Irak Das Ausstiegsszenario der USA hat nach einer von Gewalt überschatteten Parlamentswahl den letzten Härtetest noch nicht bestanden. Vorerst fehlt eine neue Regierung
Als der mit geradezu messianischen Erwartungen ins Amt gewählte Barack Obama kurz nach seiner Inauguration den Rückzug der US-Truppen aus dem Irak ankündigte, schien das Ende eines dunklen Kapitels in der Geschichte von den USA geführter Interventionskriege absehbar. Am 27. Februar 2009 trat der Präsident vor die in Camp Lejeune (North Carolina) angetretenen Marines, die dazu auserkoren waren, in Kürze ihren Dienst im Irak zu versehen, und verkündete: „Heute kann ich bekanntgeben, dass unsere Überprüfung komplett ist und die Vereinigten Staaten eine neue Strategie verfolgen, um den Krieg im Irak durch Übergabe der vollständigen Verantwortung an die Iraker zu beenden.“
Im Klartext hieß das Irakisierung des Krieges. Zugle
ges. Zugleich stellte Obama klar, die US-Streitkräfte würden im Spätsommer 2010 ihre Operationen im Zweistromland einstellen: „Lassen Sie es mich so offen wie möglich aussprechen: Mit dem 31. August 2010 wird unser Kampfauftrag im Irak enden.“ Nach diesem Zeitpunkt sollte lediglich noch eine Transition Force, eine übergangsweise stationierte Truppe von etwa 50.000 Soldaten, im Land bleiben. Deren Auftrag lautet: Ausbildung, Ausrüstung und Beratung der irakischen Streitkräfte, Jagd auf Terroristen sowie Flankenschutz für zivilen und militärischen Wiederaufbau.Zudem verfügte das zwischen der irakischen und der US-Regierung vereinbarte Truppenstationierungsabkommen – das Status of Forces Agreement –, dass sich die Amerikaner bis Ende Juni 2009 aus den Städten in ihre Basen und Feldlager zurückziehen. Was mittlerweile passiert ist. Mit dem 31. Dezember 2011 sollen dann sämtliche noch verbliebene US-Militärs das Land zwischen Euphrat und Tigris verlassen haben. Skeptiker melden Zweifel an, hat doch Verteidigungsminister Robert Gates in der New York Times orakelt, er würde auch nach 2011 „vielleicht mehrere Zehntausend amerikanischer Truppen“ als Teil einer im Irak verbleibenden Streitmacht sehen.Das Kommando Petraeus Mit seinem Exit-Szenario will Barack Obama ein während des Wahlkampfes abgegebenes Versprechen einlösen – wenn auch mit Verzug. Es sind geschlagene sieben Jahre verstrichen, seit Amtsvorgänger Bush den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen den Irak angezettelt hat. Die Realität dieses Feldzuges brachte kaum jemand eindrücklicher auf den Punkt als der schwerkranke britische Dramatiker Harold Pinter in seiner Rede zur Verleihung des Literaturnobelpreises Ende 2005: „Die Invasion des Irak war ein Banditenakt, ein Akt von unverhohlenem Staatsterrorismus, der die absolute Verachtung des Prinzips von internationalem Recht demonstrierte. Die Invasion war ein willkürlicher Militäreinsatz, ausgelöst durch einen ganzen Berg von Lügen und die üble Manipulation der Medien … Eine beeindruckende Demonstration einer Militärmacht, die für den Tod und die Verstümmelung tausender Unschuldiger verantwortlich ist. Wir haben dem irakischen Volk Folter, Splitterbomben, abgereichertes Uran, zahllose willkürliche Mordtaten, Elend, Erniedrigung und Tod gebracht und nennen es‚ dem Mittleren Osten Freiheit und Demokratie bringen.“Als 2007 die Gewalt im Irak eskalierte, sahen sich Weißes Haus und Pentagon zum Handeln genötigt. Unter dem Befehl von General David Petraeus wurde das US-Korps auf 160.000 Männer und Frauen hochgefahren und ein Strategiewechsel eingeläutet. Mit dem fortan geltenden Counter-Insurgency-Konzept fanden sich in vielen Städten US-Einheiten in Kompaniestärke gemeinsam mit irakischen Kräften disloziert. Ziel dieser Taktik war es, engeren Kontakt mit der Bevölkerung zu suchen und sie effektiver vor Angriffen der Aufständischen wie Kollateralschäden bei eigenen Operationen zu schützen. Zudem gelang es dem US-Militär, Zweckallianzen mit sunnitischen Stämmen zu schließen. Die waren zwar anfangs mit der Internationale der Al-Qaida-Kombattanten liiert, lehnten aber deren rücksichtsloses Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung