Die Pflicht der Regierung

Überwachungsskandal Es ist beschämend, dass Edward Snowden in Deutschland kein Asyl gewährt wird, schreibt Jürgen Trittin von den Grünen. Denn es wäre der Rechtslage nach möglich
Obama und Merkel toasten sich hier zu. Aber zu feiern gibt es derzeit wenig
Obama und Merkel toasten sich hier zu. Aber zu feiern gibt es derzeit wenig

Foto: Michael Sohn/ AFP/ Getty Images

Edward Snowden hat uns allen einen großen Dienst erwiesen. In den beiden vergangenen Wochen hat er die Bürgerinnen und Bürger Europas auf die massive Überwachung ihrer privaten und geschäftlichen Kommunikation durch amerikanische und britische Sicherheitsdienste aufmerksam gemacht. Das Ausmaß dieser Überwachung ist atemberaubend. Wir mussten darüber hinaus erfahren, dass die USA offenbar EU-Vertretungen in Brüssel, Washington und New York sowie die Botschaften von EU-Mitgliedsstaaten ausspioniert haben. Dieses Vorgehen hat rein gar nichts mit dem Krieg gegen den Terror zu tun.

Über die wirklichen Motive können wir nur spekulieren. Welche Informationen sollen hier gesammelt werden – und wozu? Die Europäische Kommission will eigentlich Verhandlungen mit den USA über ein transatlantisches Freihandelsabkommen beginnen. Sollen unsere Delegationen sich in Zukunft etwa an geheimen Orten treffen und ihre Kommunikation verschlüsseln, um diese Treffen vorzubereiten, da andernfalls die NSA jeden unserer Schritte im Voraus kennen würde? Hinzu kommt, dass die Betriebsgeheimnisse deutscher und europäischer Unternehmen nicht mehr sicher sind. Seit Jahren beschuldigen die USA China des Diebstahls geistigen Eigentums. Müssen wir den Blick in Sachen Industriespionage nach Westen richten?

Wenn auch nur ein Teil dieser Anschuldigungen wahr ist, dann sind Orwell’schen Albträume Wirklichkeit geworden. Das Vertrauen zwischen der EU und den USA, aber auch zwischen der EU und ihrem Mitgliedsstaat Großbritannien ist schwer in Mitleidenschaft gezogen. Die Regierungen beider Länder müssen auf diese Vorwürfe reagieren. Sie müssen das Ausmaß ihrer Geheimdienstaktivitäten aufklären, und sie müssen diese Programme sofort stoppen, falls die Befürchtungen sich bestätigen sollten. Überwachung ohne jedweden Anfangsverdacht und in diesem Ausmaß stellt eine Verletzung des Rechts auf Privatsphäre dar, wie es unter anderem im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte verankert ist.

Das britische Tempora-Programm, mit dem Glasfaserkabel angezapft werden, verstößt gegen gültige EU-Datenschutzrichtlinien. Auch Eingriffe zugunsten der nationalen Sicherheit sind nur möglich, wenn es sich um "eine notwendige, angemessene und verhältnismäßige Maßnahme innerhalb der Normen einer demokratischen Gesellschaft" handelt. Die EU-Kommission sollte dringend ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Großbritannien prüfen. Als Hüterin der europäischen Verträge muss die Kommission handeln, wenn es zu solch gravierenden Verletzungen unserer gemeinsamen Werteordnung kommt.

Handelspartner oder wirtschaftlicher Gegner

Angesichts der entstandenen Lage können auch die Verhandlungen über ein transatlantisches Freihandelsabkommen nicht ohne weiteres beginnen. Zuerst müssen die USA klären, ob sie die EU für einen Handelspartner oder einen wirtschaftlichen Gegner halten, den es auszuspionieren gilt.

Vor allem aber sollte man den Überbringer der Botschaft nicht für all dies verantwortlich machen. Edward Snowden hat enthüllt, dass in großem Maßstab die Freiheitsrechte verletzt werden, auf denen unsere Demokatie fußt. Wenn es jemals einen Fall gab, der zeigt, warum wir Whistleblower schützen müssen, dann ist es dieser. Snowden sollte sich nicht auf zynische Menschenrechtsverletzer wie Wladimir Putin verlassen müssen – er sollte eine Aufenthaltserlaubnis in einem EU-Land bekommen. Deutschland als eines der Länder, die am stärksten von der NSA-Schnüffelei betroffen sind, sollte in der ersten Reihe stehen, wenn es darum geht, ihm Zuflucht zu bieten.

Neben dem Asylrecht erlaubt das deutsche Recht im § 22 des Aufenthaltsgesetzes, eine Aufenthaltserlaubnis aus dringenden humanitären Gründen zu erteilen. Die Bundesregierung kann dies tun, um die „politischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland“ zu wahren. Deutschland kann mit Hinblick auf den „politischen Charakter“ der Straftat um die es geht, dann eine Auslieferung Snowdens ablehnen. Es ist einfach falsch, wenn Frau Merkel und ihr Bundesinnenminister behaupten, die Voraussetzungen für eine Aufnahme von Snowden seien nicht gegeben. Natürlich wäre dies nach der Rechtslage möglich! Aber dieser Bundesregierung fehlt der Wille. Das ist der Skandal, und das ist beschämend.

Jürgen Trittin ist seit 2009 Fraktionsvorsitzender
der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen und einer der beiden Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl 2013

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