Jason Williamson und Andrew Fearn sind Männer um die 50. Familienväter mit zerknitterten Gesichtern und etwas derbem Humor, zu Hause in der post-industriellen Ödnis der britischen Midlands. Als Sleaford Mods schimpfen die beiden seit Jahren über das Leben im Hamsterrad des Neoliberalismus. Das Runterschlucken und Stillhalten, wenn man eigentlich aus der Haut fahren möchte. Ihre Musik ist ein entschlossen hämmerndes Derivat aus Punk und Techno, der Bass führt, die Beats klatschen. Andrew Fearn, der den kargen Klang-Minimalismus verantwortet, steht bei Konzerten meist nur freundlich nickend neben seinem Notebook. In der Hand eine Flasche Bier – die digitale Technik erledigt den Rest. Jason Williamson, der Sänger, dagegen tobt und grimassiert, was das Zeug hält. Er übergießt das Publikum mit Wutkaskaden voller „Fucks“ und „Cunts“, die sich an niemanden Bestimmtes richten, oder an alle. Das Duo aus Nottingham spricht für eine desillusionierte Arbeiterklasse, für all die Überflüssigen und Abgehängten, die Opfer von Thatcher, Cameron und Johnson. Doch die selbstironischen und oft sehr lustigen Beschreibungen eines Alltags an der Klippe zum sozialen Absturz sprechen längst auch in Deutschland ein immer größeres Publikum an. In England erreichte das letzte Album Eaton Alive sogar Platz 9 der Album-Charts.
Der Nachfolger Spare Ribs könnte nun noch erfolgreicher werden, schon wegen Mork and Mindy. Williamson reflektiert da zu einem raffiniert schlingernden Beat über seine Kindheit: die klopfende Zentralheizung, die Gerüche des Mittagessens, die Tristesse aus Beton und ramponierten Garagen vor der Haustür – Platz für Schönes bleibt höchstens in Tagträumen und Fantasien. Die wunderbare Gastsängerin Billy Nomates verleiht dem Refrain etwas zärtlich Lebensweises, aber auch Resignatives: „You go too high too low / It doesn’t make a difference I know / You go too high too low / But the system won’t go.“ Du kannst machen, was du willst, doch das System wird sich nicht ändern.
Sehr britische Welten
Auch bei anderen Stücken finden sich überraschend süffige Melodien und ein Songwriting, das fast schon an Bands wie The Kinks oder The Jam erinnert. Es sind sehr britische Welten, die hier bis ins Detail beschrieben werden – doch die ernüchternden Erfahrungen dahinter sind universell nachvollziehbar. In Fishcakes erzählt Williamson von Geburtstagsfeiern in Imbissbuden, wiederverwendetem Weihnachtspapier und der Gewissheit, dass alles, was schiefgehen kann, auch schiefgehen wird. Das ist enorm berührend und erinnert musikalisch an den Sound der zerbrechlichen Post-Punk-Band Young Marble Giants. Spare Ribs steht für einen Wandel der Sleaford Mods. Nicht mehr nur Wut, auch Empathie spielt jetzt eine wichtige Rolle. Und natürlich Corona, das Album entstand im ersten Lockdown. Im Titelsong Spare Ribs reibt sich Williamson an der Erkenntnis, dass die Orgien von Elon Musk bestimmt besser sind als das Hüten kreischender Kinder in einer zu engen Wohnung ohne Aussicht. Warum schreibt sonst niemand so saftig, treffend und humorvoll über die Leben der sogenannten kleinen Leute? Vielleicht brauchen wir so etwas wie einen antirassistischen linken „Pride“, ein positives Gegengewicht zum dumpfen Nationalismus der Rechten. Die Sleaford Mods haben da schon ein paar passende Narrative auf Lager.
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Sleaford Mods Spare Ribs Rough Trade
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