrag für diesen Heimatschutz soll in Hilfsleistungen bei Katastrophenfällen sowie der Abwehr von Terrorangriffen bestehen. Dazu seien militärische und zivile Einsatzkräfte engmaschig zu vernetzen. Voraussetzung hierfür wäre eine Änderung des Grundgesetzes, denn das sieht eine strikte Trennung der Aufgabenbereiche von Militär, Polizei, Bundesgrenzschutz und zivilen Hilfsorganisationen vor. Jedweder Einsatz der Bundeswehr im Inneren unterliegt daher bislang äußerst strengen Auflagen.

Des weiteren will die Union das Personal der Bundeswehr auf 275.000 Soldaten erhöhen - also 25.000 mehr, als der Verteidigungsminister plant. Auch soll die Zahl der Wehrpflichtigen statt der von Struck vorgesehenen 55.000 künftig 75.000 betragen. Da mehr Personal zwangsläufig mehr Geld kostet, wollen CDU und CSU den Verteidigungshaushalt um 1,5 Milliarden auf 26 Milliarden Euro erhöhen. Wie das finanziert werden soll, bleibt unklar, was der Glaubwürdigkeit des Oppositionsentwurfs nicht eben zuträglich ist.

Überhaupt sind die Intentionen des Heimatschutzkonzeptes allzu durchsichtig. Der verteidigungspolitische Sprecher spricht unumwunden von einer "Notoperation" zur Rettung der Wehrpflicht. Er ignoriert, dass damit das Pferd vom Schwanz her aufgezäumt wird. Nach übereinstimmender Auffassung derjenigen, die von Sicherheitspolitik etwas verstehen, leitet sich die Wehrstruktur aus dem Auftrag der Streitkräfte ab und nicht umgekehrt. Bei der Union aber geht es offenbar darum, eine anachronistische Wehrstruktur zu konservieren, indem ein dafür passender Wehrauftrag geschneidert wird.

Bei allem Wortgeklingel von der "neuen Qualität der asymmetrischen Bedrohung" oder "substanzieller Landesverteidigungsfähigkeit in Form eines vernetzten Heimatschutzes" bleibt völlig unklar, welche Rolle Grundwehrdienstleistende in einem solchen Szenario konkret spielen sollen. Nicht nachvollziehbar ist der angebliche Wert von Wehrpflichtigen zur Terroristenabwehr. Alle Terrorattacken der Vergangenheit gingen von Einzeltätern oder kleinen Gruppen aus - welchen sicherheitsstiftenden Wert soll da eine flächendeckende Verteilung von Grundwehrdienstleistenden auf deutschem Staatsgebiet haben? Zur Aufklärung und Abwehr terroristischer Aktionen ist vorrangig eine präzise, international vernetzte Geheimdienst- und Polizeiarbeit gefragt, getragen von über Jahre hinweg ausgebildeten und hochprofessionellen Experten, nicht aber von kurzfristig angelernten Zwangsdienern des Staates. Ein Einsatz von Wehrpflichtigen zur Terrorbekämpfung erweist sich bei näherer Betrachtung als pure Geldverschwendung und bindet Ressourcen - etwa in der Ausbildung -, die dringender an anderer Stelle benötigt werden.

Ähnliches gilt für die immer wieder reklamierte Hilfsleistung bei Katastrophenfällen. Auch hier ist zu fragen, welchen Vorteil es bringt, sich auf zwangsverpflichtete Amateure, die zudem nur für wenige Monate verfügbar sind, stützen zu wollen. Außerdem handelt es sich bei Katastrophenhilfe nicht um einen Kernauftrag für bewaffnete Streitkräfte, sondern eine reine Zusatzfunktion, die im Rahmen vorhandener Kapazitäten ohnehin wahrgenommen wird. Sollen mögliche Defizite im Katastrophenschutz behoben werden, dürfte es bei weitem effizienter sein, Steuergelder direkt in die vorhandenen Strukturen - etwa das Technische Hilfswerk - zu investieren.

Wehrhaft nach Wahlkampflage

Die maßgeblichen politischen Motive für das Heimatschutzkonzept ergeben sich nur vordergründig aus Terrorismusabwehr und Katastrophenschutz. Einerseits fügt es sich nahtlos in die hartnäckigen Bemühungen der Union seit dem Ende des Kalten Krieges ein, die vom Grundgesetz gezogenen Grenzen für den Einsatz der Bundeswehr im Inneren zu durchbrechen, um einen (Un-)Sicherheitsmoloch nach US-Vorbild ("Department for Homeland Defense") zu etablieren und zugleich den Stellenwert des Militärs in Staat und Gesellschaft zu erhöhen.

Zum anderen sind die Forderungen im Entschließungsantrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vom 26. Januar 2004 eindeutig, wenn es heißt die Bundeswehr müsse "weiterhin in der Fläche präsent bleiben", was klar auf den Erhalt der Wehrpflicht und möglichst vieler Bundeswehrstandorte zielt. Bei den 2004 anstehenden Kommunal- und Landtagswahlen muss nicht zuletzt an potenzielle Wähler in den Garnisonsstädten wie unter den Berufssoldaten gedacht werden - Sicherheitspolitik nach Wahlkampflage.

Dipl. Päd. Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr. Er vertritt in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen.


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