In den 90er Jahren war die Gastwirtschaft Horizont im Frankfurter Nordend die abendliche Stammlokalität der Titanic-Redaktion und assoziierter Kräfte, und nach einigen anständigen Portionen Bier jonglierten meine Freunde Achim Greser und Heribert Lenz bisweilen mit aberwitzig lustigen Ideen für Witzzeichnungen, den besten Einfällen, die ich bis dato gehört habe, und sie hätten schon damals, umgesetzt, vermutlich nie und nimmer gedruckt werden können – und zwar in Zeiten, in denen es ziemlich lässig und frei zu- und einem selten jemand mit Formen der Political Correctness auf den Wecker ging, die hysterisch zu nennen freundlich wäre und die dieser Tage praktisch die gesamte Öffentlichkeit in Beschlag nehmen.
Bekanntlich hatte ebendiese Öffentlichkeit Mitte Mai alle Hände voll mit einer Karikatur von Dieter Hanitzsch zu tun, die in der Süddeutschen Zeitung erschienen war und anlässlich des ESC-Gewinns der Sängerin Netta Barzilai den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu im Outfit der Chanteuse und in einer tänzerischen Pose zeigte, mit der er sie vor Fernsehkameras imitiert hatte. Mit dem linken Arm hielt er eine Bombe in die Luft, auf der der Davidstern, Hoheitszeichen des Staates Israel, zu sehen war, im Bildhintergrund war das „v“ im Schriftzug „Eurovision Song Contest“ durch einen zweiten Davidstern ersetzt, und ins Handmikro sang Netanjahu – den Satz, eine traditionelle Wunschformel im Rahmen des Pessach-Festes, ebenfalls von der Gewinnerin übernehmend –: „Nächstes Jahr in Jerusalem!“
Zwei Tage zuvor hatte die SZ geschrieben, Netanjahu wolle den ESC-Quatsch anno 2019 „für seine Zwecke politisch missbrauchen“, in inneren wie äußeren Angelegenheiten. Dergleichen pflegen bei ähnlichen starkkulturellen oder sportlichen Hurra-Ereignissen auch andere höhere Damen und Herren zu tun, und nichts anderes illustrierte nun, im Auftrag der Redaktion und nach Vorlage eines Entwurfs, Dieter Hanitzsch; könnte man meinen. Allein: falschgelegen. Denn in der sagenhaften Welt der veröffentlichten Instantmeinungen liefen nicht nur die Plapperkanäle des Netzes über, sondern auch die Berufenen gingen ratzfatz in die Vollen. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, steckte dem Kampfblatt wider Propaganda, Denunziation und Rassismus, der Bild-Zeitung, es sei „eine rote Linie überschritten worden“ (ward die noch von Drohnenkönig Obama oder jüngst vom Heimatritterkreuzträger Seehofer gezogen?), und er schickte ein sattelfestes ästhetisches Urteil hinterher, wie man es vergleichbar in der Causa Böhmermann bereits aus dem Munde unserer Endloskanzlerinnenaktrice hatte vernehmen dürfen: „Mit einer derartigen geschmacklosen Zeichnung entwertet man jede berechtigte Kritik an den Handlungen der israelischen Regierung.“
Fett und mit Hut
Was da allerdings wahrgenommen wird, ist eine Frage der – Wahrnehmung. Und darüber mag eher zu Gericht sitzen, wer in Ruhe hinzuschauen und zu vergleichen in der Lage ist. Auf mich wirkt Netanjahus Kopf harmlos, beinahe gemütvoll, fast exakt wie jener des ehemaligen Bundesministers Werner Dollinger (CSU), sachte überzeichnet durchs Anpappen moderater Genschman-Ohren. Lege ich Titelblätter vom Stürmer daneben, erkenne ich allerhöchstens Spuren von Ähnlichkeit. Aber vielleicht täusche ich mich. Der Politikwissenschaftler Samuel Salzborn stufte Hanitzschs Bild jedenfalls als „israelfeindlich und antisemitisch“ ein, es stelle Netanjahu als „extrem aggressiv und zugleich effeminiert und damit als abwertend verweiblicht dar“.
