"Es wäre ein Sieg der Trägheit über die strategische Rationalität, beispielsweise zwei schwere US-Divisionen zur Abwehr eines Angriffs der Roten Armee in Deutschland zu belassen, obwohl diese glücklicherweise seit zwölf Jahren keine Bedrohung mehr darstellt."
Douglas J. Feith,
US-Verteidigungsstaatssekretär
Angesichts der prekären Lage, in der sich die US-Armee im Irak befindet, konnte es kaum überraschen, als George Bush am 16. August vor den Veterans of Foreign Wars in Ohio ankündigte, möglichst bald einen Teil der in Deutschland stationierten amerikanischen Verbände abziehen zu wollen. Schon kurz nach seinem Amtsantritt und damit vor dem 11. September 2001 hatte er Verteidigungsminister Rumsfeld beauftragt, einen "Global Posture Realignment Process" einzuleiten - eine fundamentale Revision von Strategie, Fähigkeiten, Umfang, Ausrüstung und Stationierung der US-Verbände, um diese effizienter für eine globale Machtentfaltung einsetzen zu können. US-Streitkräfte sollten fortan besser in der Lage sein, "an jedem Ort der Welt über eine große Distanz hinweg kurzfristig anzugreifen". Sie sollten die "militärischen Technologien des 21. Jahrhunderts nutzen, um gesteigerte Kampfkraft rascher zu dislozieren" und ihre "Stärke effektiver zu projizieren", beschreibt Bush sein strategisches Kalkül. "Der neue Plan wird uns behilflich sein, die Kriege des 21. Jahrhunderts zu gewinnen."
Globaler Systemadministrator
Dem amerikanischen Wähler empfiehlt sich das Weiße Haus mit seinen Plänen zur tiefgreifenden Umstrukturierung der Streitkräfte nicht zuletzt durch den Verweis auf Steuergelder, die damit eingespart werden könnten - wie überhaupt ökonomische Erwägungen für das neue Stationierungsmodell eine zentrale Rolle beanspruchen. Gleiches gilt für soziale Motive, schließlich werde - so George Bush - der auf den "Truppen und militärischen Familien lastende Druck" verringert. Demnach könnten künftig die Soldaten mit ihren Angehörigen mehr Zeit an der "Heimatfront" verbringen und müssten während ihrer Laufbahn sehr viel weniger von Standort zu Standort ziehen. Derartige Soziallyrik darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass bei den anstehenden Vorhaben dem Wunsch nach mehr Effizienz des Militärapparates absolute Priorität eingeräumt wird.
Was das Stationierungsraster der US-Armee betrifft, folgt daraus, dass die bisher eher weiträumigen Garnisonen, in denen häufig Tausende von Soldaten zusammen mit ihren Familien in einer Art von "Little America" leben, drastisch schrumpfen werden. Über einen Zeitraum von zehn Jahren hinweg sollen von den insgesamt 250.000 außerhalb der USA stationierten Soldaten 60.000 bis 70.000 zusammen mit etwa 100.000 Familienmitgliedern sowie Zivilbediensteten zurückgeholt werden - die größte Verlagerung seit Ende des Kalten Krieges. Künftig werden US-Truppen vorwiegend auf kleinen Basen - so genannten Forward Operating Locations (FOL) - stationiert, die in der Nähe potentieller Einsatzgebiete liegen. Das heißt: im "Krisenbogen der Instabilität", der nach amerikanischer Lesart von der westlichen Hemisphäre durch Afrika und den Mittleren Osten bis nach Asien reicht. Dort finden sich nach Auffassung der Anti-Terror-Strategen die "Brutstätten, die unsere Interessen gefährden", wie es in der National Military Strategy vom Juni 2004 heißt. Gemeint sind Staaten, die sich nicht freiwillig dem von den USA vorgegebenen Schema neoliberaler Globalisierung unterwerfen wollen. Folgerichtig fällt dem US-Militär die Mission zu, quasi als "Systemadministrator der Globalisierung" zu fungieren.
