25 Jahre „Sounds of Subterrania“ von Gregor Samsa: Praxis für Vinyl-Subkultur
Punk-Label Gregor Samsa betreibt seit 25 Jahren das Label Sounds of Subterrania – Schwerpunkt Punk und Garagenbeat. Einmal soff sein Lager in Hamburg ab, 120.000 Euro waren weg. Warum tut er sich das an?
Gregor Samsa mit Hund Børge in der Herzkammer des Labels. Eine dreistündige Konsultation kann hier gebucht werden
Foto: Henning Kretschmer für der Freitag
Buschiger Schnauzbart, wilde Frisur, obendrauf eine knallrote Bommelmütze: Gregor Samsa ist schwer zu übersehen. Seine Meinung ist stark, die Haltung politisch und konsequent – einigen aus der Musikbranche geht er schon deshalb gehörig auf den Zeiger. Weil er nicht einstimmen will in den selbstzufriedenen Chor der deutschen Indie-Plattenfirmen, die so unabhängig gar nicht sind, sondern oft nur Talentsucher für die Dickschiffe der Entertainmentbranche. Am kommenden Wochenende wird Samsa den 25. Geburtstag seines Labels Sounds of Subterrania feiern.
Der Name ist natürlich von Franz Kafka geklaut. Wie der in der Nähe von Halle geborene 48-Jährige wirklich heißt, weiß kaum jemand. Inzwischen steht das Pseudonym sogar in seinem Personalausw
rsonalausweis. „Jeder sollte sich mit 18 selbst einen Namen aussuchen, das ist besser, als wenn die Eltern darüber entscheiden“, sagt er. Die musikalisch sehr offene Punk-Szene der DDR hat Samsa schon früh geprägt. In den Neunzigern studiert er dann in Kassel Politik, Philosophie und Sozialarbeit, unter anderem bei Rolf Schwendter, einer Koryphäe der Devianz-Forschung und Experte für die „Theorie der Subkultur“.Seit 2008 lebt und arbeitet Samsa in Hamburg. Sein Hauptquartier befindet sich in einem Industriegebiet in Altona, drei große fensterlose Lagerräume hat er dort angemietet und bis unter die Decke mit Vinyl (und ein paar CDs) vollgestopft – es dürften an die 100.000 Alben sein. Nicht alle sind von Sounds of Subterrania, denn zum Label gehört inzwischen auch ein Vertrieb. Inmitten der hochgestapelten Pappkartons und vollgestopften Regale steht ein schwerst überladener Schreibtisch – der Arbeitsplatz des Chefs und einzigen Mitarbeiters. Müde sieht er aus, weil er nebenbei auch noch ein Festival zum 25. Label-Geburtstag vorbereitet. Das japanische Trio The 50 Kaitenz reist dafür sogar aus Osaka an. Die Wege der Monsters (Bern), der Columbian Neckties (Aalborg) oder der Hara-Kee-Rees (Köln) sind kürzer.„Da gibt’s noch was anderes“Sein Label – und alles was damit in Verbindung steht – betreibt Samsa wie ein Gesamtkunstwerk, oder eine soziale Skulptur, die zeigen soll, dass es auch anders geht. Gerechter, solidarischer, ästhetischer. Verträge werden mit Handschlag abgeschlossen und manchmal geht der Boss auch heute noch mit auf Tour und hilft beim Schleppen der Verstärker. Mehr als fünf Stunden Schlaf pro Nacht sind da nicht drin. Jahrelang arbeitete Samsa nebenbei auch noch für einen Hersteller von Regalsystemen, ein Wasserschaden hatte einen Großteil seines Vinyl-Bestands zerstört: „Ich verlor 120.000 Euro und musste komplett von vorn anfangen. Durch den Vertrieb für andere Labels habe ich jetzt zumindest so viele Einnahmen, dass ich den Sozialhilfesatz erreiche. Ich brauche nicht viel zum Leben, wenn ich etwas erwirtschafte, stecke ich es gleich wieder in das Label.