Allianz der Einzelgänger

DIE ASEAN-STAATEN ZWISCHEN FREIHANDEL UND PROTEKTIONISMUS In Südostasien strebt auseinander, was nicht zusammengehört

Lange Zeit galt die 1967 gegründete ASEAN als Muster erfolgreicher Süd-Süd-Kooperation. Es war dieser "Gemeinschaft der Ungleichen" nicht nur gelungen, die eigenen Konflikte friedlich zu regeln, auch zur Beilegung des Zwists um Kambodscha leistete sie einen wichtigen Beitrag. Mit der Gründung einer Freihandelszone (AFTA) 1992 wollte sich die Gemeinschaft für die Globalisierung wappnen. Denn es war klar, dass sich das Wirtschaftswunder der achtziger Jahre nur würde fortsetzen lassen, wenn auch künftig ausländisches Kapital nach Südostasien fließt.

Identitätsstiftend wirkten bislang die Kooperationsprinzipien des ASEAN Way. Seine herausragenden Merkmale sind enge persönliche Beziehungen der Entscheidungsträger, Pragmatismus, Flexibilität, Konsens, ein Faible für informelle Abläufe, die Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten der Partner. Mit dieser Form der Zusammenarbeit untermauerten die Staaten Südostasiens ihren in den neunziger Jahren lautstark verkündeten Anspruch, auf der Grundlage "asiatischer Werte" ein eigenes Ordnungs- und Entwicklungsmodell kreiert zu haben.

Die Asienkrise von 1997/98 hat jedoch dieses mit Hingabe gepflegte Selbstbild schonungslos demaskiert. Weder die ASEAN noch die pazifikumspannende Asia-Pacific Economic Cooperation (APEC/s. Kasten unten) vermochten Nennenswertes zum Krisenmanagement beizutragen. Als besonders fatal erwies sich dabei, dass mit Indonesien die politische Führungsmacht der ASEAN am tiefsten in der Krise verstrickt war. Anfängliche Solidarität verflüchtigte sich rasch, an ihre Stelle trat ein neuer Unilateralismus. Die 1998 von Malaysia verhängten Kapitalverkehrskontrollen sind Ausdruck dieses "Rette sich wer kann"-Verhaltens. Lange überwunden geglaubte bilaterale Animositäten brachen wieder auf. Vollends in die Schieflage geriet die ASEAN, als einzelne Mitglieder begannen, angesichts der grenzüberschreitenden Krisenfolgen bis dato unantastbare Prinzipien wie das Nichteinmischungsgebot in Frage zu stellen. Die Tatenlosigkeit des Verbundes während der Osttimor-Krise 1999 ist im wesentlichen darauf zurückzuführen.

Bad Guy Birma

Seit ihrem sechsten Gipfel in Hanoi im Dezember 1998 betreibt die ASEAN auf zweierlei Weise Schadensbegrenzung: Zum einen durch krampfhaftes Festhalten an ihrem Prinzipienkatalog, zum anderen durch forcierte wirtschaftliche Zusammenarbeit. Die Resultate blieben indes dürftig. So ist vor allem Thailand immer weniger bereit, die schweren Menschenrechtsverletzungen der in Birma regierenden Generalsjunta zu tolerieren. Sie blockieren bessere Beziehungen zur EU, von denen sich Bangkok Rückenwind für seine wirtschaftliche Genesung verspricht. Hinzu kommt, dass Thailand mittlerweile über eine Million birmanische Flüchtlinge und illegale Arbeitsmigranten aufnahm - Grenzverletzungen durch Ranguns Truppen und die Drogenschwemme aus dem Goldenen Dreieck belasten die Beziehungen zusätzlich. Ein Novum ist dabei, dass Thailand vor wenigen Wochen aus der ASEAN-Phalanx ausscherte und die Verurteilung Birmas durch die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) mittrug. Anlass dafür war die in Birma weit verbreitete Zwangsarbeit.