Ich erlaube mir, zur Politik der gegenwärtigen israelischen Regierung keine Meinung zu haben. Es empfiehlt sich mitunter, es so zu halten, wie es Gerhard Polt 2015 gegenüber dem Spiegel formulierte: „Was soll ich aufklären? Ich weiß nicht, warum sie in Donezk umeinanderschießen. Ich kann nur ein Bier trinken und das eigene Nichtwissen in die Waagschale werfen.“
Der Hinweis sei erlaubt, dass ich im Zuge meiner jahrelangen Arbeit an auf Tausenden von O-Tönen basierenden Hörbüchern über „Größen“ der bundesrepublikanischen Politik (von Franz Josef Strauß bis Herbert Wehner) auf x-fache Schmähungen gestoßen bin, die mit Goebbels-Vergleichen operierten. Damals, bis in die technisch gezähmten 80er Jahre, verhallten diese Sottisen in der Regel flugs.
Nicht anders verhielt es sich mit den bevorzugt von medial optimal etablierten „Linken“ allzu gern aus der Schablonenschublade gefischten Stürmer-Analogien. Nachdem Eckhard Henscheid im Rahmen seiner in der Titanic gepflegten Serie „Erledigte Fälle“ den Befindlichkeitsorgler Hanns Dieter Hüsch traktiert hatte, wurde er vom Berliner Stadtmagazin Tip gewisser „Nazi-Methoden“ geziehen, und Elke Heidenreich (Henscheid: „Deutschlands beliebteste Satirikerin“) wies Hans Traxler, der die Porträts zu den fürchterlichen Texten gemalt hatte, „Stürmer-Stil“ nach. Ja, Hans Traxler – ein astreiner Antisemit.
Neu ist das also nicht, und da hilft es, ein Buch wieder zur Hand zu nehmen, Robert Gernhardts Konvolut Was gibt’s denn da zu lachen? (Zürich 1988). Darin setzt er sich mit den Klischees der „linken Karikatur“ auseinander: „In einem Punkt sind sie sich dann alle wieder einig, darin, wie ein Unternehmer von heute aussieht: Er ist fett, er trägt entweder einen Hut, oder er raucht eine Zigarre, meist tut er beides.“ Und diese intrinsische Uniformität der politischen Karikatur geht Gernhardt, der zudem immer wieder die kaum fassbare Verschnarchtheit der damaligen, zum Glück verschiedenen Humorseite der SZ verspottete, auf den Geist. Unter solchen historisch geerdeten, komikreflexiven Voraussetzungen kann man Hanitzschs Zeichnung wohlbegründet als öde, schlapp, platt, einfallslos, altbacken titulieren. Und das, meinethalben, „in voller Dummheit“ (Gernhardt). Dummheit darf sein. Und wem das „verharmlosend“ dünkt, dem seien die Einlassungen von Wolfgang Benz nahegelegt, dem ehemaligen Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung in Berlin: „Ich erkenne keinen Antisemitismus in dieser Karikatur.“ Sie sei lediglich „unfreundlich gegenüber dem Ministerpräsidenten des Landes Israel. Ist das identisch mit Antisemitismus? Ist das identisch mit ‚judenfeindlich‘?“
Zurück in die 50er Jahre
In Gernhardts Buchschatztruhe findet sich auch eine Miszelle unter dem Titel „Stürmer-Stil“ – zu einem Kannibalenwitz, der in der Hörzu erschienen war. Peter Schütt hatte ihr „schlimmsten Stürmer-Stil“ bescheinigt. Gernhardt winkte ab: „Ach, aber ach, stimmt doch überhaupt nicht. Der schwarze Kannibale ist doch lediglich ein schlichter Witztopos, vergleichbar dem geizigen Schotten, der Frau mit dem Nudelholz oder dem Fakir auf dem Nagelbrett. Zu glauben, daß die Zeichner solcher Witze mit solchen Witzen diffamierende Absichten verbänden, heißt, diese Zeichner erheblich überschätzen: Die stricken diese uralten Witzmuster weiter, da das sehr viel einfacher ist, als sich etwas Neues einfallen zu lassen. Ja, in lichten Momenten sind sie sogar fähig, die Ausgelaugtheit des Witzklischees zum Thema des Witzes zu machen.“
Womit wir – Stichwort „Stürmer-Keule“ – bei Bernd Pfarr landen könnten, dessen wunderbare Figur Sondermann melancholisch dem „Negerschrubben“ frönte – und das heute nicht mehr dürfte. „Blackfacing“-Tinnefaktivisten würden die Wohnung Pfarrs vermutlich stürmen, seinen Zeichentisch zertrümmern und das Tintenfass mit der schwarzen Farbe mitnehmen. (Und wie steht’s, by the way, mit Sebastian Krüger, der Mick Jaggers Rettungsbootlippen bis zum Platzen aufbläst?)
