Unter dem etwas hölzern klingenden Titel "Bundeswehr in einem geänderten sicherheitspolitischen Umfeld" hat die CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages letzte Woche ein Programm zur zukünftigen Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland vorgelegt. Gefordert wird dort nichts weniger als ein "Paradigmenwechsel" - also eine regelrechte Revolution sicherheitspolitischen Denkens und Handelns. Solch umstürzlerischer Habitus mutet für Konservative durchaus ungewöhnlich an, besteht ihr Geschäft doch gemeinhin im Bewahren von Tradiertem und Althergebrachtem. Für eine "konservative" Sicherheitspolitik implizierte dies demzufolge eigentlich: festzuhalten an der bewährten Kultur der Zurückhaltung im Umgang mit dem militärischen Instrumentarium, Konflikte vornehmlich mit diplomatischen Mitteln zu bewältigen, verfassungs- und völkerrechtliche Grundprinzipien penibel zu beachten und die bewährte Strategie von Defensivität gepaart mit Abschreckung beizubehalten.
Was aber heißt "Paradigmenwechsel" nun konkret? Zunächst sagen die CDU/CSU-Parlamentarier, die Gefahr eines umfassenden Angriffs auf unser Land sei unwahrscheinlicher geworden. Zukünftige Gefahren lägen in den neuen Formen asymmetrischer Bedrohungen. Gemeint sind damit globale Risiken, die aus der Verbindung von internationalem Terrorismus und Massenvernichtungswaffen sowie dem Zerfall staatlicher Autorität in vielen Krisenregionen resultieren. Es werde immer wahrscheinlicher, dass atomare, biologische und chemische Massenvernichtungswaffen eingesetzt würden.
Bereits an dieser Stelle wird offenbar, wie wenig originell der von der CDU/CSU-Fraktion vorgelegte Entwurf ist, wurden doch in weiten Teilen lediglich US-amerikanische Überlegungen und Argumentationsmuster übernommen, wie sie in der am 17. September 2002 von George W. Bush vorgelegten "Nationalen Sicherheitsstrategie der Vereinigten Staaten von Amerika" enthalten sind. Hier wie dort wird mit dem Verweis auf die angeblichen Gefahren eines Einsatzes von Massenvernichtungswaffen durch Terroristen oder schurkenhafte Staatenlenker unverantwortliche Panikmache betrieben, ganz getreu der schon im Kalten Krieg bewährten Devise: "Male das schlimmstmögliche Bedrohungsszenario an die Wand, um dir den größtmöglichen Rüstungsetat zu sichern". Folgerichtig lassen die "Sicherheitsexperten" der Union am Ende ihres Pamphlets denn auch die Katze aus dem Sack, indem sie wortreich die angeblich "massive Unterfinanzierung" der Bundeswehr beklagen. Kaum überraschen kann in diesem Kontext auch das alarmistische Lamento über den Zustand der deutschen wehrtechnischen Industrie. "Die rot-grüne Bundesregierung erdrosselt diese für Sicherheit und Verteidigung so wichtige Industrie in doppelter Hinsicht: es werden keine Aufträge erteilt und Export wird aus ideologischen Gründen verwehrt." Eine grobe Irreführung, denn gerade unter Rot-Grün ist der zu konservativen Regierungszeiten eingeleitete Sinkflug des rüstungsinvestiven Anteils im Einzelplan 14 (Verteidigung) gestoppt und umgekehrt worden. Darüber hinaus drängt sich mit Macht die Frage auf, ob die CDU/CSU-Fraktion aus dem Fall Irak, wo ein verbrecherischer Diktator gerade auch mit deutscher Rüstungstechnik hochgerüstet worden war, nun in der Tat nicht das Geringste gelernt hat und weiterhin der Wahnidee anhängt, am deutschen Rüstungswesen solle die Welt genesen. Dass Wörter wie "Rüstungskontrolle" oder "Abrüstung" keinerlei Erwähnung in dem Unionsentwurf finden, bestätigt geradezu, wie lernunfähig seine Verfasser sind.
