"Mission accomplished" hieß es auf einem riesigen Transparent, das George W. Bush am 1. Mai 2003 auf dem Flugzeugträger Abraham Lincoln empfing. Der Präsident hatte das Schlachtschiff zum Schauplatz erkoren, um die Kampfhandlungen im Irak für beendet zu erklären. Doch der vor einem Jahr - in der Nacht vom 19. zum 20. März (MEZ) - begonnene Krieg ist bis heute nicht vorbei. Es trat ein, wovor die Gegner dieses Feldzuges immer gewarnt hatten - auf dem American Way of War ist die Welt nicht sicherer, sondern verwundbarer geworden.
Nach nur 20 Tagen Blitzkrieg verhüllte am 9. April 2003 ein US-Marine im Siegestaumel den Kopf der Kolossalstatue Saddam Husseins im Herzen Bagdads mit einem Star Spangled Banner. Unmittelbar danach riss ein Panzer das Standbild zu Boden. Die offenkundig inszenierten Fernsehbilder vom Fall einer Diktatur suggerierten der Welt einen grandiosen militärischen Sieg, den die Invasionstruppen errungen hatten.
Ein Jahr danach besteht kein Zweifel mehr, wie Bush und Blair die Welt systematisch getäuscht und belogen haben - dem Nimbus einer dank technologischer Überlegenheit unbesiegbaren US-Armee schadet das allerdings kaum. Woran auch die fast täglichen Verluste im Kampf mit dem irakischen Widerstand nichts zu ändern vermögen. Zum einen war ein Guerillakrieg schon immer blutig und opferreich für beide Seiten, zum anderen sieht es ganz und gar nicht danach aus, als ließen sich die Amerikaner ihre Eroberung wieder entreißen.
Doch war der vor einem Jahr im Zweistromland errungene Sieg wirklich so triumphal, wie das die "eingebetteten Journalisten" im Verein mit den Propagandaoffizieren des US-Centcoms in Doha der Welt suggerierten? Mittlerweile liegen sowohl interne Auswertungen der US-Armee als auch Analysen unabhängiger wissenschaftlicher Institute vor, die den Overkill-Effekt des High-Tech-Krieges relativieren.
Obwohl eine Binsenwahrheit, bleibt zunächst einmal festzuhalten, dass die Qualität eines Sieges entscheidend vom Kampfwert und strategischen Potenzial des Gegners abhängt. Nun hatten sich George Bush und Tony Blair zwar nach Kräften bemüht, die von einer kriegserprobten irakischen Militärmaschine und den mutmaßlich zu ihrer Ausstattung gehörenden Massenvernichtungswaffen ausgehende Bedrohung unablässig zu dramatisieren, um ihren Angriffskrieg zu legitimieren. Doch zeigte sich sofort nach Beginn des Feldzuges, was Militärexperten schon im Vorfeld zu Protokoll gegeben hatten: Es handelte sich bei den Streitkräften Saddams nach der Niederlage im Golfkrieg 1991 und über zehn Jahren UN-Sanktionen mehr oder minder um eine "Barfuß-Armee" - rüstungstechnologisch war sie bestenfalls auf dem Stand der achtziger Jahre, Gefechtswert und Kampfkraft tendierten gegen Null. Nahezu alle militärischen Vorteile lagen klar auf Seiten der Invasionstruppen: eine unumschränkte Luftherrschaft im gesamten Operationsgebiet; eine überlegene Feuerkraft aus der Luft, von See und zu Lande; eine dank effizienter Planungs- und Entscheidungszyklen enorm gesteigerte Operationsgeschwindigkeit - eine 24-Stunden-Kampffähigkeit bei jedem Wetter und in der Nacht.
Shock and Awe
Dennoch offenbarten sich in der Operationsführung Probleme zuhauf. Sie begannen schon im Vorfeld des Feldzuges, als es zwischen Donald Rumsfeld und den Vereinigten Stabschefs um die Generale Shinseki und Franks zu heftigen Kontroversen über die strategische Planung kam. Rumsfeld wollte aus politischen Gründen die technologische Übermacht demonstriert sehen und setzte auf die Luftwaffe sowie deren Fähigkeit zum Präzisionskrieg - dafür standen zwei Worte "Shock and Awe" (Schock und Schrecken). Die Erwartung, eine dadurch in Panik versetzte irakische Führung zur sofortigen bedingungslosen Kapitulation zu zwingen, erwies sich indes als illusorisch. Die fatale Konsequenz dieser "höheren Kriegskunst" bestand in mehr als 10.000 getöteten Zivilisten und einem unbeschreiblichen Massaker in den Reihen des irakischen Militärs.
Darüber hinaus bewirkte Rumsfelds Ignoranz gegenüber seinen Stabschefs, dass die zur Unterstützung der Kampftruppen benötigten Logistikkräfte viel zu gering bemessen wurden. Ein strategisches Fehlurteil, das sich während des Krieges rächen sollte. So litten die vorstoßenden Einheiten von Army und Marines permanent unter Nachschub- und Treibstoffmangel, weil die Transportkapazitäten auf den überdehnten, von irakischen Kampfverbänden bedrohten Nachschublinien nicht ausreichten. Es fehlte an Fahrern wie an Lastwagen, so dass teilweise zivile kuwaitische Fahrer angeheuert wurden. Artillerieeinheiten waren gezwungen, erbeutete irakische Geschütze zu "kannibalisieren", wie es im Militärjargon heißt, um die eigenen funktionsfähig zu halten.
Dramatisch verschlechterte sich die Versorgungslage während eines mehrere Tage dauernden Sandsturmes. In dieser Zeit brauchten die Nachschubkonvois aus den rückwärtigen Basen drei bis vier Tage, um Fronttruppen zu erreichen, führten aber jeweils nur Versorgungsgüter für zwei Tage mit. In dieser Phase kam der Vormarsch der US-Truppen teilweise zum Stillstand.