Zugleich machte der Fall Birma aber auch deutlich, dass der inner- und zwischenstaatlichen Streitschlichtung auch künftig wenig Chancen einzuräumen sind. Der Einsatz der im Juli formierten Troika (Vietnam, Brunei, Thailand) ist an so viele Kautelen geknüpft, dass dieses Gremium wie das im Vertrag über Freundschaft und Zusammenarbeit vorgesehene ASEAN High Council wohl niemals praktische Bedeutung erlangen wird. So wurde - wie nicht anders zu erwarten - der kürzlich von UN-Generalsekretär Kofi Annan unterbreitete Vorschlag, die Troika angesichts der neuerlichen Repressionswelle nach Birma zu entsenden, von der dortigen Junta brüsk abgelehnt.

Trendsetter Singapur

Wirtschaftlich sollte der bereits erwähnte Gipfel von 1998 in Hanoi das leckgeschlagene ASEAN-Schiff wieder flott machen. Bestandteil des dort beschlossenen Planes waren eine beschleunigte Handelsliberalisierung innerhalb der AFTA, unilaterale Liberalisierungsmaßnahmen der Mitglieder und die Förderung der innerregionalen Investitionstätigkeit. Doch verspürten die meisten ASEAN-Mitglieder angesichts der andauernden Wirtschaftskrise wenig Neigung zu forcierter Liberalisierung. So machten denn schon bald Beschwerden über zunehmende nichttarifäre Handelshindernisse die Runde. Ende 1999 lag der ASEAN-Binnenhandel mit 74 Milliarden US-Dollar trotz leichter Erholung noch immer deutlich unter den Stand von 1997 (85 Milliarden). So richtig wurde das Vertrauen in die AFTA jedoch erst in diesem Jahr erschüttert, nachdem Malaysia verkündet hatte, seine Automobilindustrie bis 2005 auf die Ausnahmeliste setzen zu lassen. Dafür muss es nun seine Partner entschädigen, so dass sich der für 2002 vorgesehene Abschluss der Freihandelszone weiter hinauszögern dürfte.

Die jetzt in Singapur beschlossenen Maßnahmen zur Ankurbelung der Wirtschaft sind wenig geeignet, das Vertrauen der Investoren wiederherzustellen. Dass dieses in der Tat angeschlagen ist, zeigt die Entwicklung der Auslandsinvestitionen. Diese hatten 1999 mit 16 Milliarden US-Dollar einen neuen Tiefstand erreicht. Zum Vergleich: 1994 und 1995 verbuchte allein Indonesien Kapitalzuflüsse in Höhe von 25 bis 30 Milliarden US-Dollar.

Doch davon abgesehen, für ausgesprochen brisanten Konfliktstoff sorgen zur Zeit bilaterale Freihandelszonen. Vor allem Singapur hat sich da als Vorreiter profiliert. Ein entsprechendes Abkommen mit Neuseeland ist unter Dach und Fach, weitere befinden sich mit Australien, Japan, Mexiko, Kanada und Chile in der Pipeline. Es steht außer Zweifel, dass die Abkommen ein tiefes Misstrauen gegen die Regionalorganisationen zum Ausdruck bringen, zumal auch die sektoralen Liberalisierungsprogramme der APEC 1998 scheiterten. Vor allem Malaysia und Indonesien sehen mit den Vorstößen Singapurs die ASEAN-Solidarität ausgehöhlt.

Angesichts der verbreiteten protektionistischen Stimmung erscheint der von Thailand vor dem Gipfel lancierte Plan einer ASEAN-Zollunion ebenso unrealistisch, wie das für Pläne zur Fusion der AFTA mit der australisch-neuseeländischen Closer Economic Relations (CER) gilt. Gleiches lässt sich für den von Peking eingebrachten Vorschlag einer Freihandelszone zwischen der ASEAN und China sagen. Zu groß ist schließlich in Südostasien die Furcht, von chinesischer Billigware überrollt zu werden.

Während die ASEAN so immer tiefer in der Krise versinkt, konzentrieren sich die Bemühungen ihrer Mitglieder auf den Ausbau der Beziehungen mit China, Japan und Südkorea. Seit 1997 hat die ASEAN+3-Kooperation deutlich an Profil gewonnen - angesichts der heterogenen Interessenlage ihrer Akteure allerdings kaum mehr als ein Versuch, in internationalen Foren für Gegenmacht zu sorgen. Die Chiang Mai Initiative vom Mai, die im Kern auf die Bildung eines Asian Monetary Fund (AMF) hinausläuft, wäre ähnlich zu deuten.

