Vor dreizehn Jahren, am 2. Oktober 1997, erschien in der Frankfurter Allgemeinen ein ganzseitiger Artikel. Sein Titel: „Die Allgemeine Wehrpflicht ist nicht mehr zu halten – Anmerkungen zu einer unerwünschten Debatte“. Darin hatte ich unter anderem notiert: „Da angesichts der Probleme mit dem Bundeshaushalt an eine Steigerung des Verteidigungsbudgets überhaupt nicht zu denken ist, kann eine Gesundung der desolaten Struktur des Verteidigungshaushaltes ausschließlich durch Einsparungen bei den Personalausgaben erreicht werden. Um derartige Einsparungen im Personalhaushalt realisieren zu können, muss der Umfang der Bundeswehr drastisch reduziert werden – 200.000 Soldaten wären wohl das Maximum dessen, was sich unter den gegenwärtigen
ärtigen Rahmenbedingungen finanzieren ließe.“Der Beitrag im Renommierblatt der konservativen Intelligenzija sorgte zu jener Zeit für Furore in der wehrpolitischen Debatte. Als Staatsbürger in Uniform unautorisiert sein verbrieftes Recht auf freie Meinungsäußerung in Anspruch genommen zu haben – das ging zu weit. Und zog damals umgehend disziplinarische Ermittlungen nach sich, inklusive einer höchstpersönlichen Inquisition durch den stellvertretenden Generalinspekteur der Bundeswehr, Vizeadmiral Hans Frank. Wer sich für die Umwandlung der Bundeswehr in eine Freiwilligen-Armee ausspreche , ätzte der damalige Verteidigungsminister Volker Rühe, der nicht wisse, wovon er rede. Ein Oberstleutnant, der so etwas fordere, schäumte sein Generalinspekteur Hartmut Bagger, müsse „sich überlegen, ob er nicht in einer anderen Armee dienen“ wolle. Über den damaligen sicherheitspolitischen Sprecher der SPD, Walter Kolbow, erfuhr ich, dass Rühe „die Schnauze voll von solcherlei Äußerungen gegen das System“ und seinen Staatssekretär Peter Wichert angewiesen habe, sich um die Causa Rose zu kümmern. Das tat dieser hingebungsvoll und sorgte für meine Strafversetzung sowie ein abruptes Karriereende.Milde Form der Zwangsarbeit Ein klammheimliches Frohlocken hatte es mir daher bereitet, als Wichert im Zuge der Kunduz-Affäre ohne viel Federlesens aufs Altenteil entsorgt wurde. Größer noch jedoch ist meine Genugtuung darüber, dass mit dem neuen Verteidigungsminister endlich ein Mindestmaß an verteidigungspolitischem Realitätssinn Einzug ins Amt gehalten zu haben scheint. Unter der Not der leeren Kassen steht nun die längst überfällige Schlachtung einer Heiligen Kuh auf der politischen Tagesordnung: der „Allgemeinen Wehrpflicht“.Manches mit dem gegenwärtigen Wehrsystem verwobenes Partikularinteresse wird dabei in Gefahr geraten. So werden jene Abgeordneten von SPD und Union, die ihr Amt einem Direktmandat verdanken, um ihre Wiederwahl zittern müssen, wenn daheim im Wahlkreis aufgrund der Streitkräftereduzierung Garnisonen geschlossen werden. Die Generalität der Bundeswehr wiederum wird künftig mangels unterstellter Truppe nicht mehr wie bisher auf über 200 fett besoldete Admirals- und Generalsdienstposten pochen können. Und der Deutsche Bundeswehrverband läuft Gefahr, seinen Status als Spitzenorganisation zu verlieren, wenn seine Mitgliederzahl unter 100.000 sinken sollte, weil es weniger SoldatInnen gibt. Mit dem schönen Privileg des jederzeitigen unmittelbaren Vortragsrechtes beim Minister, das der Verbandsvorsitzende Ulrich Kirsch genießt, wäre es dann vorbei.Nicht zu rechtfertigenDoch können all diese wohlfeilen Opportunitätserwägungen nicht darüber hinwegtäuschen, dass der essentielle legitimatorische Kern der Wehrpflicht bereits mit dem von der NATO 1990 erklärten Ende des Kalten Krieges entfallen war. Auf den Punkt gebracht hatte dies 1995 auf einer Kommandeurstagung der Bundeswehr in München der damalige Bundespräsident Roman Herzog. „Die Wehrpflicht ist ein so tiefer Einschnitt in die individuelle Freiheit des jungen Bürgers“, so der Ex-Präsident des Bundesverfassungsgerichts, „dass ihn der demokratische Rechtsstaat nur fordern darf, wenn es die äußere Sicherheit des Staates wirklich gebietet. Sie ist also kein ewig gültiges Prinzip, sondern sie ist abhängig von der konkreten Sicherheitslage.“Delikaterweise behauptet nun auch der fanatischste Wehrpflichtverfechter nicht, dass der Bestand der Bundesrepublik Deutschland auf dem Spiel stünde, wenn die Bundeswehr in eine Freiwilligen-Armee umgewandelt würde. Ohnehin gilt eher das Gegenteil: Die Aufrechterhaltung eines anachronistischen und völlig überflüssigen Zwangsdienstes – der Ur-Liberale Ralf Dahrendorf bezeichnete ihn einmal als eine „milde Form von Zwangsarbeit“ – bindet wertvolle Ressourcen, die für andere Zwecke viel dringender benötigt würden. Zum Beispiel für die Schaffung einer EU-Armee im Rahmen einer „Europäischen Verteidigungsunion“.Gerade unter dem Aspekt eines kontinentalen Integrationsprozesses, der, was die friedenspolitische Einhegung überdimensionierter Militärapparate betrifft, auf ein Ende der nationalen Verfügbarkeit über Streitkräfte gerichtet sein muss, ist das deutsche Wehrpflichtsystem völlig kontraproduktiv. Daher muss und wird es enden. Eben weil es sachlich nicht zu rechtfertigen, zu teuer und zu ineffizient ist, den außen- und sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands schadet und nicht mehr dem Geist der Verfassung entspricht.