Auch die militärische Aufklärung ließ erstaunliche Defizite erkennen. Zwar verfügte die "Koalition der Willigen" über präzise Angaben hinsichtlich des Gefechtswerts der irakischen Armee, völlig unterschätzt wurden jedoch die sogenannten "irregulären Kräfte" (womit nicht Eliteformationen wie die Republikanische Garde gemeint waren). Von deren Aggressivität wurden die US-Truppen zunächst völlig überrascht. Zum wiederholten Male bestätigte sich die Verwundbarkeit regulärer Streitkräfte durch die "asymmetrische Kriegführung" einer feindlichen Guerilla.
Davon ausgelöste Unsicherheiten zeigten sich nicht zuletzt in der Debatte um den Urban Warfare, die Kriegführung in städtischen Gebieten, kurz vor dem Marsch auf Bagdad. Letztlich verlegten sich die US-Streitkräfte auf die Taktik der so genannten "Thunder Runs", das heißt blitzartig vorgetragenen Vorstößen schwer gepanzerter Verbände entlang von Magistralen, um die Verteidigungsbereitschaft des Gegners zu sondieren. War dies erreicht, erfolgte der schnelle Rückzug auf bereits erobertes Terrain. Erst als gesichert feststand, dass die Iraker zu keinem koordinierten Widerstand mehr in der Lage waren, wurde die Hauptstadt am Tigris relativ zügig besetzt.
Für massive Probleme sorgte bei alldem immer wieder ein forciertes Operationstempo der Angreifer. Die Soldaten fanden aufgrund eines 24-stündigen Kampftages kaum Schlaf, physische Überforderung war die Folge. Daraus resultierten wiederum Unfälle mit Toten und Verletzten. Insgesamt war nahezu ein Drittel aller alliierten Verluste (sie wurden vom US-Centcom bis zum 9. April mit 171 Gefallenen angegeben) auf diese Ursache zurückzuführen.
Fenster der Verwundbarkeit
Zwar kamen in diesem Krieg Präzisionswaffen in zuvor nie gekannter Zahl zur Anwendung, doch waren sie einerseits technisch nicht immer zuverlässig und andererseits durchaus anfällig für gegnerische Störmanöver. Dies führte dazu, dass die Türkei und Saudi-Arabien ihren Luftraum für amerikanische Cruise Missiles sperrten, nachdem mehrere Flugkörper vom Kurs abgewichen und auf deren Territorium eingeschlagen waren. Darüber hinaus verursachten fehlgeleitete Raketen und Bomben erhebliche Verluste unter der Zivilbevölkerung, denn so treffgenau Präzisionswaffen auch immer sein mögen, ihre Detonationswirkung verursacht unweigerlich Kollateralschäden im Umfeld des Ziels.
Erinnert sei an den Angriff mit satellitengesteuerten Bomben (JDAM) auf ein Kaffeehaus in Bagdad, in dem sich Saddam Hussein kurzzeitig aufhielt. Obwohl das anvisierte Ziel genau getroffen wurde, lag nach dem Einschlag ein ganzes Wohnquartier in Schutt und Asche, außerdem blieb der Angriff im Prinzip erfolglos, weil der irakische Diktator den Ort kurz zuvor verlassen hatte.
Das wohl gravierendste Defizit der alliierten Verbände im Irak aber bestand - und besteht bis heute - in ihrer mangelnden interkulturellen Kompetenz für diesen Raum der islamischen Welt. Es gibt zu wenig Personal mit arabischen Sprachkenntnissen, es fehlen in der US-Zivilverwaltung wie auch im Militär Experten mit spezifischen Kenntnissen über Kultur und Religion des Landes, wie überhaupt die Okkupationstruppen in keiner Weise darauf vorbereitet waren, mit der Zivilbevölkerung wie auch den Resten der irakischen Armee zu kommunizieren. Für die Übernahme der im Völkerrecht genau kodifizierten Aufgaben einer Besatzungsmacht erwies sich das im Irak stationierte Personal als schlichtweg nicht qualifiziert genug. Eine Missachtung der Würde des Gegners, mit der sich zu einem gewissen Teil die Brachialität des anhaltenden Widerstandes erklären lässt. Als Bagdad am 10. April vollständig eingenommen war, brach die öffentliche Ordnung zunächst komplett zusammen. Es kam zu hemmungslosen Plünderungen, Mord, Raub und Vergewaltigungen in ungeahnten Größenordnungen - unter den Irakern herrschte umgehend totale Unsicherheit. Zudem waren die Besatzungstruppen nicht auf die Kooperation mit zivilen Hilfsorganisationen eingestellt, weil das militärische Kalkül Vorrang hatte.
Ein Jahr danach scheinen der bodenlosen Unvernunft imperialer Gewaltpolitik weniger denn je Schranken gesetzt. Sollte sich die NATO auf ihrem Gipfeltreffen in Istanbul zu einem Irak-Engagement entschließen, werden mit einer solchen Entscheidung auch die Folgen einer Invasion und eines schweren Rechtsbruchs sanktioniert. Ohnehin zeichnet sich mit dem Irak-Feldzug ein Zeitalter der Präventivkriege ab, das zivilisatorische Standards zerstört, die noch vor kurzem als gesichert galten. Der Rückfall ins 19. Jahrhundert, als an ein Regelwerk internationaler Beziehungen kaum zu denken war, hat für seine Verursacher das Fenster der Verwundbarkeit weit aufgestoßen - unbeherrschbar weit, wie gerade die Schreckensbilder aus Madrid gezeigt haben.
Dipl. Päd. Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr. Er vertritt in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen.
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