der Freitag: Herr von Lowtzow, wann waren Sie zum letzten Mal in der Oper?
Dirk von Lowtzow: Das war im letzten Sommer. Da habe ich mir eine selten gespielte Oper von Iannis Xenakis angeschaut: Oresteia. Die Aufführung fand in einem Parkhaus hinter der Deutschen Oper statt. Eine sehr aufwendige Sache.
Xenakis steht für beinharte Neue Musik. Er wendet zum Beispiel mathematische, geometrische, architektonische oder philosophische Prinzipien beim Komponieren an.
Vor allem ist diese Oper crazy shit – Xenakis ist nicht gerade das gängige Repertoire.
Nun haben Sie mit René Pollesch auch eine Oper geschrieben: „Von einem der auszog, weil er sich die Miete nicht mehr leisten konnte“. Das klingt schwer nach Diskursrockoper.
Mit dem klassischen Opernbegriff hat das tatsächlich nicht viel zu tun. Es ist nur so, dass alle anderen Bezeichnungen noch mehr auf eine falsche Fährte führen. Hätten wir es Operette genannt, hätte jeder an Jacques Offenbach gedacht. Bei Musical assoziieren viele Leute König der Löwen oder Phantom der Oper. In einem Punkt muss ich allerdings widersprechen: Es ist eher eine Popoper als eine Rockoper.
Zur Person
Dirk von Lowtzow, 43, ist Sänger der Diskursrockband Tocotronic, die 2013 ihr 20-jähriges Jubiläum feierte. Mit Thies Mynther betreibt er das experimentellere Projekt Phantom / Ghost
Foto: Privat
Was macht den Unterschied?
Es sind Popsongs, die ich für dieses Projekt geschrieben habe. Die wurden für das Filmorchester Babelsberg orchestriert, es gibt keine Rockinstrumente. Tommy von The Who dagegen ist ja ganz klar für eine Rockband arrangiert.
Wer singt diese Popsongs?
Die Schauspieler. Das sind vor allem Martin Wuttke und Lilith Stangenberg. Und es gibt den Gastauftritt eines jungen Baritons, Martin Gerke.
Singende Schauspieler haben an der Volksbühne ja eine gewisse Tradition. Herbert Fritsch hat vergangenes Jahr in seiner Oper „Ohne Titel Nr. 1“ ebenfalls auf Schauspieler gesetzt.
In einem strengen Sinn kann man sicher lange über die Definition von Gesang streiten. Ich bin ja auch kein klassischer Sänger. Schauspieler haben dafür ein sehr gutes Gespür, was die Dramaturgie der Songs betrifft. Und wenn Stimmen nicht so ausgebildet sind, dann kommt das meiner Hörgewohnheit näher als diese übertrainierten Opernstimmen.
Ursprünglich war „Von einem der auszog ...“ für die Komische Oper geplant.
Barrie Kosky, der Intendant der Komischen Oper, hatte René gefragt, ob er sich vorstellen könne, eine Oper zu machen, nach Pollesch-Art. Er hatte freie Hand, was die Musiker angeht, und sich glücklicherweise für mich entschieden. Im Lauf der zweieinhalbjährigen Planung ist das Projekt zur Volksbühne gewandert.
Wo ohnehin dauernd Pollesch-Stücke laufen.
Für mich fühlt sich das unverkrampft an. Wir haben mit Tocotronic 1996 die Spielzeit eröffnet und treten seitdem regelmäßig dort auf. Auch privat habe ich schon viele Abende an der Volksbühne verbracht.
Der Titel der Oper klingt wie ein Kalauer, transportiert aber auch Sozialkritik. Worum geht es da?
Ich kann dazu leider wenig sagen, weil ich es nicht weiß. Das Schöne an der Zusammenarbeit mit René ist, dass wir uns gegenseitig überhaupt nicht kontrollieren. Ich war in der Gestaltung meiner Musik völlig frei. Es wird aber ein sehr tolles Bühnenbild von Bert Neumann geben: ein sechs Meter langer begehbarer Killerwal, ein Orca. Es könnte sich also um eine verquere, neu geschriebene Schöpfungsgeschichte handeln.
René Pollesch entwickelt seine Stücke oft erst unmittelbar vor der Premiere. Nervt das, wenn man daran beteiligt ist?
Nein, das hat den Effekt, dass bei der Premiere alles sehr frisch und überraschend ist. Ich finde das sehr angenehm. Und es ist sicherlich auch das Geheimnis von Renés Kunst, diese enorme Unmittelbarkeit und die Abwesenheit von Repräsentation. Was am Ende herauskommt, muss mit dem Anfang nicht zwangsläufig etwas zu tun haben.
Schon länger zieht es Popmusiker an die Stadttheater.
Gerade in unserem Umfeld, also in dem was man als Hamburger Schule oder Diskursrock bezeichnet, haben viele im Theater eine Heimstatt gefunden. Weil das alles sehr talentierte und neugierige Musiker sind, wie die Gruppe Kante, die viel an der Schaubühne gemacht hat. Oder wie mein Phantom-Ghost-Kompagnon Thies Mynther, der oft am Deutschen Theater arbeitet.
Man wärmt sich an den Feuern der Hochkultur, und der erbarmungslose Markt bleibt draußen?
Popmusik wird, wenn sie einen gewissen Anspruch erfüllt, immer stärker in eine Nische gedrängt. Das Theater ist hier deutlich weniger durchökonomisiert. Als Musiker gewinnt man da vielleicht auf eine paradoxe Art wieder Freiheit und kann im besten Fall seinen Horizont erweitern. Es kommt aber auf die Spielstätte an. Das Projekt von René und mir läuft ja nicht an der Staatsoper oder gar in Bayreuth. Die Volksbühne ist ein Ort, der schon lange Dinge miteinander vermischt. Deshalb kann ich in diesem Zusammenhang glücklicherweise auch der Popmusiker bleiben, der ich nun mal bin.
Info
Von einem der auszog, weil er sich die Miete nicht mehr leisten konnte René Pollesch Dirk von Lowtzow (Musik), Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin
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