Ankläger Indonesien

Auch das Kooperationsangebot an Nordostasien kann letztlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Singapur-Gipfel seine ursprünglichen Ziele verfehlt hat. Deutlicher denn je offenbarte er die Interessengegensätze der Partnerländer. Die Konfliktlinien haben sich vervielfältigt und vertieft. Sie verlaufen zwischen arm und reich, Freihändlern und Protektionisten, Reformern und Bewahrern des ASEAN Way sowie Verfechtern und Gegnern einer stärkeren zivilgesellschaftlichen Öffnung der Staatenassoziation. Es ist daher kein Zufall, dass erstmals laut über neue Formen regionaler Kooperation wie die Pacific Five oder den von Indonesien ins Spiel gebrachten Zusammenschluss westpazifischer Staaten nachgedacht wird. Sie bergen Sprengkraft für die ASEAN. Dazu passt, dass der Gipfel mit heftigen Attacken und unverhüllten Drohungen des indonesischen Präsidenten Abdurrahman Wahid gegen Gastgeber Singapur endete, dem er Profitgier und Mangel an Solidarität vorwarf. Dahinter verbirgt sich ein durchsichtiger Versuch, die Moslembevölkerung im eigenen Land angesichts lauter werdender Rücktrittsforderungen hinter sich zu bringen. Damit aber hat der innenpolitische Populismus endgültig Einzug in den Regionalverbund gehalten. Dass ihm tief verwurzelte ethnisch-religiöse Aversionen zugrunde liegen, verheißt nichts Gutes.

Unser Autor ist Professor für Politikwissenschaft an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg. Neuere Veröffentlichungen: Politische Systeme in Südostasien. Eine Einführung, Landsberg am Lech, 1998; Mythos Mittelschichten. Zur Wiederkehr eines Paradigmas der Demokratieforschung, Bonn 1999 (zusammen mit Bert Becker und Nikolaus Werz).


    Die "Association of South East Asian Nations" (ASEAN)

    1967 Gründung durch Indonesien, die Philippinen, Malaysia, Thailand und Singapur - 1984 komplettiert durch das ölreiche Brunei. Die ersten Jahre der ASEAN werden vom Vietnam-Krieg geprägt, entsprechend dominant sind der Einfluss der USA und das antikommunistische Credo des Staatenbundes.

    1975 Erst nach dem Ende des Vietnam-Krieges beginnt eine Hinwendung zum Regionalismus mit einer stärkeren Besinnung auf die eigenen Kräfte.

    1976 Die ASEAN legt mit dem "Vertrag über Freundschaft und Zusammenarbeit" einen Verhaltenskodex für die Beziehungen in Südostasien vor. Die Suche nach einem Ausgleich mit Vietnam beginnt.

    1989 - 1991 Die ASEAN spielt eine entscheidende Rolle bei der Entschärfung der Lage in Kambodscha und dem Abzug der vietnamesischen Truppen von dort. Es beginnt die Phase eines enormen wirtschaftlichen Aufschwungs, die jedoch weniger als Resultat regionaler Kooperation erscheint, sondern mehr die Folge nationaler Anstrengungen ist.

    1992 Trotz diverser Zollpräferenz-Programme verharrt der Handel zwischen den ASEAN-Staaten noch immer auf dem Niveau von 1965/66. Vor dem Hintergrund der Konkurrenz aus Indien, China und Südkorea sowie der Entstehung von Wirtschaftsblöcken wie der Freihandelszone NAFTA in Nord- und des Staatenverbundes MERCOSUR in Südamerika beschließt der ASEAN-Gipfel von Singapur 1992 die Gründung der ASEAN-Freihandelszone AFTA.

    1994/5 Aufnahme von Vietnam und Laos - 1999 kommt Kambodscha hinzu.

    1997/98 Die Kurseinbrüche an den asiatischen Börsen stürzen auch ASEAN-Staaten wie Thailand, Singapur, Indonesien und die Philippinen in erhebliche ökonomische Turbulenzen - der ASEAN-Gipfel von Hanoi 1998 soll durch verstärkte regionale Zusammenarbeit und Investitionsprogramme gegensteuern, bleibt jedoch ohne die erwünschte Wirkung.

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