Satire, Komik, gelungene, auch „das Stiefkind unserer Kultur, die komische Zeichnung“ (Gernhardt), ist dann lustig, wenn sie Lust erregt. Die Lust speist sich aus der Verzerrung, Übertreibung, Maßlosigkeit, Bodenlosigkeit, Blasphemie, Renitenz. Sie ist realitätstranszendierend triebhaft und daher antiautoritär, ab und an, wie es Gernhardt anhand von Wilhelm Busch erläuterte, herzlos und kaltblütig und boshaft. Sie ist asozial, weil normverletzend, abstoßend, weil in den Augen der Status-quo-Bewahrer schmutzig, subversiv. Der SZ-Feuilletonchef Andrian Kreye soll gefordert haben, bei „Karikaturen künftig ganz auf das Stilmittel der Überzeichnung zu verzichten, um solche rassistischen Stereotype zu vermeiden“, liest man nach den Hanitzsch-Turbulenzen. Nähme man Kreye beim Wort, wäre die komische Kunst in jeglicher Spielart aus der Welt, für immer.
Vor einigen Jahren hat Eckhard Henscheid zu mir gesagt, es werde alles zurückgedreht, auf den Stand des Spießertums der 50er Jahre. Er hatte recht. Es wütet, ausgehend von einer über ihrem „Diversity“-Mantra verrückt gewordenen, ungebildeten, moralpolitisch verhärteten, feindfixierten postmodernen Linken, ein regressiv-antiaufklärerischer, antiliberaler Opferkult, der die wechselseitige Infantilisierung aller forciert. Dem Kulturprotestantismus unter dem falschen Kleid der Toleranz eignet ein inquisitorischer Wahn, der nichts anderes artikuliert als die narzisstisch präsentierte Unlust an der Welt, als die Weigerung, sich mit der Verworrenheit und Widersprüchlichkeit des Lebens zu beschäftigen, oder überhaupt mit etwas, das in die Nähe von Erfahrung gelangte.
Ich zitiere abschließend den Antisemiten Robert Gernhardt: „Alle Komik entspringt einem gemeinsamen Bedürfnis, dem nach Veränderung, Verunstaltung, Negierung, Aufhebung der Realität, alle Komik hat ein einziges Ziel, das der vollständigen Überwältigung des Gegenübers –: All das kann man grundsätzlich bejahen oder ablehnen im Sinne von: Das soll/darf sein oder das soll/darf nicht sein. Lehnt man Ausgang und Ziel grundsätzlich ab, ist es sinnlos, gewisse Formen höherer beziehungsweise feinerer Komik huldvoll dennoch zuzulassen – das sind dann Diabetikerpralinen oder Vegetarierschnitzel.“
Oder ich zitiere den Antisemiten Mel Brooks: „Ich kann alles über jeden sagen. Ich kann jeden Schwarzen, jeden Juden, einfach jeden auslachen.“ Oder Billy Wilder: „Wenn ein Witz wirklich gut ist, ist es mir egal, wen ich damit beleidige.“
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.