zusehends ab, zumal Al-Qaida-Anschläge stets Vergeltungsschläge zur Folge hatten. So fiel die US-Offerte großzügiger finanzieller Leistungen, gepaart mit der Bewaffnung paramilitärischer Milizen, die Sicherungs- und Polizeiaufgaben übernehmen sollten, bei den Clan-Führern auf fruchtbaren Boden. Einfluss auf den Stimmungswandel unter den Sunniten hatte auch der Umstand, dass sie zeitgleich die blutige Konfrontation mit den Schiiten zu verlieren drohten. Ganze Viertel in Bagdad wurden von deren Milizen ethnisch gesäubert, so dass schiitische Paramilitärs bald drei Viertel der Kapitale am Tigris kontrollierten.Ende 2008 hatte sich das Gewaltpotenzial um 80 Prozent verringert. Ein Jahr später meldete das irakische Innenministerium, die Zahl getöteter Zivilisten sei auf dem niedrigsten Stand seit der Intervention vom März 2003. Parallel sanken auch die Verluste der Besatzungstruppen. Erstmals seit Kriegsbeginn war im Dezember 2009 kein US-Soldat mehr im Kampf getötet worden.Libanesische VerhältnisseIm Vorfeld der jetzigen Parlamentswahl änderte sich das schlagartig, als es erneut eine Serie von Anschlägen gab. Gerüchte kursierten, in einige Attentate seien Angehörige aus Polizei und Armee verwickelt. Mehr als nur ein Indiz für den nach wie vor prekären Zustand, in dem sich ein Teil der irakischen Sicherheitskräfte befindet.Langwierige Verhandlungen über eine neue Regierung, mit denen nach der Parlamentswahl vom 7. März zu rechnen ist, wären unter diesen Umständen kaum wünschenswert. Vor dem Votum haben alle Allianzen und Parteien immer wieder ihre „nationale Glaubwürdigkeit“ herausgestrichen und jeden Eindruck von Sektierertum vermieden. Ethnische und religiöse Grenzen wurden nicht zu Demarkationslinien in einem nur kurzzeitig gestundeten Bürgerkrieg. Doch zwischen den religiösen Gemeinschaften taten sich dennoch neue Gräben auf – man denke an den zeitweilig erwogenen Wahlausschluss von sunnitischen Mitgliedern der einstigen Baath-Partei. Es bleibt viel Raum für Klientel-Politik und Blockaden, es bleibt die Spaltung der schiitischen Mehrheit in die sich überkonfessionell gebende Allianz Rechtsstaat von Premier al-Maliki, der bei der Stimmabgabe vom Amtsbonus zehren konnte, und der Irakischen Nationalen Allianz (INA) unter Amar al-Hakim (s. Glossar) mit ihren Verbindungen zu den Milizen des Predigers Muqtada al-Sadr. Kein Block, auch nicht die Anhänger von Ex-Premier Iyad Allawi (darunter viele Sunniten) oder die Kurden-Parteien können für sich Vorrechte bei Koalitionsgesprächen beanspruchen.Ohnehin wäre eine Regierung der Nationalen Einheit im Augenblick mehr als empfehlenswert, um ein Wiederaufflammen der Gewalt, wie sie den Wahltag überschattete, zu verhindern. Wenn eine neue Exekutive in Bagdad möglicherweise über Monate ausgehandelt wird, drohen nicht nur „libanesische Verhältnisse“ – davon blieben auch die Exit-Pläne der US-Regierung nicht unbelastet, ob Barack Obama nun am Zeitplan des Abzugs festhält oder nicht. Solange allein der Status für die Kurden-Region um Kirkuk mit ihrem Ölreichtum nicht endgültig und einvernehmlich geklärt ist, ohne dass der Irak auseinander driftet, erscheint das mehr als fragwürdig.Davon abgesehen sind Zweifel angebracht, ob im Oval Office die richtigen Lehren aus dem Desaster im Zweistromland gezogen wurden. Zwar hatte Obama in seiner Camp-Lejeune-Rede vor einem Jahr eingeräumt, viele Lektionen begriffen zu haben. Eine davon lautete, man habe gelernt, „dass Amerika mit klar definierten Zielen in den Krieg ziehen muss ...”. Doch zeigt genau diese Aussage, dass ein zwischen seinen Rollen als Oberkommandierender und Friedensnobelpreisträger lavierender Präsident die wichtigste Lektion offenbar noch nicht gelernt hat: Auch der „einzigen Supermacht“ steht es mitnichten zu, nach eigenem Gutdünken in den Krieg zu ziehen. Ganz im Gegenteil auch die USA sind an die dank UN-Charta normierte Pflicht gebunden, Konflikte mit friedlichen Mitteln zu lösen. Den Testfall hierfür bildet derzeit Iran.
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