Schluss mit dem Rüstungswahn

Rüstung Deutschland und die NATO-Partner dürfen Trumps Forderungen nicht nachgeben – sonst kommt die Logik der Bombe zurück
Ausgabe 12/2017
Die Welt braucht Staatskunst, keine Kriegskunst
Die Welt braucht Staatskunst, keine Kriegskunst

Foto: Imagebroker/Imago

Donald Trump will, dass Deutschland zügiger aufrüstet. Auf zwei Prozent seines Bruttoinlandprodukts. Nach Berechnungen des „Internationalen Instituts für Strategische Studien“ in London wären das deutlich über 30 Milliarden Dollar zusätzlich. Jährlich. Gegenüber den Rüstungsausgaben von 2016 wäre es fast eine Verdoppelung. Insgesamt fordern die USA von ihren NATO-Verbündeten Mehrausgaben von 100 Milliarden Dollar. Wozu eigentlich?

Schon jetzt sind die NATO-Staaten – gemessen an ihren Rüstungsausgaben – ihrem angeblichen Gegner Russland (und auch China) weit überlegen. 848 Milliarden Dollar gaben die NATO-Staaten 2016 für ihr Militär aus. Im Vergleich zu den 59 Milliarden, die Russland in sein Militär investierte, ist das ein Verhältnis von 14:1. Ginge es nur um die Verteidigung des NATO-Bündnisgebiets, bräuchte der Westen keine neue Aufrüstungsrunde. Geld fehlt höchstens zur Ko-Finanzierung der US-Militärinterventionen im Mittleren Osten und der Rambopolitik der USA gegenüber ihren angeblichen Feinden auf der ganzen Welt.

Die militärische Dominanz des Westens besteht selbst dann noch, wenn man berücksichtigt, dass – nach Aussagen russischer Experten – die Kosten für Flugzeuge, Panzer und Soldaten in Russland mehr als dreimal so billig sind wie im Westen. Dafür ist die Qualität westlicher Waffen meist höher als die russischen Militärgeräte. Ein Lada ist kein Audi.

Das vom Westen dämonisierte Russland hat seine Militärausgaben in den letzten zwei Jahren aus wirtschaftlichen Gründen sogar um 25 Milliarden Dollar verringert. Niemand wird behaupten, dass Russland dadurch seiner militärischen Handlungsfähigkeit beraubt worden wäre. Abrüstung geht also. Manchmal sogar einseitig.

Allein die europäischen NATO-Partner (inklusive der Türkei) geben heute gigantische 231 Milliarden Dollar für ihr Militär aus, viermal so viel wie die Russen. Würden sie ihre Militärausgaben auf zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts steigern, stiege ihre Überlegenheit auf den Faktor fünf. Die Folge einer solchen westlichen Aufrüstung liegt auf der Hand – ein neues Rüstungsrennen, auch im nuklearen Bereich. Wenn wir nicht höllisch aufpassen, kommt die Logik der Bombe zurück, der Wahnsinn der nuklearen Abschreckung. Polens Jarosław Kaczyński, Chef der Regierungspartei PiS, hat vor kurzem in der FAZ die europäische Bombe gefordert: „Eine eigene Atommacht müsste mit Russland mithalten können.“ Dr. Seltsam lässt grüßen.

Die NATO-Staaten könnten ihr Bündnisgebiet sogar mit deutlich niedrigeren Militärausgaben als bisher verteidigen:

- wenn sie mehr Wert auf Qualität und Einsatzbereitschaft von Waffen und Personal legen würden

- wenn Korruption, Schlamperei und Verschwendung im Rüstungsbereich entschlossener bekämpft würden

- wenn sie ihre Armeen weniger in Afrika und im Mittleren Osten einsetzen würden

- und wenn die europäischen NATO-Partner im Verteidigungsbereich enger kooperieren würden. Für mehr Effizienz braucht man nicht mehr Geld.

Noch größere Einspar-Potenziale ergäben sich, wenn der gesamte Westen der politischen Konfliktlösung, der Entspannungspolitik und der Abrüstungspolitik endlich den gleichen Rang einräumen würde wie der Rüstungspolitik. Warum bauen die Europäer nicht endlich eine strategische Partnerschaft zu Russland auf – unter Beibehaltung des transatlantischen Bündnisses?

Die USA könnten ihre Rüstungsausgaben von über 600 Milliarden Dollar sogar halbieren. Selbst dann könnten sie mit Hilfe ihrer gigantischen nuklearen Kapazitäten jeden Gegner dieser Welt in Schach halten. Sie wären nur nicht mehr in der Lage, mehrere Länder gleichzeitig anzugreifen und zwei große Kriege zur selben Zeit zu führen. Und das wäre gut so. Ihr jetziger „Kriegshaushalt“ würde dann eben zu einem noch immer sehr üppigen Verteidigungshaushalt.

Die NATO muss dem Frieden dienen, nicht den USA

Was könnten die USA nicht alles mit den Unsummen anfangen, die sie zur Zeit in die Rüstung stecken: die Altersversorgung ihrer Bürger auf ein menschenwürdiges Niveau anheben, mehr in Bildung investieren sowie in der Umwelt- und Entwicklungspolitik Weltchampion werden. Donald Trump macht das genaue Gegenteil. Die USA haben seit dem Afghanistan-Krieg eine militärische Fehlentscheidung nach der anderen getroffen. Sie haben für ihre Anti-Terror-Kriege zwei Billionen Dollar ausgegeben. Zusätzlich zu ihren „normalen“ Rüstungsausgaben! Mit diesem Geld hätten sie die Länder des Mittleren Ostens in blühende Landschaften verwandeln können. Die Menschen dort wären ihre Freunde geworden. Der Terrorismus wäre nicht explodiert. Und Flüchtlingsströme in dem erlebten Ausmaß hätte es auch nicht gegeben.

Fassungslos macht auch die Tatsache, dass die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) ihre eilige Zustimmung zu Trumps ruppigen Forderungen nach Beschleunigung der deutschen Aufrüstung mit „Fairness gegenüber den USA“ begründet. Und dass die Kanzlerin das alles abnickt. Militärische Aufrüstung den USA zuliebe? Die Bundeswehr muss dem Frieden dienen, nicht den USA. Kluge Entspannungs- und Friedenspolitik würde unser Land viel sicherer machen. Die krisengeschüttelte Welt braucht Staatskunst, nicht Kriegskunst.

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