Das Sandwich-Dilemma

Pakistan / Indien Die Feindschaft zwischen den beiden Regional- und Atommächten entfaltet sich auch auf dem Kriegsschauplatz Afghanistan und erweist sich als Friedenshindernis

In der Terminologie der Geostrategen ist AfPak das Akronym für den Kriegsschauplatz am Hindukusch, und es verweist auf zwei in diesem Konflikt eng miteinander verwobene Akteure – Afghanistan und Pakistan. Weniger getrennt denn verbunden sind diese beiden Staaten durch eine 2.640 Kilometer lange Grenze. Sie zieht sich mitten durch den Siedlungsraum von 40 Millionen Paschtunen, die entlang der Demarkationslinie in 65 Stämmen leben. Tagtäglich wird das Grenzgebiet von etwa 200.000 Menschen durchquert. In der Deckung dieses Menschenstroms können sich Kombattanten zwischen den Operationsfeldern in Afghanistan und den Rückzugsräumen in Pakistan weitgehend risikolos hin und her bewegen. Sie fügen den alliierten Besatzungstruppen am Hindukusch seit Jahren Verluste zu.

Der stete Aderlass war ein Grund dafür, dass schon Präsident George W. Bush Kommando-Aktionen seiner Special Forces sowie Angriffe unbemannter Kampfdrohnen auf pakistanisches Territorium anordnete. Frisch im Amt ließ Nachfolger Barack Obama die von Gefechtsständen in den USA gesteuerten Drohnenangriffe, denen leider nur allzu oft Zivilisten erliegen, mit gesteigerter Intensität fortführen. Zudem setzte er Islamabad stärker unter Druck, damit die pakistanische Armee Widerstandsnester der Guerilla in den Stammesgebieten der North West Frontier Province (NWFP) und Waziristans aushebt und die Ruheräume unsicher macht. Es sollte ein pakistanischer Beitrag zur Befriedung Afghanistans sein.

Doch die Strategie, die vor allem auf den gegen die Guerilla geführten Enthauptungsschlag setzt, bleibt den erhofften Erfolg schuldig. Sie ignoriert fundamentale politische Parameter, von denen Pakistans Politik notgedrungen beeinflusst wird. Unter anderem die strategische Zwangslage, in der sich dieser Staat zwischen Afghanistan im Westen und Indien im Osten befindet, „AfPakInd“ wäre deshalb das viel bessere Akronym für dieses „Sandwich-Dilemma“. Es reflektiert, dass Pakistan seit seiner Gründung 1947 Indien nicht nur als Gegenspieler, sondern auch als Todfeind erfahren und behandelt hat. Immerhin wurden in den Jahren 1965, 1971 und 1999 drei Kriege gegeneinander geführt. Dabei muss es nicht bleiben. Allein der Streit um die Region Kaschmir hat jederzeit das Zeug für eine nächste Konfrontation.

Die pakistanische Generalität, die sich an der „Ostfront“ permanenter Bedrohung ausgesetzt sieht, fühlt sich besonders durch das intensivierte Engagement Delhis in Afghanistan alarmiert. Dort – quasi im Rücken Pakistans – unterhält Indien inzwischen ein Netz von Residenzen seines Geheimdienstes RAW, die offiziell als „Konsulate“ und „Information Centers“ firmieren. Mit Hilfe dieser Logistik werden separatistische Revolten in der pakistanischen Provinz Belutschistan geschürt und Angriffe auf Ziele in Pakistan gesteuert. Indische Militärberater kümmern sich auch als Instrukteure um die afghanischen Streitkräfte (ANA) – von ansehnlichen Investitionen in die Infrastruktur im Raum Kabul ganz abgesehen. Dabei kooperiert Indien vornehmlich mit den ehemaligen Mitgliedern der Nordallianz, den afghanischen Verbündeten der USA bei der Invasion im Oktober 2001. Das vom pakistanischen Geheimdienst Inter Services Intelligence (ISI) gestützte paschtunische Taliban-Regime in Kabul – es diente als Sachwalter strategischer Interessen Pakistans und war von Islamabad diplomatisch anerkannt – wurde damals gestürzt.

