Seit 15 Jahren betreibt Maurice Summen aus einem Mini-Büro in Prenzlauer Berg heraus das Label Staatsakt. Die erste Adresse, wenn es um deutschsprachigen Indie-Pop geht. Christiane Rösinger, Isolation Berlin, Andreas Dorau, Erobique und Jens Friebe sind nur einige der Künstler, die hier ihre Musik veröffentlichen. Ursprünglich hat Summen seine Plattenfirma nur gegründet, um die Musik seiner eigenen Band Die Türen zu vertreiben. Die gern mit verschiedenen Konzepten experimentierende Dada-Pop-Truppe hat gerade das knapp zweistündige Album Exoterik herausgebracht. Ein exzentrisch groovender Mix aus Krautrock, Pop und Post-Punk. Deshalb sitzt Summen jetzt an einem etwas zu kleinen Tisch im Hamburger Karoviertel. Er redet schnell und viel und hat immer noch eine kleine Anekdote aus dem zunehmend härter werdenden Musikgeschäft im Ärmel.
der Freitag: Herr Summen, mit Staatsakt gelten Sie als Strippenzieher des deutschsprachigen Indie-Pop. Was war für Sie der bisherige Höhepunkt?
Maurice Summen: Christiane Rösingers Soloalbum Songs of L. And Hate (2010) – weil damals fast niemand daran geglaubt hat. Mit Britta konnte Christiane nicht an die Erfolge ihrer vorherigen Band Die Lassie Singers anknüpfen. Sie stand damals kurz vor ihrem 50. Geburtstag und war in der Berliner Szene reichlich abgeschrieben. Doch das Album hat dann einen Nerv getroffen und Christiane Rösinger wurde als Solokünstlerin bekannter, als es die Lassie Singers je waren. Das erinnere ich als ein tolles Momentum, wo man der Musik folgt, die einen berührt, während die ganzen Profis um einen herum unken und zweifeln.
Aber so rund läuft es nicht immer, oder?
Nein, als wir 2011 Zwanie Johnsons Album I’m a Sunshine veröffentlichten, waren wir auch tierisch überzeugt. Das war tolle Musik fürs Radio, es schien ganz klar, dass das großen Anklang finden würde. Doch nichts passierte, eine geplante Tour wurde mangels Interesse abgesagt. Lustigerweise gab es drei Jahre später doch noch ein Happy End. In dem sehr erfolgreichen Kinofilm Victoria lief nämlich während einer Taxifahrt ein Song von genau dieser Zwanie-Johnson-Platte. Wir vermarkteten Golden Song dann als offizielles Soundtrack-Stück und plötzlich spielten alle relevanten Radiosender das drei Jahre alte Stück in Heavy Rotation.
Heute spielen Radio und CD kaum noch eine Rolle. Der Rapper A Boogie wit da Hoodie hat gerade die Spitze der US-Album-Charts erreicht. Ohne physischen Tonträger, nur aufgrund von 83 Millionen Streams innerhalb einer Woche. Machen Ihnen solche Disruptionen Angst?
So viel ist klar, der Markt für physische Tonträger wie CDs bricht zusammen. Aber nicht nur die CDs werden verschwinden, auch der „Download à la carte“, wie man iTunes gerne nennt, wird wohl über kurz oder lang abgeschafft. Das lohnt sich nicht mehr, die jungen Leute streamen nur noch.
Aber Streaming ist ja auch nicht immer umsonst.
Stimmt. Früher hat der durchschnittliche Konsument in Deutschland statistisch gesehen etwa 30 Euro im Jahr für Tonträger ausgegeben, das waren also letztlich nur zwei Alben. Und von den ultra-distinguierten Vielkäufern, die große Lust auf totale Vielfalt haben, gibt es in ganz Deutschland nur maximal 20.000. Wenn jetzt also viele bereit sind, 120 Euro im Jahr für ein Spotify-Abo auszugeben, dann wird heute eher mehr Geld für Musik ausgegeben als früher. Die Frage ist nur: Wie viel davon landet bei mir in der Nische? Indie-Bands haben ja auch früher im Schnitt nur 10.000 CDs verkauft, aber die Marge war damals immens hoch.
Rechnet sich denn ein Label heute überhaupt noch?
Ich bin ja nicht nur Labelbetreiber, sondern auch Autor, Songschreiber und Musiker. Solange ich mit diesem Mix aus verschiedenen Einkünften meinen Lebensunterhalt finanzieren kann, geht’s irgendwie. Wir haben einige Bands, die im fünfstelligen Bereich verkaufen, Isolation Berlin zum Beispiel. Aber wir verprassen solche Gewinne allzu oft für Veröffentlichungen, die komplett am Pop-Mainstream vorbeigehen. Mir persönlich sagen die randständigen Sachen mindestens genauso zu. Es ist eine Investition in kulturelles Kapital, und das ist monetär nicht messbar.