“ Für Spotify und andere Streaming-Angebote hat Samsa nur Verachtung übrig, er liebt die Haptik und Ästhetik physischer Tonträger, so wie ein Handwerker ein gelungenes Werkstück.Der Verband unabhängiger Tonträgerunternehmen verlieh ihm vor zehn Jahren „Die goldene Indie-Axt“, mit der Begründung: „Nur durch Menschen wie ihn ist es möglich, dass auch Nischenmusik als Kunst das Licht der Öffentlichkeit erblickt und wahrgenommen wird.“ „Total stolz“ sei er gewesen, sagt Gregor Samsa, auch weil ihm der Preis von Nikel Pallat persönlich überreicht wurde. Der streitbare Manager von Ton Steine Scherben hatte 1971 in einer Talkshow des WDR den Studiotisch mit einer Axt malträtiert – und so den Namen der Auszeichnung inspiriert. Auch Samsa ist der Meinung, dass im Musikgeschäft eine Menge falschläuft: „Wir haben eine große Zahl unterschiedlicher Musikrichtungen, aber keine unabhängige Infrastruktur mehr, auf der diese aufbauen können. Wenn heute eine neue Musik entsteht, wird sie sehr schnell ausgehöhlt, kapitalisiert und in das System eingebunden. Der Ruf nach Rockstars und der Traum vom großen Erfolg sind mir momentan zu laut und zu stark.“Sounds of Subterrania setzt stattdessen – neben den ursprünglichen Schwerpunkten Punk und Garagenbeat – eher auf Themen, die den CEO persönlich ansprechen: Fünf Alben des ukrainischen Piano-Virtuosen und Komponisten Lubomyr Melnyk sind auf dem Label erschienen. Den nigerianischen Gitarristen Bibi Ahmed holte Samsa nach Deutschland, um mit ihm ein Album und eine traumhaft schöne Mini-LP mit Tuareg Blues aufzunehmen. Als Nächstes steht eine Kooperation mit dem japanischen Gitarristen Otomo Yoshihide an, der mit rückkoppelnden Plattenspielern improvisiert. Ob sich diese radikale Musik wirtschaftlich rechnet, interessiert den Impresario erst mal nicht. „Mir macht es Spaß, meine kleine Reichweite zu nutzen, um zu sagen: Ey, da gibt’s noch was anderes.“ Doch das ist nicht immer kompatibel mit dem, was Feuilletonisten und Musikjournalisten gerne hören – von der breiten Masse gar nicht zu reden. Bands wie die brachial lärmenden Human Abfall aus Stuttgart oder die Leipziger Pub-Rocker Schneckenkönich spielen eher für eingeweihte Außenseiter. „Subkultur“, würde Gregor Samsa sagen, dem der Begriff in seiner ursprünglichen Bedeutung sehr wichtig ist.Das größte Alleinstellungsmerkmal des Labels sind jedoch Artwork, Covergestaltung und Verpackung. Alles sehr wertig und in der Herstellung gewiss nicht billig. Die sogenannten Special Releases sind regelrechte Kunstwerke, wie die in Zement gegossene 7-Inch-Single von EA 80. Wer die massive Hülle zerstört, was sehr schade wäre, bekommt eine normal abspielbare Platte.Die Produktion eines Lego-Bausatzes für das Album M der Schweizer Band The Monsters war noch viel aufwendiger. Aus 680 farbigen Lego-Steinen und -Figuren lässt sich ein kompletter Live-Club nachbauen, inklusive Band und Publikum. Selbst einen Merchandising-Stand gibt es, mit einem Verkäufer, der große Ähnlichkeit mit Gregor Samsa aufweist. Die markenrechtlichen Hürden dieses Projekts waren enorm: „Lego hat ein kompliziertes System entwickelt, mit dessen Hilfe sie immer genau wissen, wie viele Steine wo sind. Du kannst nicht in einen Laden gehen und sagen: Ich hätte gerne 2.000 graue Lego-Steine.