Lauwarm, die heissen Kurven

Sportplatz Über die Formel zu berichten ist kein leichtes Geschäft. Außer den Augenschein, die fahrenden Wagen, gibt es nämlich nichts zu beurteilen. Also kann ...

Über die Formel zu berichten ist kein leichtes Geschäft. Außer den Augenschein, die fahrenden Wagen, gibt es nämlich nichts zu beurteilen. Also kann der Journalist nur mutmaßen, unken, in den Eingeweiden seiner eigenen Bilder lesen. Fehlen ihm die bewegten Bilder, wird es noch happiger.

Da steht er, Kai Ebel, und hält IHM, dem Unbezwingbaren, das bunte Mikro vors verkniffene Gesicht - live - und Situationsjournalismus in jener Perfektion, die erst erreicht ist, wenn alles ist wie immer, wenn der "Boxenreporter" dem bedauernswerten Schumacher durch die ewig gleichen Fragen die ewig gleichen O-Töne rausleiert über "die Situation" (Schumacher) im Allgemeinen und vor allem im Besonderen, was der Meister dann bündig so auf den Begriff bringt: "Ich fahre, weil es Spaß macht."

Ich gucke, obwohl das meiste keinen Spaß macht. Mit diesem Masochismus muss RTL rechnen, andernfalls hätte man das Sendekonzept längst überdacht, würde man weniger Drumrumaufwand betreiben, weniger Geschwätz von der Leine lassen und Kai Ebel längst aufs Töpfchen gesetzt haben, wo er seinen zwanghaft humorigen Stuss ruhig weiter von sich geben könnte: "Wir sehen Michael Schumacher im Ferrari, noch ist es ein Arbeitstag, vielleicht wird es ein Feiertag, und jetzt kommt ein Vortrag."

Der Vortrag kommt von den Kommentatoren Heiko Wasser und Christian Danner, zwei fröhlich-beschwipsten Gesellen. Wasser verpennt in schöner Regelmäßigkeit die wenigen entscheidenden Szenen, die Überholmanöver, Fahrfehler und Ausrutscher. Solche Scharten wetzt der ehemalige Aktive Danner aus, indem er auch nichts rafft, statt dessen den Fachmann mimt und uns über den Soziolekt der Branche aufklärt, über Oversteering, Downforce und darüber: "Also, das nennt man ein Misunderstanding."

Sie selbst verstehen es in traulicher Zweisamkeit, eingeblendete Rundenzeiten aufzusagen und Statistiken zu rezitieren. Immerhin hat das ja mit dem Sport zu tun. Wenn jedoch gar nichts passiert, vor dem Start und nach der Zielflagge, schreit abermals Ebel gegen das Nichts an, ruft Teamchefs und Piloten zu sich heran und brüllt denen, die nichts preisgeben können und dürfen, die Ohren voll.

So sehr die Hauptakteure auch immer wieder beteuern, "das Qualifying war das spannendste seit langem" (Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug), es ist ja einfach nicht wahr. Gleichwohl verlangen Zeittraining und Rennen nach spektakulärer Deutung, nach aufgemotzten Exegesen. Futter fürs Fernsehen muss her, koste es, was es wolle, und seien es Sinn und Verstand.

"Da gibt´s eigentlich nicht viel zu erzählen, was sie auch gesehen haben", benannte Michael Schumacher mal das Dilemma der Formel-1-Berichterstattung und bot sogleich ein glanzvolles Beispiel der Belanglosigkeit. Frage: "Wenn man sich die Onboardkamera anschaut: Immer wenn Sie in die Haarnadelkurve kommen, da verändern, da verstellen Sie ständig was im Auto. Was machen Sie da?" Antwort: "Ja, ich mach´ mir ´nen Kaffee warm."

Fesselnd ist der eine oder andere Grand Prix, lauwarm, ja lächerlich sind die Informationen, die ventiliert werden. Deshalb brettert die Aufbereitung um so pfeffriger daher. Es gibt die Formel 1 nur, damit RTL ein Heer von Kameraleuten und Journalisten beschäftigen kann, das eine stundenlange Surroundberieselung sicherstellt.

Da hagelt es im Vorfeld durch zerfetzte Krachakustik unterfütterte Trailer und tiefschürfende Betrachtungen zu Schumacher, dem "Privatmann", und seinen Gegnern, und die eineinhalb Stunden dauernde Nachbetrachtung, die so genannten "Highlights", würzen Spielfilmchen von enormer Qualität - polierter Edelkitsch, fickrige visuelle Konstruktionen gegen den Augenschein, die prätendieren, man wisse, wo der Schlüssel zum Erfolg liegt.

RTL folgt sklavisch einer einzigen, winzigen dramaturgischen Idee, der Kontrastierung - Einspieler versus Live-Sequenzen, Stille versus Lärm, "malerische" Impressionen von Land und Leuten (und, zuweilen, Ludern) versus High-Tech-Power. Während Wuselbilder aus der Boxengasse und dem Motorhomebereich vorgaukeln, ins Zentrum der Macher eingedrungen zu sein, annonciert der scharf angeschnittene nächste gebaute Beitrag den "Kampf um die Pole", auf dass hernach Ebel vor der Linse zu grinsen nicht sich untersteht und "good luck for a certainly different qualifying" wünscht. Er meinte zu meinen: ein sicherlich schwieriges Qualifying.

Der ganze Theaterdonner: eine aufdringlich sinnhubernde Verdoppelung des Banalen, eine uferlose, bierwerbungseingerahmte, sich an der genialen Glätte der Bilder berauschende Meditation über Motoren und manches mehr. Das elektronische Societyblättchen, das RTL rund um die Formel 1 layoutet, dient indes lediglich der Feier eines Mediums, dessen Simulationsjournalismus kaum einen Halt in der Realität des Rennsports findet.

Hier, jenseits des Sports, geht es um eines: um ein recht teures Lustigfernsehen, das jene Trivialmythen produziert, die es zwar selber nicht glaubt, aber die es in einer Endlosschleife aus Interviewschnipseln, Authentizitätsschwindel, Blödelreportage, Bodenlosgesimpel, aus Weichgezeichnetem, Splitscreens und modischer Schwarzweißphotographie dem Biedermännlein vor den Latz knallt, auf den es beim Anblick der "heißen Kurven" sabbert.

"MTV ist weniger Parodie als Pastiche", schrieb Jeremy Rifkin. "MTV ist Erfahrung ohne Kontext, ... ist traumähnliche Unterhaltung, unbelastet von Geschichte oder Geographie." RTL ist MTV im Quadrat der rasenden Spießer, das Pop-TV des deutschen Kleingeistes.


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