Der militärische Leviathan USA definiert demnach gemäß der neoliberalen Grundformel "Demokratie und freie Märkte" die Spielregeln im internationalen System und setzt zugleich seine Soldaten ein, um den Normativen einer globalen Pax Americana notfalls mit kriegerischen Mitteln Geltung zu verschaffen. Vorboten dieser Strategie sind die kolossalen Außenposten der US-Truppen in Afghanistan und im Irak, aber auch die Positionen kleineren Kalibers in Usbekistan, Georgien oder anderen Ländern des Mittleren Ostens und Ostasiens. Fortan sollen derartige Kontingente nicht länger als sechs Monate auf ihren vorgeschobenen Basen bleiben und per Rotation von den nächsten Formationen abgelöst werden.
Luftkreuz Deutschland
Der angekündigte Abzug schwerer Panzer- und mechanisierter Infanteriedivisionen zugunsten kleinerer und schnellerer - das bedeutet: interventionstauglicherer Brigaden aus Deutschland - folgt exakt dieser Logik. Betroffen sind je zwei Brigaden der 1. US-Panzerdivision in Rheinland-Pfalz und Hessen sowie der 1. Infanteriedivision in Bayern und Baden-Württemberg, zusammen etwa 30.000 von insgesamt 73.000 in der Bundesrepublik stationierten Soldaten. An deren Stelle plant das Pentagon, eine mit modernster Waffentechnik ausgestattete "Stryker-Brigade" mit rund 3.600 Soldaten nach Deutschland zu verlegen - der Stryker stellt ein radangetriebenes, sehr mobiles, leicht gepanzertes Gefechtsfahrzeug dar, das für ein jeweiliges Einsatzszenario sehr flexibel mit unterschiedlichsten Kommunikations-, Aufklärungs-, Führungs- und Waffensystemen ausgerüstet werden kann.
Auch die absehbare Veränderung der militärischen Infrastruktur unterliegt den Bedürfnissen eines flexiblen Interventionismus: So wird der größte US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein in der Pfalz zur europäischen Luftfrachtdrehscheibe ausgebaut, um die Kapazitäten der Frankfurter Rhein Main Air Base zu übernehmen, deren Tage Ende 2005 gezählt sind. Erhalten bleiben das in der Nähe gelegene größte Munitionsdepot außerhalb der USA sowie das Militärhospital in Landstuhl (das derzeit die Verwundeten aus dem Irak-Krieg aufnimmt, bevor sie in die USA ausgeflogen werden). Weiter ausgebaut wird die Airbase Spangdahlem, von wo aus Kampfflugzeuge der US Air Force regelmäßig zu Einsätzen im erwähnten "Krisenbogen" aufsteigen. Bestehen bleibt das "European Command" in Stuttgart, wo sich maßgebliche Planungs- und Führungskapazitäten der US-Streitkräfte befinden. Auch stehen die hochmodernen Ausbildungseinrichtungen der Amerikaner in Baumholder und Grafenwöhr nicht zur Disposition.
Betrachtet man das derzeit in Planung befindliche Gesamt-Dispositiv der US-Streitkräfte in Deutschland, so ist für das Gastland offenbar eine Doppelfunktion vorgesehen: Einerseits dient es im Interventionsfall als Sprungbrett für US-Verbände, andererseits stellen die US-Luftbasen in Deutschland die zentrale logistische Infrastruktur für die Versorgung der im Einsatz befindlichen und näher an Konfliktregionen stationierten US-Kontingente bereit. Ohne diese Drehscheibe könnte das Pentagon die enorm aufwändige Logistik für diese Truppen nicht garantieren.
Freilich ist gemäß NATO-Truppenstatut für alle derartigen Aktivitäten ausländischer Streitkräfte auf deutschem Territorium die ausdrückliche Genehmigung der Bundesregierung unabdingbar. Die sowohl völkerrechtlich als auch verfassungsrechtlich höchst dubiose Politik der indirekten Beteiligung an Angriffskriegen, wie im Falle Afghanistan und Irak, würde dadurch auf unabsehbare Zeit fortgeschrieben. Es steht kaum zu erwarten, dass die rotgrüne Bundesregierung darob schlaflose Nächte verbringt.
Dipl. Päd. Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr. Er vertritt in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen.
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