“Im Tempel neben dem LagerNach zwei Jahren Verhandeln, Ausprobieren und Planen konnten 100 Lego-Versionen des Monsters-Albums produziert werden, für einen Selbstkostenpreis von 250 Euro pro Stück. Andere Alben der Special-Releases-Reihe kamen komplett in Denim verpackt, oder man konnte sich – dank einer beigelegten Schachtel mit 5.500 cm Garn, Baumwolle und Nadel – in geschätzt 300 Stunden selbst ein Cover sticken. Ein ironischer Kommentar an die Stammklientel der Punks und Garagenrocker: „Manchmal geht es auch darum, der aufrührerischen Haltung, in der sich manche aus der Szene wahrnehmen, etwas entgegenzusetzen: ein Set zum Sticken, ein Puzzle oder eine Lego-Box – also vermeintlich spießig-bürgerliche Zusammenhänge.“Eins der schönsten und aufwendigsten Projekte ist das mit dem IF-Designpreis ausgezeichnete Album Showtime von Amos. Über 350 Künstler aus aller Welt sorgten dafür, dass kein Cover dem anderen gleicht. „Da waren Grafiker, Siebdrucker und Tätowierer dabei, einer hat mit Holz und Kettensäge gearbeitet. Wir haben dafür sehr viel Aufmerksamkeit aus der Kunstszene bekommen – die Musikszene hat uns komplett ignoriert“.Die Herzkammer von Sounds of Subterrania ist ein Raum, der sich neben dem vollgestopften Lager befindet. Samsa nennt ihn liebevoll „The Sophisticated Vinyl Association“. Auch hier stapelt sich Vinyl bis unter die Decke, allerdings in eleganten Regalen, in denen sich viele kleine Nischen und Erker befinden, wo Special Releases, Plakate und andere faszinierende Dinge drapiert sind – wie in einer Ausstellung. In der Mitte steht auf einem flauschigen Teppich eine Art Leder-Diwan. Ein exzellenter Plattenspieler und ein Paar High-End-Boxen runden den Eindruck ab, sich im Tempel eines Vinyl-Kults zu befinden. Wer möchte, kann Gregor konsultieren und hier ein dreistündiges Gespräch über Musik abseits des Mainstreams buchen – mit Zugriff auf eine exzellent bestückte Bar. Zehn Lieblingsplatten und -künstler muss der Besucher vorher verraten, daran orientieren sich dann die Empfehlungen des Gastgebers. Die Nachfrage hielt sich bisher in Grenzen, aber die Idee ist so schön und idealistisch wie viele von Samsas Aktivitäten.Er weiß, dass seine heterogene Veröffentlichungspolitik wirtschaftlich nicht klug ist – und hält trotzdem daran fest: „Weil ich mich nicht vor mir selbst langweilen möchte. Mein Traum ist nicht Wachstum. Ich will Leute erreichen, die sich mit einer Sache auseinandersetzen möchten und nicht bloß konsumieren.“ Trotzdem fragt man sich: Warum tut er sich das an, warum hält er all die Widersprüche, den Stress und die Selbstausbeutung aus – und hat scheinbar sogar noch Spaß dabei? „Zum einen kann ich nicht anders“, sagt er mit ernstem Gesicht. „Aber vielleicht hat es auch etwas damit zu tun, dass ich als Kind sehr oft verdroschen wurde. Eigentlich jeden Tag. Ich habe damals gelernt, dass es verschiedene Techniken gibt, um aus einer Prügelei rauszukommen. Für die meisten ist es heulen, oder sich hinwerfen und tot stellen. Doch wenn die Prügel kein Versehen sind, sondern Struktur haben, dann weiß man, dass all diese Techniken nicht funktionieren. Das Einzige, was einem bleibt, ist immer wieder aufzustehen und zu sagen: Okay, ihr kriegt mich nicht unter. Auch wenn ich weiß, dass ihr stärker seid. Mir ist klar, dass ich vor 20 Jahren mehr Leute mit meinen Ideen begeistern konnte als heute. Für viele, vor allem im Internet, ist dieser Idealismus von gestern. Aber wenn es keiner mehr macht, dann ist auch der Kampf verloren.“ Mag sein, dass Samsa einer Utopie hinterherjagt, die sich in diesem Endstadium des Kapitalismus längst erledigt hat. Doch man hofft trotzdem, dass er noch lange durchhält.Placeholder infobox-1