Depeche Mode: „Memento Mori“ ist ihr bestes Album seit Jahrzehnten

Synthie-Pop Es knirscht, rauscht und furzt: Mit „Memento Mori“ haben Depeche Mode wieder zu ihrer Identität als Band gefunden
Ausgabe 13/2023
Die intensive und kreative Spannung zwischen Martin Gore (hinten) und Dave Gahan macht die neuen Songs von Depeche Mode so reizvoll
Die intensive und kreative Spannung zwischen Martin Gore (hinten) und Dave Gahan macht die neuen Songs von Depeche Mode so reizvoll

Foto: John MacDougall/AFP/Getty Images

Der Faltenwurf in Martin Gores Gesicht ähnelt inzwischen dem von Keith Richards, und auch vor Dave Gahan hat die Zeit nicht Halt gemacht. 43 Jahre ist es her, dass vier Teenager aus dem britischen Basildon beschlossen, ihre Popsongs nicht mit Gitarren, sondern mit Synthesizern zu spielen. Damals eine revolutionäre Idee!

Doch die Karriere von Depeche Mode litt immer wieder unter Rückschlägen und persönlichen Katastrophen: Vince Clarke, Hauptsongschreiber des Debütalbums, verließ die Band schon 1981 wieder; die Drogenexzesse von Sänger Dave Gahan führten in den Neunzigern zu einem Selbstmordversuch und etwas später zu einer Überdosis mit Herzstillstand. Im Mai 2022 starb das Gründungsmitglied Andy Fletcher an einem Riss in der Hauptschlagader.

„Memento Mori“ – „Bedenke, dass du sterblich bist“ – ist also ein passender Titel für das neue Album der zum Duo geschrumpften Band. In Anton Corbijns Video zum melancholischen Ohrwurm „Ghosts Again“ spazieren Gahan und Gore in Tiefschwarz durch die Straßen einer Großstadt, Mönchs-Kapuzen tief ins Gesicht gezogen, in den Händen Spazierstöcke mit Totenkopfknauf. Bleich sitzen sie auf einem Friedhof zwischen Grabsteinen und am Ende spielen sie gegeneinander Schach, so wie Ritter und Tod in Ingmar Bergmans Filmklassiker „Das siebente Siegel“. Ein schwarzromantisches Gothic-Spektakel.

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Es ist, als hätten Depeche Mode nach dem Tod von Andy Fletcher wieder zu ihrer Identität als Band gefunden – zumindest ist „Memento Mori“ ihr bestes Album seit Jahrzehnten! „Always You“ besitzt die Leichtigkeit der frühen Jahre, bevor zwischenzeitlich Rock-Pathos und Techno-Ambitionen die Überhand gewannen. Vor allem ist da aber auch die dunkle Emotionalität, die Fans so schätzen. Dass in Deutschland immer noch jedes Wochenende irgendwo eine Depeche Mode Party stattfindet, wo am Ende oft alle im Chor „Enjoy The Silence“ singen ist ein sehr besonderes Phänomen. Eine Gemeinschaft stiftende Zuflucht vor den Turbulenzen globaler Gezeiten, so etwas bieten andere Bands nicht.

Mit „Memento Mori“ schließt sich der Kreis

Musikalisch setzt „Memento Mori“ erfreulich oft auf den Sound analoger Klangmaschinen. Manchmal knirscht, rauscht und furzt es, wie in einem Achtziger-Jahre-Endzeit-Film von John Carpenter. Vor allem das erste Stück, „My Cosmos Is Mine“, wirft einen pessimistischen Blick auf die Gegenwart: „Don’t play with my world, don’t mess with my mind“, heißt es da. Und ein paar Zeilen später fordert ein Chor, „No war, no war, no war“. Gleichzeitig gibt es mehr und deutlich gelungenere Melodien als auf den Alben davor, was auch ein wenig an dem Co-Songwriter Richard Butler (Ex-Psychedelic Furs) liegen dürfte.

„Memento Mori“ ist kein Nachruf auf den verstorbenen Andy Fletcher, ein Großteil der Aufnahmen – angeblich auch der Titel – entstand schon zu dessen Lebzeiten. Warum der Keyboarder auf dem Album mit keinem Ton zu hören ist, bleibt ein Rätsel. Fast alle zusätzlichen Instrumente hat der Produzent James Ford eingespielt.

Was die neuen Songs von Depeche Mode so reizvoll macht, ist die intensive und kreative Spannung zwischen Gahan und Gore. Der eine, ein Erz-Romantiker, der den Schmerz und die dunklen Seiten der Liebe glaubhaft verkörpert. Der andere ein Musiker, der auch mit über 60 noch auf der Suche nach neuen Klängen ist. Mit „Memento Mori“ schließt sich jetzt der Kreis: Depeche Mode sind weitergegangen und dennoch wieder näher an ihren Electro-Pop-Wurzeln. Die Stimmung auf den Release-Partys der Fans dürfte dieses Wochenende prächtig sein.

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