Nicht nur die US-amerikanische Bedrohungsanalyse machen sich die Unionspolitiker zu eigen, sondern auch die strategisch-operative Konzeption. Dies spiegelt sich vor allem darin wider, dass sie die Option präemptiver militärischer Gewaltanwendung übernehmen. Wörtlich heißt es dazu im sicherheitspolitischen Papier der CDU/CSU: "Prinzipiell wird angesichts denkbarer Szenarien und einer praktisch nicht gegebenen Vorwarnphase eine allein reaktive Handlungsweise nicht ausreichen; Gefahren müssen frühzeitig abgewehrt werden. ... Bedrohungen entstehen oft fernab und bedürfen der Eindämmung und Bekämpfung, bevor sie die Landes- oder Bündnisgrenzen erreichen." In diesen Zeilen offenbart sich die intellektuelle Armseligkeit und mangelhafte Kreativität ihrer Verfasser, denen anstelle eines Alternativprogramms für eine im Kern zivile Außen- und Sicherheitspolitik aus dezidiert europäischer Perspektive nichts Besseres in den Sinn gekommen ist, als den Hirngespinsten globaler militärischer Machtprojektion im Windschatten der atlantischen Hegemonialmacht nachzujagen. Berücksichtigt man zudem, dass die US-Doktrinen explizit auch den präemptiven Ersteinsatz von Nuklearwaffen einschließen, so nimmt der Programmentwurf der Christlich(!)-Konservativen geradezu monströse Gestalt an.
Ganz der bisher aufgezeigten Argumentationslogik entspricht auch die von CDU/CSU propagierte Militarisierung der Europäischen Union. Wichtigste Aufgabe sei eine eigenständige Krisenbewältigung. "Kernstück ist die gegenseitige Beistandsverpflichtung und die Entwicklung militärischer Fähigkeiten auf der Basis einer einheitlichen europäischen Rüstungspolitik und Rüstungsbasis." Eine derartig einseitige und simplizistische Sichtweise ignoriert völlig das auf dem Europäischen Gipfel in Laeken im Dezember 2001 definierte Selbstverständnis europäischer Außenpolitik. Dort hatten sich die Staats- und Regierungschefs darauf geeinigt, dass sich Europa seiner Verantwortung hinsichtlich der Gestaltung der Globalisierung stellen müsse. "Die Rolle, die es spielen muss, ist die einer Macht, die jeder Form von Gewalt, Terror und Fanatismus entschlossen den Kampf ansagt, die aber auch ihre Augen nicht vor dem schreienden Unrecht in der Welt verschließt. Kurz gesagt, einer Macht, die die Verhältnisse in der Welt so ändern will, dass sie nicht nur für die reichen, sondern auch für die ärmsten Länder von Vorteil sind. Einer Macht, die der Globalisierung einen ethischen Rahmen geben, d. h. sie in Solidarität und in nachhaltige Entwicklung einbetten will." Dies ist wahrlich ein Programm für eine globale Friedens- und Sicherheitspolitik, die ihren Namen auch verdient!
Die von der Union vorgeschlagene zukünftige Bundeswehrkonzeption läuft auf eine Art Abziehbild der US-Streitkräfte hinaus, aufgrund mangelnder Ressourcen allerdings lediglich auf eine Interventionsarmee im Westentaschenformat. Ansonsten wird nur alter Wein in neue Schläuche gefüllt: An der Wehrpflicht darf selbstredend nicht gerüttelt werden, generell müssen strukturverändernde Maßnahmen unterbleiben, die parlamentarische Kontrolle von Bundeswehreinsätzen muss beschnitten werden, die Streitkräfte brauchen modernere Ausrüstung und Waffen, mehr Geld und so fort - ein bunter Bauchladen voller inkompatibler Forderungen, bei denen vor allem eines unklar bleibt: nämlich wie das alles zu finanzieren wäre. Was darüber hinaus ins Auge sticht, ist die lautstarke Forderung nach dem - verfassungsrechtlich bisher mit engen Restriktionen versehenen - Einsatz der Bundeswehr im Inneren.
Dies bietet den Anlass, schlussendlich zu monieren, was an dem seitens der Union vorgelegten Programmentwurf am meisten irritiert, nämlich das wahrhaft erschreckende Ausmaß an Verluderung des Rechtsbewusstseins, das darin zutage tritt. Dort wo Völker- und Verfassungsrecht aus guten Gründen Schranken setzen, räumen die Unionspolitiker diese mit lapidaren Formulierungen aus dem Weg: völkerrechtliche Grundlagen müssten "überprüft", das Grundgesetz nötigenfalls "angepasst" werden. Die Devise scheint zu lauten: Das Recht ist biegsam, also lasst es uns beugen. Das ist für bundesrepublikanische Verhältnisse in der Tat ein formidabler Paradigmenwechsel - aber einer mit Volldampf zurück in die Vergangenheit. Die Bürgerinnen und Bürger der "Berliner Republik" können zur Zeit beobachten, wie sämtliche Dämme brechen und ein moderner Wilhelminismus wirkungsmächtig zu werden beginnt.
Dipl. Päd. Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr. Er vertritt in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen.
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