Auf dem neuen Album „Exoterik“ Ihrer Band Die Türen haben Sie nun offenbar den Krautrock für sich entdeckt.
Sicher ist es Krautrock, wenn man sich ohne vorbereitete Kompositionen für eine Woche an einen Ort begibt und dann einfach mal loslegt. Und genau das war unser Konzept. Man kennt so eine Arbeitsweise eher vom Jazz, doch wir spielen keine Soli. Es geht vielmehr um Zusammenhalt und einen gemeinsamen Puls. Eine tolle Kunstform, man findet ja nicht so viele gesellschaftliche Bereiche, wo man gemeinsam etwas erschaffen kann, ohne dass man sich gegenseitig ins Wort fällt oder dem anderen reingrätscht.
Das 15-minütige „Irgendwo hingelegt“ ist allerdings eine ziemliche Geduldsprobe, Sie wiederholen da immer wieder ein und dieselbe Zeile.
Das Stück hat einen merkwürdigen No-Wave-Groove, und dazu ist mir ad hoc diese Zeile eingefallen. Es geht um die Genervtheit, wenn man dringend losmuss, aber etwas irgendwo hingelegt hat und es einfach nicht findet.
Wird es durch globales Streaming leichter für experimentierfreudige Bands wie Die Türen, neue Hörer zu finden und dadurch Gewinne zu generieren?
Wenn jetzt das neue Album der Türen erscheint, werden sich viele Hörer auch für unseren Backkatalog interessieren. Mit Streaming lässt sich das alles leicht und bequem durchhören. Früher wären die gleichen Leute sicher nicht in einen Plattenladen gegangen, um sich die komplette Türen-Diskografie zu kaufen. Diese Vernetzung zwischen Neuveröffentlichung und Backkatalog ist für Plattenfirmen allerdings deutlich lukrativer als für Künstler. Das Label hat einen Katalog, bei uns sind das etwa 150 Alben, der Einnahmen durch Streaming generiert, die man mit den Künstlern teilt. Nur sehr wenige Bands schaffen in ihrer Karriere mehr als fünf Alben, meist reduziert es sich auf ein paar wenige Hits. Dazu kommt, dass der Markt im deutschsprachigen Raum sehr begrenzt ist. Wenn man in deutscher Sprache singt, kann man ohne die Provinz nicht von der eigenen Musik leben, also muss man die Provinz zurückerobern.
Sie selbst sind aus Stadtlohn im Münsterland nach Berlin gezogen.
Nehmen wir mal an, eine Band zieht von einer Kleinstadt in Westfalen nach Hamburg oder Berlin. Dort gibt es kreative Szenen, dort entwickle ich mit meinen Mitmusikern einen Sound, eine Idee und finde relativ schnell ein Publikum. Aber wenn ich in Deutschland möglichst viele Streams will, muss ich auch den Leuten in der Provinz gefallen. Über Analyse-Tools kann man gut sehen, wo etwas wie oft gestreamt wird. Bei all unseren Künstlern steht Berlin auf Nummer eins, dann folgen Hamburg oder Köln. Aber wie kommt man in die Provinz? Am einfachsten immer noch durch die Massenmedien, Fernsehen und öffentlich-rechtlicher Rundfunk, wobei diese Mechanismen auch abnehmen.
Ich beneide englischsprachige Bands, die auch in einer gewachsenen Nische stecken, aber die kommen nach Deutschland, spielen in Hamburg, Köln und München vor 800 bis 1.000 Leuten – und dann sind sie schon wieder im nächsten Land. Die müssen sich in ästhetischen Fragen nicht mit der Provinz auseinandersetzen. Es kann denen egal sein, ob sie in Buxtehude jemand kennt oder nicht.
Auf welche Band setzen Sie 2019 Ihre Hoffnungen?
Die Kerzen! Die kommen aus Ludwigslust in Mecklenburg, eine dieser Transit-Städte, von denen man nur den Bahnhof kennt und nicht weiß, wie es weiter drinnen aussieht.
Also auch aus der Provinz.
Ja, das ist so wie früher bei den Lads in England. Für Die Kerzen ist Pop noch ein Versprechen – kein ästhetisches Businessmodell. Die sind keine Zyniker oder sonst wie von der Stadt versaut. Die hören mit großer Leidenschaft Bananarama, und das ist toll.
Zur Person
Maurice Summen, 44, ist Chef des Berliner Labels Staatsakt und Sänger der Band Die Türen, die zwischenzeitlich mal Der Mann hieß, um sich noch vor MeToo über das Gebaren mittelalter Männer lustig zu machen. Das jüngste Album der Türen heißt Exoterik und ist soeben erschienen
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.