Augen zu und durch

Afghanistan Blutiger Guerillakrieg am Hindukusch. Berlin setzt weiter auf Sieg

Immer schneller dreht sich die Gewaltspirale auf dem fernen Kriegsschauplatz, ohne Rücksicht auf Verluste führen ausländische Besatzungstruppen und einheimische Widersacher einen menschenverachtenden Guerillakrieg. Immer nachdrücklicher bewahrheitet sich dabei die Erkenntnis des Erzzynikers Henry Kissinger, der zum Vietnam-Desaster konstatiert hatte: "Die Armee verliert, solange sie nicht gewinnt, die Guerilla aber gewinnt, solange sie nicht verliert." Höchst eindrucksvoll erweist sich in diesen Tagen die ungeheure Einfältigkeit der regierungsamtlich proklamierten Parole, Deutschland werde am Hindukusch verteidigt.

Die Geiselnahmen deutscher Staatsbürger, die Bombenattentate auf Bundeswehrsoldaten, die Tötung unschuldiger afghanischer Zivilisten durch die Koalitionstruppen - all dieser alltägliche Horror vermag bei den politisch Verantwortlichen in Berlin kein Umdenken zu erzwingen. Skeptische Fragen, kritische Einwände gegen den von den USA oktroyierten "War on Terror" bilden dagegen die absolute Ausnahme. Bemerkenswert immerhin, wie sich neulich Justizministerin Zypries angesichts der Fantasien von Innenminister Schäuble einließ: Die Frage sei doch nicht, ob wir Bin Laden töten sollten oder nicht. "Die Frage ist: Warum finden wir ihn nach fast sechs Jahren immer noch nicht?" Ja, in der Tat, warum denn nur?

Geradezu sensationell mutet an, was Willy Wimmer, einsamer Rufer in der CDU-Fraktion, zum Kreuzzug gegen den Terror anmerkt, den der Westen am Hindukusch inszeniert: "Der afghanische Präsident Karzai hat mir vor wenigen Wochen unter sechs Augen gesagt, die Amerikaner hätten den Krieg vor drei Jahren zu Ende bringen können. Ich stelle mir die Frage, warum das nicht geschehen ist." Hieraus schließt Wimmer, "dass wir uns eher mit der Frage beschäftigen müssen, ob ein Ausstieg verhindert werden soll, und nicht mit der Frage, ob man den Ausstieg aus dem Krieg in Afghanistan haben will."

In der Tat dürfte es sich hierbei um des Pudels Kern handeln, spiegelt doch die aktuelle Afghanistan-Debatte hierzulande exakt diesen Befund wider. In den Augen der etablierten Kriegsparteien stellt die Frage nach einem Exit aus dem aller militärischen Expertise nach aussichtslosen Guerillakrieg einen Tabubruch dar. Allenfalls über kleinere Frontbegradigungen wird räsoniert, etwa dass sich die Bundeswehr möglicherweise aus der von den USA kommandierten Operation Enduring Freedom (OEF) verabschieden sollte. Umso leichter ließe sich dann das Mandat für die UN-legitimierte und NATO-geführte Stabilisierungsoperation ISAF zusammen mit der Tornado-Entsendung fortschreiben.

Indes sitzen die Protagonisten einer solchen Strategie einer gewaltigen Illusion auf, nämlich dass es eine "gute", weil friedliche ISAF-Mission einerseits und einen "bösen", weil kriegerischen OEF-Auftrag andererseits gäbe und beide nichts miteinander zu tun hätten. Der Einsatzwirklichkeit am Hindukusch wird das kaum gerecht. Es ist zudem sehr unwahrscheinlich, dass irgendein afghanischer Widerstandskämpfer vor Waffengebrauch zurückschrecken wird, weil sein Ziel nunmehr ISAF statt OEF heißt. Im Übrigen bleibt die Drecksarbeit der OEF auch dann weiterhin Drecksarbeit, wenn man sie den Verbündeten überlässt. Reichlich weltfremd erscheint daher die Vorstellung, im Norden Afghanistans könnte die Bundeswehr unbehelligt ihren "friedlichen" ISAF-Auftrag erfüllen, während im Süden und Osten NATO-Verbände einen barbarischen Feldzug fortsetzen, unter dem vor allem die dort ansässige paschtunische Bevölkerung leidet. Doch ungeachtet dessen heißt die Devise in Berlin: Augen zu und durch zum Wohle des Bündnisses, die heilige nordatlantische Allianz steht auf dem Spiel. Es darf also munter weiter gestorben und gemordet werden am fernen Hindukusch.

Dipl. Päd. Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr. Er vertritt in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen.


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