Seit einer Woche und nach dreizehn Jahren hat die Welt ihn also wieder, den alleinigen, vom Weltschachverband FIDE und von allen anderen anerkannten Schachweltmeister: Wladimir Kramnik.
1993 hatte Weltmeister Garri Kasparow der FIDE den Rücken gekehrt und das Konkurrenzchampionat WM im klassischen Schach auf den Weg gebracht. Nun war in der südrussisch-kalmückischen Stadt Elista zwischen dem Russen Kramnik, Weltmeister im klassischen Schach, und FIDE-Titelträger Weselin Topalow aus Bulgarien das lang ersehnte Gipfeltreffen über die Bühne gegangen, das Kramnik, der Kasparow-Bezwinger aus dem Jahr 2000, in vier Blitzschachpartien spektakulär und knapp für sich entschied.
Ob Kramnik der verdiente Sieger ist, sei dahingestellt. Erhebender und erheiternder fand ich das wochenlange Theater rund um die "Störmanöver" des sinistren Bulgaren - auch "Der Bulldozer" genannt - und seines finsteren Stabes, allen voran des augenscheinlich heimtückischen Managers Silvio Danailow, das schließlich im "Toiletteneklat" kulminierte.
Großmeister Kramnik führte 3:1, als der bulgarischen Entourage plötzlich auffiel, der üble Russe suche zwischen den Zügen ausgesprochen oft die Toilette auf. Dort, wurde vermutet, bediene er sich illegaler Mittel wie Schachcomputerberechnungen oder EPO-Zufuhren. Das Appellationskomitee der FIDE gab dem Protest statt und ordnete gegen die vertraglichen Vereinbarungen zur besseren Kontrolle der Kontrahenten die Einrichtung eines Gemeinschaftslokus an.
Der "beispiellose Toilettenstreit" (Süddeutsche Zeitung) hätte fast zum Abbruch des Gigantenkampfes und demzufolge wahrscheinlich zum Armageddon in der Schachwelt geführt. Denn Kramnik ließ aus Protest die fünfte Partie sausen - die keineswegs annulliert, sondern zugunsten Topalows gewertet wurde - und beklagte anschließend weltmedienweit die "schmutzigen Tricks" des Konkurrenten". Während dieser mitteilte, er werde den Teufel tun und Kramnik noch mal die Hand geben.
Gedächtnisgenie Kramnik hatte da - offenbar der nicht abreißenden "Toilettendiskussionen" (Viktor Kortschnoi) geschuldet - einiges vergessen: einen Bobby Fischer nämlich, der in der an Idiotien und geistig-sozialen Havarien nicht armen Schach-WM-Historie zweifellos die unerreichten Höhepunkte setzte.
Robert James "Bobby" Fischer, elfter Weltmeister der Schachgeschichte, Sohn eines deutsch-jüdischen Physikers und einer Krankenschwester aus Chicago, wurde mit vierzehn der jüngste (US-) Großmeister aller Zeiten. Fünf Jahre später unterlag er beim WM-Kandidatenturnier in Curaçao auf Grund eines mutmaßlichen Komplotts der Sowjetstrategen.
Seither rissen die antisemitischen Hetztiraden des Wirrkopfes nicht ab. Fischer, nach einer Inhaftierung in Japan mittlerweile isländischer Staatsbürger, der von den US-Behörden gesucht wird, erklärte 1962, es gebe zu viele Juden, die Schach spielen, leugnete den Holocaust und fand die Terrorangriffe vom 11. September "wunderbar".
Gleichwohl bot Fischer auf der Schachbühne nicht nur atemberaubend schnörkellose Partien, sondern auch hinreißend autistische Hampeleien. Er schrie herum, schmollte, meckerte über die Stärke der Beleuchtung (mal zu hell, mal zu dunkel), moserte über die Lautstärke des Publikums (mal zu laut, mal zu leise), lehnte die Bestuhlung im Saal ab und ließ "summende Fernsehkameras" entfernen.
Zwei Jahre bevor Fischer 1972 in Reykjavik im "Match des Jahrhunderts" und "Kampf der Systeme" in einem aberwitzigen Nervenkrieg Boris Spasski bezwang, sah ihn mein Vater bei der Schacholympiade in der Siegener Siegerlandhalle. Und wenn mein Vater, gut aufgelegt ist, erzählt er, unterstützt durch emphatische Gesten, von Fischers legendär komischem Duell gegen "einen Asiaten, glaube ich".
"Der Asiate saß am Brett. Er hatte Weiß, und begann mit einem üblichen Bauernzug, es könnte die französische Eröffnung gewesen sein, e2-e4", beginnt mein Vater und lacht. "Und wer war nicht da? Bobby Fischer. Die Schachuhr tickt, nichts geschieht. Nach etwa zwanzig Minuten taucht er auf, da ist schon ein Sechstel der Spielzeit flöten. Er setzt sich - und denkt heftigst nach. Man hört fast die Ganglien brutzeln. Das zieht sich mindestens zehn Minuten hin, bis Fischer doch tatsächlich - den Bauerngegenzug macht! Also e7-e6. Sensationell!"
Mein Vater muss Luft holen.
"Und dann? Steht auf und weg! Nach einer weiteren Viertelstunde, der Asiate hat seinen zweiten Zug längst gemacht, erscheint Fischer wieder. Das sagenhafte Match dauert bereits eine Dreiviertelstunde, was wohl auch Fischer als anstrengend empfindet, so dass er zur Stärkung zwei riesige Sandwichs mitgebracht hat, aus denen an allen Seiten der Schinken herauslappt."
Mein Vater macht beeindruckende Kau- und Schmatzgeräusche.
"Also lehnt sich Fischer übers Brett, derweil er abwechselnd kaut und seine Hauer laut schmatzend in die Brote rammt, dass die Brocken fliegen. Nach insgesamt einer Stunde hat sich der Meister für seinen zweiten genialen, ja ingeniösen Bauernzug entschieden!"
Meinen Vater zerreißt es schier vor Lachen.
"Der Asiate ist zerrüttet und geht in einem Temporausch unter."
Danke Dad! Und olle Fischers Bobby irgendwie auch.
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