Der Feind meines Feindes

Es kann nicht verwundern, dass Islamabad ein zunehmend mit Indien verbandeltes Regime in Kabul der militärischen Subversion in Pakistan verdächtigt und als feindselig einstuft. Die Armee reagiert darauf getreu der Devise Der Feind meines Feindes ist mein Freund, sie hat mit Hilfe des ISI den afghanischen Widerstand nie sich selbst überlassen. Dazu merkte jüngst der renommierte US-Analyst Robert D. Blackwill in der Zeitschrift Foreign Affairs an: „Das pakistanische Militär – beherrscht durch sein Feindbild Indien und den Drang nach strategischer Tiefe – wird weder aufhören, den viele Jahre als sein Klientel fungierenden afghanischen Taliban Beistand zu gewähren und Unterschlupf zu bieten, noch ein wirklich unabhängiges Afghanistan hinnehmen.“ Diese „Klientel“ rekrutiert sich vorzugsweise aus den beiderseits der afghanisch-pakistanischen Grenze lebenden Paschtunen. Hinter vorgehaltener Hand räumen pakistanische Militärs unumwunden ein, dass man natürlich mit diesen Gruppierungen kooperiere, brauche man doch in Afghanistan Alliierte, auf die Verlass sei. Aus Sicht Islamabads ergeben sich daraus zwei Handlungsdirektiven – einerseits den Kampf des afghanischen Widerstandes gegen die Besatzungstruppen zu unterstützen, bis die zumindest in Teilen abziehen, und dann in Kabul auf jene Kräfte zu setzen, die für Allianzen gegen Indien zu gebrauchen sind.

Der ehemalige ISI-Chef, Generalleutnant Asad M. Durrani, gab diesbezüglich in einem mit dem Autor geführten Interview zu Protokoll: „Natürlich hat man versucht, mit allen Kräften in Afghanistan – besonders den Taliban, seit die 1996 an die Macht gekommen waren – Kontakt zu halten. Zugleich aber wäre ich heute persönlich sehr dankbar dafür, würde der ISI den afghanischen Widerstand unterstützen. Denn nur, wenn diese Gegenwehr, also die so genannten Neuen Taliban – das sind nicht die Taliban des Mullah Omar – stark genug bleibt, gibt es eine Möglichkeit, dass sich die fremden Truppen aus Afghanistan zurückziehen; anderenfalls bleiben sie dort. Auch wenn das seit 2001 keine offizielle Position einer pakistanische Regierung ist, so führen die Taliban in Afghanistan, die gegen die Besatzung Selbstverteidigung üben, doch unseren Krieg. Wenn sie Erfolg haben, werden die fremden Truppen gehen. Wenn sie scheitern und Afghanistan unter Fremdherrschaft bleibt, werden wir weiter Probleme haben. Sollte sich die NATO als stärkste Militärmacht der Welt wegen ökonomischer und geopolitischer Interessen – denken Sie an das New Great Game [das energiepolitische Konfliktfeld im kaspischen Raum, d. Red.] – praktisch an der pakistanischen Grenze festsetzen, wird das in Pakistan enormes Unbehagen erzeugen.“

Wenn es zu viel wird

Andererseits sieht sich die pakistanische Armee gedrängt, selbst gegen irreguläre Kämpfer vorzugehen, um eine umfassendere Intervention der US-Streitkräfte auf eigenem Territorium zu verhindern, als sie Drohnen-Krieg und Kommando-Aktionen ohnehin darstellen. Auch dieser Umstand bewirkt, dass der Mega-Konflikt in Südasien kaum zu beherrschen ist, solange die vorhandenen Fronten – nicht zuletzt die zwischen Indien und Pakistan – Bestand haben. Vielleicht ist diese enorme Sprengkraft ein Grund dafür, dass Verteiditungsminister Thomas de Maizière die USA vor einem zu schnellen und zu umfassenden Abzug aus Afghanistan warnt. Man habe „großes Verständnis“, wenn die US-Regierung in diesem Sommer „ein paar Soldaten“ zurückziehen wolle, sagte der Minister Ende vergangener Woche. Doch gebe es „ein bisschen die Sorge, dass – wenn es zu viel wird – sich dann auch die Strategie für den Abzug nicht so umsetzen lässt wie besprochen“.

Genau genommen pflegt die pakistanische Militärführung eher ein ambivalentes Verhältnis zur US-Präsenz in Afghanistan, sorgt doch der Konflikt im Nachbarland dafür, dass die eigene Vormundschaft über Staat und Gesellschaft nicht unter Legitimationsdruck gerät und die Armee mit Rüstungshilfe aus den Vereinigten Staaten weiter rechnen kann.

So wird auch die als Triumph der Obama-Administration bejubelte Erschießung Osama bin Ladens den Afghanistankrieg nur marginal beeinflussen, zumal die Besatzungspolitik der „einzigen Supermacht“ wegen ihrer langfristigen geostrategischen und geoökonomischen Interessen in Zentral- und Südasien – aller Abzugsrhetorik zum Trotz – auf unbegrenzte Dauer angelegt ist.

Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr a. D. und Vorstandsmitglied der kritischen SoldatInnenvereinigung Darmstädter Signal

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